Kündigung wegen Medikamentenabgabe:Sanitäter oder Übeltäter

Zwei Rettungsassistenten aus Franken haben Epilepsie-Patienten lieber gleich ein Notfall-Medikament verabreicht, statt auf den Notarzt zu warten. Durften sie das? Ein Grenzfall. Das Rote Kreuz hat ihnen fristlos gekündigt.

Von Olaf Przybilla

Eines ist für Werner Zurwesten, 53, nie in Frage gekommen, sagt er. Und zwar keine Hilfe zu leisten, wenn offenkundig sei, dass da jemand dringend Hilfe benötige. Der Satz kann man so auch von Wolfgang Braungardt, 48, hören. Und auch sonst haben die beiden vieles gemeinsam. Beide sind - oder waren - Rettungsassistenten beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK) in Neustadt an der Aisch. Beide wurden zu Hilfe gerufen zu Patienten mit schweren epileptischen Anfällen. Über beide hat sich nach ihren Einsätzen ein Notarzt beschwert, weil sie mit einem Medikament gegen die Krampfanfälle helfen wollten. Und beiden wurde wenig später vom BRK-Kreisverband fristlos gekündigt.

Ihre Einsätze liegen schon vier Monate zurück, der eine hat sich am 20. Juli zugetragen, der andere einen Tag später. Gekündigt wurde beiden Sanitätern im August. Geschädigt wurde niemand durch die Verabreichung des Anfallmedikaments, beschwert haben sich die Patienten auch nicht. Warum auch? Ihnen wurde ja geholfen. Beschwert hat sich aber jeweils der später eintreffende Notarzt, es war in beiden Fällen derselbe. Beide Rettungsassistenten hätten ohne "Notkompetenz" Medikamente verabreicht oder gerade verabreichen wollen, so lautet der Vorwurf.

Ein Vorwurf, über den Hans Joachim Schirner, Bereitschaftsarzt aus dem Landkreis Neustadt/Aisch, nur den Kopf schütteln kann. Schirner war selbst viele Jahre Notarzt im westlichen Mittelfranken, einer der ländlicheren Regionen Bayerns. Wenn dort mehrere Notrufe zur selben Zeit eingehen, sagt Schirner, dann sei es für Rettungssanitäter nahezu unmöglich einzuschätzen, wie lange das noch dauere, bis ein Arzt kommt. Im Fall von Werner Zurwesten etwa war der Rettungssanitäter nach 13 Minuten am Einsatzort, zehn Minuten später erst kam der Notarzt.

"Das entbehrt jeder Logik"

Zurwesten hatte da bereits ein Notfallmedikament über die Nase der Patientin verabreicht. Und zwar eines mit einem Wirkstoff, der Laien von diversen Epilepsiezentren empfohlen wird, damit sie diesen ihren Angehörigen im Notfall verabreichen können. Eben jener Wirkstoff wird auch von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie empfohlen: Laien könnten mit diesem bei akuten Krampfanfällen helfen. "Laien dürfen das, aber bei einer Vergabe durch einen Rettungsassistenten wird diesem gekündigt", empört sich der Arzt Schirner, "das entbehrt jeder Logik."

Zumal Rettungsassistenten selbstverständlich selbsttätig handeln dürften und sogar müssten: wenn nämlich im Einzelfall "überbrückende Maßnahmen" getroffen werden müssen, um schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Bei einem lange andauernden epileptischen Anfall - einem sogenannten Status - scheint das offenkundig zu sein: Gehirnzellen werden irreversibel geschädigt, in einem von zehn schweren Krampfanfällen droht sogar akute Lebensgefahr. Für einen "Skandal" hält Bernd Spengler, der Anwalt der beiden Rettungsassistenten, schon deshalb die Kündigung. Zumal ein anderer Notarzt inzwischen bestätigt habe, dass die beiden Sanitäter richtig gehandelt hätten.

Die BRK-Landesgeschäftsstelle stärkt dem Neustädter Kreisverband demonstrativ den Rücken. Die Sanitäter hätten sich nicht an die "Richtlinien und Vorgaben" gehalten, erläutert Landesgeschäftsführer Leonhard Stärk. Und beide Sanitäter hätten sich solchen Vorwürfen nicht zum ersten Mal ausgesetzt. Sie seien zur "Medikamentengabe offenkundig nicht berechtigt" gewesen. Denn Medikamente dürften Rettungsassistenten nur dann verabreichen, "wenn schwere Schäden drohen".

BRK-Kreisverband gibt sich zugeknöpft

Der BRK-Kreisverband selbst gibt sich in beiden Fällen zugeknöpft. Kreisgeschäftsführer Ralph Engelbrecht will sich nicht äußern, eines beim Arbeitsgericht anhängigen Verfahrens wegen. Es gäbe bei beiden Personalien aber "weitere Aspekte". Der kursierende Vorwurf, es sei zwei "unbequemen und kritischen Mitarbeitern" gekündigt worden, treffe aber nicht zu, beteuert Engelbrecht.

Unbequemer Mitarbeiter? Werner Zurwesten nennt sich selbst so. Wenn unbequem heiße, "dass einer nicht müde wird, Fragen zu stellen", dann sei er das zweifellos. Die Situation für Rettungssanitäter bei schweren epileptischen Anfällen sei nicht geklärt, darauf habe er immer wieder hinzuweisen versucht. Hätte er einfach auf den Arzt gewartet, "dann hätten von hundert Notärzten 99 gesagt: Bist du besoffen, dass du da nicht mit einem Medikament hilfst?" - da sei er sich sicher.

Jener Notarzt aber, mit dem er es an dem Tag zu tun bekam, habe sich eben über ihn beschwert. Zurwesten will nicht mehr zum BRK zurück, nach dem Vorfall komme das für ihn nicht mehr infrage. Braungardt dagegen will seinen Fall vor dem Arbeitsgericht durchfechten, "auch wenn ich das Grundvertrauen verloren habe", sagt er.

Ihre beiden Fälle haben in Neustadt an der Aisch gehörigen Ärger ausgelöst. Der Bereitschaftsarzt Schirner berichtet, dass sich ehrenamtliche BRK-Mitarbeiter dort entschieden hätten, "bis zur juristischen Klärung dieser Angelegenheit nicht mehr am Rettungsdienst teilzunehmen".

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: