Kultur:Bayerns neue Konzertsäle im Vergleich

Entwürfe für die Konzerthäuser in München (links) und Nürnberg

Schachtel oder Schneewitchensarg? In den nächsten Jahren entsehen in Nürnberg (rechts) und München neue Konzertbauten.

(Foto: Cukrowicz Nachbaur Architekten/dpa / J. Kappler Architektur u. Städtebau GmbH in AG mit Super Future Collective; Topotek 1 Architektur GmbH)

Nach 15 Jahren Diskussion bekommen die Architekten den Vertrag für das Konzerthaus in München. In Nürnberg ist man auch noch nicht viel weiter, hat inzwischen allerdings einen Zeitplan.

An diesem Donnerstag bekommen die Architekten den Vertrag für das Konzerthaus in München - nach 15 Jahren Diskussion. In Nürnberg ist man auch noch nicht viel weiter, hat inzwischen allerdings einen Zeitplan erstellt. Die geplanten Konzertsäle in München und Nürnberg im Vergleich.

Warum braucht die Stadt einen neuen Konzertsaal?

München soll leuchten, und das wie immer möglichst hell. Wie gut es sich mit Gebäuden strahlen lässt, in denen klassische Musik gespielt wird, zeigt sich seit geraumer Zeit in Hamburg. Da man in München keine Elbe hat, muss der Standortnachteil mit grandioser Akustik und einem exzellentem Programm ausgeglichen werden.

Nürnberg soll auch leuchten. Gut, am Ende womöglich etwas weniger hell als München, aber dafür gerne zügiger und weniger kontrovers. Die Jury hat sich für einen leuchtenden Kubus entschieden, der die Formensprache der benachbarten Meistersingerhalle aufnimmt, ohne sie nachzuäffen. Nachäffen wäre auch blöd: Die Meistersingerhalle, ein Sechzigerjahrebau, ist innen cool, außen auf die abschreckendste Art schuhschachtelig.

Was ist bisher geschehen? Wie weit ist man gekommen?

Die Künstlergarderoben im Herkulessaal in München sind ein schlechter Witz, der Saal selbst ist zu klein. Die Philharmonie dagegen ist zu groß, reichlich ausgelastet und klingt nur selten gut, wird aber dereinst auch ein ganz fabelhafter Saal sein, wenn Herr Toyota sich ihrer Akustik angenommen haben wird. Nur ist sie dann immer noch voll, mit den Konzerten der Philharmoniker und denen der freien Veranstalter. Das weiß man seit 15 Jahren und diskutiert darüber, was man immer noch täte, hätte sich Horst Seehofer nicht öffentlich verplappert und der Stadt einen neuen Saal versprochen, nachdem ihm die alleinige Ertüchtigung der Philharmonie um die Ohren gehauen worden war.

Horst Seehofer wollte nicht mehr jeden Tag in der Zeitung lesen, dass München zwar super, seine Konzerthäuser aber nur halbsuper sind. Also ein neuer Konzertsaal für München. Das Problem: Bayerns second city (Nürnberg) hat nicht mal einen halbsuper Saal - sondern nur ein Kongresszentrum (Meistersingerhalle), in dem sich die AfD superwohl fühlt. Mahler-Hörer eher nicht. Lösung: Nürnberg bekommt auch einen Saal.

Wie schaut der Ort, an dem der Saal entstehen soll, aus? Und was ist von ihm zu erwarten?

Der leere Bauplatz hinter dem Münchner Ostbahnhof ist interessant, noch interessanter ist sein Umfeld. Hier entsteht gerade ein Viertel, wie es Städte wie Zürich oder Berlin oder Duisburg längst haben, also eine Mischung aus Industriekultur, hippen Läden, Büros, Kunst aller Arten. Das Potenzial ist enorm und könnte, schöpft man es aus, als Gesamtpaket eines neuen, aufregenden Viertels dem Monolithen Elbphilharmonie locker den Rang ablaufen.

Einen Baustellenbesuch an der Meistersingerhalle in Nürnberg kann man sich getrost sparen. Es sei denn, man will einen Parkplatz, allerlei Bäume und ein Dutzend einheimische Radfahrer behelligen, die auf die Frage, wo denn jetzt bitte der neue Konzertsaal hin soll, ziemlich gleichlautend antworten: Hä? Also: Baustelle gibt's noch nicht, das kann noch dauern.

Unterstützer, Töne, Gefahren und Vorahnungen

Wer sind die Freunde des neuen Saals? Und wer seine Gegner?

Wer in München die wahren Freunde des Musikpalastes sind, wird sich zeigen, wenn die Stiftung Neues Konzerthaus an die Öffentlichkeit tritt und die Bürgerschaft um Spenden bittet - wie es Horst Seehofer stets gefordert hat. Als Gegner des mehrere hundert Millionen teuren Neubaus hat sich die Musikerinitiative Stereokultur in Stellung gebracht, die das viele Geld oder zumindest einen Teil davon lieber der armen Münchner Subkultur zugute kommen ließe.

Gegner in Nürnberg hat das Team um Kappler & Co kaum: Dass (offenbar ernst gemeinte) Alternativ-Entwürfe, die wie Minimalvarianten der Konzerthäuser von Berlin und Hamburg (!) aussehen, nicht neben die Meistersingerhalle passen würden, leuchtet den meisten ein. Kapplers Entwurf hat also mehr Freunde als Feinde. An den Ort aber mögen sich viele noch immer nicht gewöhnen: Am Reichsparteitagsgelände? An der Kreuzung einer Groß-Ausfallstraße? Im Rücken der grusligen Bundesagentur für Arbeit? Im Ernst?

Wie klingt der passende Soundtrack zum Projekt?

Den Soundtrack versucht man in München, schon wegen des Umfelds des neuen Saals, nicht rein klassisch zu halten. Ohnehin treten gealterte Pop-Rebellen derzeit verstärkt auch in Klassiksälen auf. Etwa die Einstürzenden Neubauten. Deren Name ist nicht reine Prophetie - die Elbphilharmonie steht auch noch, trotz deren Eröffnungskonzert dort. Ansonsten, angesichts der langen Planungszeit: Ligeti "Le Grand Macabre" oder John Cage "4.33".

Ein Soundtrack zum Projekt? Beantwortet sich von selbst: Die Meistersinger von Nürnberg. Alle 246 Bewerber des Architektenwettbewerbs haben sich diese Frage stellen müssen: Wie bekomm ich ein Haus, dessen Inneres laut Vorgabe eine Schuhschachtel sein soll, neben ein Haus, das von außen eine Schuhschachtel ist? Der Entwurf des Baumeisters, der das am stimmigsten geschafft hat, wurde von der Jury einstimmig auserkoren. Und siehe da, der Gewinner ist ein Meister aus Nürnberg: Architekt Johannes Kappler.

Was darf jetzt nicht passieren? Woran hat noch keiner gedacht? Wo hakt es?

Größte Gefahr für den Saal in München: Die SPD kommt in Bayern an die Macht. Hahaha, wie lustig...

Okay, kleines Horrorszenario: Markus Söders CSU landet bei der Landtagswahl bei stabilen 33 Prozent. Es übernimmt, "weil Söder es offenkundig nicht kann": Horst Seehofer. Der will jetzt alles anders und besser machen: Als Erstes wird der Konzertsaalhausbeschluss von Nürnberg revidiert. "Das passiert sicher nicht", sagt Julia Lehner, Kulturreferentin der Stadt. Sie ist aber auch in der CSU.

Was bringt wohl die Zukunft?

Alles wird gut und der Saal im Münchner Werksviertel ein innovatives Konzerthaus mit einer extrem kreativen Intendantin, die die Konzerte des BRSO umgibt mit Performances im Stil der Münchner Biennale, elektronischer Avantgarde-Musik und Gastauftritten experimenteller Spezialistenorchester. In der Philharmonie hingegen weitet Valery Gergiev das 360-Grad-Festival zu einem neunmonatigen Dauerevent aus mit Live-Übertragungen in alle großen Städte Russlands.

Nürnberg wird Kulturhauptstadt Europas 2025, zur Eröffnung wird Beethovens Neunte gegeben. Oberbürgermeister Ulrich Maly ist gerührt und erklärt den 2000 Meistersingerhallengästen, warum es gut ist, dass man noch immer in good old Meistersingerhalle Musik macht und nicht nebenan. "Wir haben immer gesagt: Nicht in Steine wollen wir investieren, sondern in Ideen." Ein fertiges Konzerthaus hätte da nicht recht ins Konzept gepasst.

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