Kritik an Staatsanwaltschaft:Ärzte-Betrugsverfahren weitet sich aus

Labor Schottdorf in Augsburg, 2014

Das Labor Schottdorf in Augsburg.

(Foto: Stefan Puchner)

Hat die bayerische Justiz Tausende betrügerische Ärzte geschont? Und im Gegenzug LKA-Beamte mit rechtswidrigen Methoden verfolgt? Die Landtags-Opposition zeigt sich "bestürzt" und fordert einen Untersuchungsausschuss.

Von Stefan Mayr und Mike Szymanski

Ein Untersuchungsausschuss im Landtag wird jetzt aller Voraussicht nach der Frage nachgehen, ob Bayerns Justiz womöglich Tausende Ärzte schonte, die sich des Abrechnungsbetrugs mit Laborleistungen schuldig gemacht haben könnten. Am Freitag verständigten sich Freie Wähler und Grüne darauf, ein solches Gremium einzusetzen. Gemeinsam haben sie genügend Stimmen dafür. Aber auch SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher nannte die mittlerweile öffentlich gewordenen Erkenntnisse "bestürzend". Seine Fraktion werde aber den Bericht des Justizministeriums am Donnerstag im Rechtsausschuss abwarten. Die Regierung müsse noch die Chance haben, für Transparenz zu sorgen.

Im Januar 2009 hatte die Staatsanwaltschaft Augsburg Verfahren gegen knapp 150 Ärzte eingestellt, obwohl sie ursprünglich geplant hatte, wegen der unsicheren Rechtslage den Ausgang eines Musterprozesses in München abzuwarten. Erst als der angeklagte Arzt 2010 tatsächlich wegen Betrugs verurteilt worden war und der Bundesgerichtshof das Urteil 2012 bestätigt hatte, nahm die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wieder auf. Zu diesem Zeitpunkt waren aber viele Fälle bereits verjährt. Die Ermittler hatten ursprünglich bis zu 10 000 Ärzte bundesweit im Fokus.

Strafverfahren für Ermittler

Zwei damalige Ermittler des Landeskriminalamtes fühlten sich in ihrer Arbeit behindert und waren später selbst mit Strafverfahren gegen sie überzogen worden. "Wir sind gegrillt worden", sagte Stephan Sattler, einer der Beamten, im Gespräch mit der SZ. Der andere, Robert Mahler, verklagt den Freistaat auf Schadenersatz. Freie Wähler und Grüne sind der Meinung, "dass nur ein Untersuchungsausschuss der Komplexität des Falles und der Schwere der im Raum stehenden Vorwürfe gerecht werden" könne.

Florian Streibl, parlamentarischer Geschäftsführer der Freien Wähler, erklärte am Freitag, mit einer Sitzung des Rechtsausschuss könne die nötige Aufklärungsarbeit nicht geleistet werden. So sieht das auch Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann, der bereits einen Fahrplan absteckt: Vor der Sommerpause müsse der Ausschuss seine Arbeit aufnehmen, damit in den Ferien genügend Zeit fürs Aktenstudium bleibe. "Hier wurden Hunderte Millionen Versichertengelder verbrannt, ohne dass die Profiteure und Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden", sagte Hartmann.

Der Ausschuss muss nach Angaben von Streibl vielen Fragen nachgehen. Dazu zählt auch die Frage, warum die Justiz offenbar keine Maßnahmen ergriffen hatte, die Verjährung der Betrugsfälle zu verhindern. Er will auch wissen, wieso die Behörden so rigoros gegen Ermittler vorgegangen waren. "Offenbar sollten sie mürbe gemacht werden, weil sie zu unerwünschten Ergebnissen kamen", vermutet Streibl.

Justizminister will abwarten

Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) wies die Forderungen nach einem Untersuchungsausschuss als voreilig zurück: "Jetzt sollten wir doch bitte erst einmal den Bericht im Rechtsausschuss abwarten." Bausback und CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer bezeichneten es als "unseriös", jetzt schon zu behaupten, der Rechtsausschuss könne die Fragen nicht beantworten. Kreuzer: "Deutlicher hätten Grüne und Freie Wähler nicht unter Beweis stellen können, dass sie an einer wirklichen Aufklärung nicht interessiert sind." Schließlich hätten erst letzte Woche alle vier Fraktionen einvernehmlich festgelegt, dass das Justizministerium am 22. Mai berichten soll.

Das widersprüchliche Verhalten der Justiz - Untätigkeit gegen die Ärzte, Aktionismus gegen die Polizisten - trug 2010 besonders kuriose Früchte: Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hat die Staatsanwaltschaft München I damals sowohl die dienstlichen E-Mail-Konten als auch die sogenannten Home-Laufwerke der zwei LKA-Beamten auslesen lassen - ohne dass hierfür eine schriftliche Anweisung oder ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss vorlag. Dabei wurde sogar ein Schriftwechsel mit einem Rechtsanwalt in die Ermittlungsakte aufgenommen - also Material, das nach der Strafprozessordnung nicht beschlagnahmt werden darf. Die Beamten waren in dem Strafverfahren "gegen Unbekannt" weder Beschuldigte noch Tatverdächtige. Sie vermuten aber, dass die Behörden Material gegen sie sammeln wollten für parallel laufende Strafverfahren, in denen sie Beschuldigte waren.

"Methoden, die eines Rechtsstaates unwürdig sind"

Laut Florian Streibl verträgt sich die PC-Durchsuchung "überhaupt nicht" mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2008. Danach sind sogenannte Online-Durchsuchungen "grundsätzlich unter den Vorbehalt richterlicher Anordnung zu stellen". Streibl sagte: "Das sind Methoden, die eines Rechtsstaates unwürdig sind." Die eigene Polizei auszuspionieren sei "skandalös". Ob die PC-Durchsuchung verfassungswidrig war oder nicht, wollte die Staatsanwaltschaft München I am Freitag nicht beantworten. Sie verwies auf die Sitzung des Rechtsausschusses am 22. Mai: "Der Respekt vor dem Parlament gebietet es, zuerst diesem Rede und Antwort zu stehen."

Der betroffene Kriminalhauptkommissar des LKA Stephan Sattler wirft den Behörden zusätzlich vor, dass sein Schriftverkehr mit seinem Rechtsbeistand auch an eine fremde dritte Person weitergegeben worden sei. Die Person hatte Akteneinsicht beantragt. Stephan Sattler hat nun Strafanzeige wegen des Verrats persönlicher Geheimnisse gestellt. "Hier wurden gleich mehrere gesetzliche Hürden einfach mal so übersprungen", sagt Sattler. "Wie kann es sein, dass in einem Rechtsstaat auf Zuruf sehr sensible Daten von meinem Rechner gezogen werden?", fragt Sattler. "Ich würde gerne wissen, wer hier wen beauftragt hat."

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