Kritik an Seehofers Trassen-Kompromiss:"Das ist ein Null-Ergebnis"

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Er sollte keine Trasse durch Bayern gehen, nun kommen vermutlich zwei: Horst Seehofer hat auf dem Koalitionsgipfel eingelenkt. (Foto: dpa)
  • Die Enttäuschung und Verärgerung über das Einlenken von Horst Seehofer im Stromtrassen-Streit ist groß in der bayerischen Bevölkerung.
  • Aber nicht nur unter Trassengegnern rumort es. Naturschutzverbände kritisieren die Entscheidung als "faulen Kompromiss".
  • Für diese Kritik hat Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner kein Verständnis. Sie bezeichnet den Kompromiss, der auf Bundesebene ausgehandelt wurde, als einen Riesenerfolg.

Von K. Auer, D. Kuhr, C. Sebald und W. Wittl, München/Nürnberg

Sie hatten bereits befürchtet, dass Horst Seehofer einlenkt und beide Stromautobahnen nach Bayern doch errichtet werden. Dennoch sind Enttäuschung und Verärgerung jetzt groß. "Das ist nichts, das ist ein Null-Ergebnis", schimpft Hubert Galozy vom Aktionsbündnis gegen die Gleichstrom-Übertragungsleitungen. "Da diskutiert die Staatsregierung eineinhalb Jahre mit uns, verkündet die Formel zwei minus x, und jetzt kommen beide Trassen. So eine Farce haben wir wirklich nicht erwartet."

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Josef Loderer vom "Energiebündel Eichstätt" fühlt sich "vor den Kopf gestoßen". Wie Galozy vertritt er eine der vielen Initiativen, denen Seehofer im vergangenen Jahr stets versichert hat, er werde sich gegen Stromtrassen einsetzen. Jetzt sagt Loderer: "Es ist uns nie um kosmetische Verbesserungen gegangen. Die neuen Leitungstrassen sind vollkommen überflüssig. Man braucht sie nicht, wir wollen sie nicht."

Nicht nur Trassengegner sind enttäuscht

Aber nicht nur Trassengegner sind enttäuscht von der Übereinkunft, die Ministerpräsident Horst Seehofer, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) in der Nacht auf Donnerstag ausgehandelt haben. Auch in den Umweltverbänden und unter den Kommunalpolitikern rumort es. Beim Bund Naturschutz sprechen sie von einem "faulen Kompromiss". "Seehofers Einknicken ist ein Rückschlag für die dezentrale Energiewende in Bayern", sagt BN-Chef Hubert. "Nun drohen Milliarden Euro teure Fehlinvestitionen, von denen nur die Netzbetreiber profitieren."

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Für diese Kritik hat Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner kein Verständnis. Ihrer Ansicht nach ist der Kompromiss ein Riesenerfolg. Statt 420 Kilometer neuer Stromtrassen quer durch Bayern seien jetzt aller Voraussicht nach nur noch etwa 30 Kilometer an neuen Leitungen nötig. Alles andere werde entweder per Erdkabel verlegt, auf bestehende Leitung gelegt - oder falle ganz weg. So habe man beispielsweise eine deutliche Verbesserung bei der Suedlink-Trasse erreicht, die Strom aus dem Norden nach Unterfranken ins Kraftwerk Grafenrheinfeld bringen soll. Bisher war geplant, dass die Leitung von dort aus weiter ins baden-württembergische Großgartach führt. Doch stattdessen verlaufe der Suedlink nun weiter westlich und bekomme lediglich einen Abzweig nach Grafenrheinfeld, was einige Kilometer Leitung erspare.

Verbesserungen bei der Süd-Ost-Passage

Auch bei der besonders umstrittenen Süd-Ost-Passage, die nach bisherigem Plan Strom aus dem Nordosten Deutschlands durch die Oberpfalz, Ober- und Mittelfranken bis nach Gundremmingen transportieren sollte, wurden laut Aigner Verbesserungen erzielt. So soll die Bundesnetzagentur jetzt prüfen, ob der Endpunkt von Gundremmingen in das Kraftwerk Isar I in der Nähe von Landshut verlegt werden kann. Dann wären deutlich kürzere Leitungen nötig.

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Zudem sollen auch sie überwiegend per Erdkabel verlegt werden. Aigner stellte klar: Alle Planungen über Trassenverläufe würden von vorn beginnen, weil man jetzt grundsätzlich von Erdverkabelung ausgehe. Wo das nicht funktioniere, werde man auf bestehende Leitungen zurückgreifen. Und nur für den Fall, dass es keine Bestandstrassen gebe, würden neue Leitungen gebaut. Wegen der teuren Erdverkabelung koste der gesamte Trassenausbau deshalb bundesweit elf Milliarden Euro mehr, also statt 23 etwa 34 Milliarden. Für die Verbraucher bedeute das: "Sie müssen in den kommenden 40 Jahren 0,1 Cent pro Kilowattstunde mehr bezahlen."

Erdverkabelung wäre eine Option

In Niederbayern zeigt man sich trotz des möglichen Endpunkts Isar I vorsichtig optimistisch. "Eine Erdverkabelung würden wir akzeptieren", sagt der Landshuter Landrat Peter Dreier (Freie Wähler). Uwe Raab, Bürgermeister von Pegnitz und Sprecher des kommunalen Bündnisses gegen die Gleichstrompassage Süd-Ost, sagt, Erdverkabelung sei zwar ein Fortschritt, aber der Konflikt bleibe. Denn er und seine Mitstreiter halten die Leitungen grundsätzlich für überflüssig. Statt in Zukunft unter großem Aufwand Windstrom aus dem Norden nach Süden zu transportieren, fordern sie eine dezentrale Stromerzeugung.

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Ähnlich sieht das weiter westlich Florian Töpper (SPD), Landrat von Schweinfurt. "Wir müssen wachsam bleiben", sagt er. Wenn Grafenrheinfeld tatsächlich entlastet und nur mit einem Abzweig mit der Trasse verbunden werde, dann sei das schon ein ganz gutes Ergebnis. Aber auch er glaubt nach wie vor, dass es ohne Trassen gehen müsste.

Bei Trassenbefürwortern wie den Landtagsgrünen können Seehofer und Aigner mit der Übereinkunft nicht punkten. Zwar begrüßt Fraktionschef Ludwig Hartmann das "Ende der zweijährigen CSU-Totalblockade beim Netzausbau". Doch "Erdverkabelung und Nutzung von Bestandstrassen - das hätten wir alles schon 2013 haben können". Die CSU habe sich all die Zeit stets verweigert.

© SZ vom 03.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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