Kreuth:"Alles halb so wild"

Seehofer erleidet Schwächeanfall

CSU-Chef Horst Seehofer erleidet während der Klausurtagung in Wildbad Kreuth einen Schwächeanfall.

(Foto: dpa)

Trotz Schwächeanfalls will CSU-Chef Seehofer weiter an der Klausur in Wildbad Kreuth teilnehmen - und die Kanzlerin bei ihrem Besuch am Mittwoch nicht schonen.

Von Sebastian Beck und Wolfgang Wittl, Kreuth

Horst Seehofer kommt wie immer mit einem Lächeln nach Kreuth. Er genießt es, wenn sich Kameraleute vor ihm aufbauen, wenn Journalisten ihre Blöcke zücken - und der CSU-Chef ihnen und der gesamten Welt erklären kann, was gerade mal wieder schief läuft. Auch am Dienstag stellt sich Seehofer bereitwillig. Er zündelt in Richtung Bundeskanzlerin Angela Merkel, wenn auch nicht so heftig, wie er es schon getan hat.

Seehofer grinst, plauscht noch ein wenig, geißelt Zeitungsberichte als "Scherzartikel" und verabschiedet sich mit den Worten: "Ich wünsch' euch was." Dann entschwindet er in die langen Gänge des Tagungszentrums in Wildbad Kreuth. Wenige Minuten später sind es viele in der CSU, die ihm etwas wünschen. Es geht wieder mal um Seehofers Gesundheit.

Was während der Sitzung passiert ist

Es ist kurz vor 16 Uhr, als die Nachricht die Runde macht, Seehofer sei vor der Fraktion umgekippt. Sitzungsteilnehmer schildern, der Ministerpräsident sei gegen Ende seiner Ausführungen ins Stocken geraten, die Stimme immer brüchiger geworden. Die Tagesordnung war extra geändert worden, damit Seehofer aus aktuellem Anlass zum Thema Asyl und Sicherheitspolitik sprechen konnte. Ganz bei sich sei der Chef gewesen, sagt ein Vertrauter, eine hervorragende Rede habe Seehofer gehalten, er wisse haargenau, was er wolle.

Die Fraktion soll auf Merkels Besuch an diesem Mittwoch eingeschworen werden, Seehofer wirbt um Unterstützung im Umgang mit der CDU, da braucht er im Wortsinne auf einmal selbst Unterstützung und muss vom Pult zu seinem Platz geführt werden. Nach einer kurzen Pause spricht der Ministerpräsident im Sitzen weiter, es brandet lang anhaltender Beifall auf. Notarzt und Krankenwagen werden wieder weggeschickt, Seehofer nimmt weiter an der Sitzung teil.

"Alles halb so wild", sagt ein Mitarbeiter. Doch das Thema ist sensibel, seit Seehofer 2002 eine lebensbedrohliche Herzmuskelentzündung erlitten hatte. Seither achtet er genau auf Signale seines Körpers, nun macht ihm offenbar eine Grippe zu schaffen, wie er den Abgeordneten sagte. Den Montag soll er im Bett verbracht haben, heißt es. Schon am vergangenen Freitag sei er bei einem Treffen mit der Jungen Union angeschlagen gewesen. Ein Schwächeanfall, und das ausgerechnet vor dem Showdown mit der Kanzlerin.

Seehofer hatte in der Vergangenheit bereits gesundheitliche Probleme

Es war schließlich nicht das erste Mal, dass Seehofer unpässlich wirkte: Zuletzt kippte er Ende Juli 2015 während der Festspiel-Premiere in Bayreuth um: Gegen Ende der Aufführung in dem sehr heißen Saal hatte er sich unwohl gefühlt und musste vorsichtshalber per Notarzt ins Bayreuther Klinikum gefahren werden. Am folgenden Montag war er bereits wieder pünktlich zum Dienst erschienen, was seine Mitarbeiter als sicheren Beweis dafür sahen, dass es ihm wieder gut ging.

Seehofer hat als Ministerpräsident und CSU-Parteichef einen Knochenjob, der auch Jüngere und Trainierte an die Grenze der Leistungsfähigkeit bringen würde. Vor allem im Winter kämpft Seehofer immer wieder mit hartnäckigen Erkältungen. Oft ist er heiser, wenn er auf dem Politischen Aschermittwoch der CSU in Passau auf der Bühne steht. Doch im Jahr 2009 hatte er sich trotzdem mit Grippe und Fieber dem Publikum präsentiert - und hatte offensichtlich Kreislaufprobleme.

Auch auf dem CSU-Parteitag 2014 hatte er in seiner Rede sichtlich mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. "Ich danke dem Herrgott, dass ich wider Erwarten das jetzt durchgestanden habe", sagte er am Ende seiner Rede erschöpft. Auch am Dienstag bemühte man sich in der CSU-Fraktion, den Vorfall nicht zu dramatisieren: Seehofer werde die Klausur fortsetzen, hieß es zunächst. Und: Die Unpässlichkeit während seiner Rede sei weniger schlimmer gewesen als in Bayreuth, alles halb so schlimm. Er werde auch am Dienstagabend weiter an den Sitzungen in Wildbad Kreuth teilnehmen.

Was ein Ausfall Seehofers bedeuten würde

Der Gesundheitszustand von Horst Seehofer ist immer wieder Gegenstand von Spekulationen. Nach dem Vorfall in Bayreuth hatten sofort wieder Gerüchte die Runde gemacht, der Ministerpräsident könne möglicherweise nicht bis zum Ende seiner Amtszeit im Jahr 2018 durchhalten. Er selbst hatte seine politische Zukunft bereits mehrmals mit seiner körperlichen Verfassung verknüpft, zugleich aber stets versucht, alle Zweifel daran zu zerstreuen.

Zumal für den Fall seines krankheitsbedingten Ausscheidens derzeit nur ein einziger Nachfolger infrage käme, den er aber unbedingt verhindern will: Finanzminister Markus Söder. Das Signal der Stärke, das die CSU vor Merkels Ankunft an diesem Mittwoch um 17 Uhr aussenden will, soll durch den Schwächeanfall nicht beeinträchtigt werden. Es steht viel auf dem Spiel.

Die Entschlossenheit der Abgeordneten ist groß, das wird in allen Gesprächen deutlich. Es sei nicht selbstverständlich, dass die Bundeskanzlerin eine Landtagsfraktion besuche, sagt Fraktionschef Thomas Kreuzer höflich. "Menschlich freundlich" soll die Diskussion ablaufen, "aber wir werden von unseren Forderungen keine Abstriche machen". Man erwarte zwar nicht, dass Merkel ihre Politik in den Bergen von Kreuth vom einen auf den anderen Tag ändere, aber Eindruck soll die Debatte bei der Kanzlerin schon hinterlassen. "Nicht geschont" werde die Bundeskanzlerin, so lautet der Tenor.

Wie sich die CSU gegen Merkel in Stellung bringt

Führende CSU-Politiker bringen sich schon seit Tagen in Stellung. Am Dienstag ist es Innenminister Joachim Herrmann, der den Reigen eröffnet. Wer aus einem sicheren Nachbarland einreise, könne sofort abgewiesen werden und habe keinen Anspruch auf Asyl. "Das ist keine Erfindung der CSU, sondern geltendes deutsches Recht."

Kreuzer kann sich einen Einsatz der Bundeswehr an den Grenzen vorstellen, wenn sich die Situation nicht bessere. Er sei fest davon überzeugt, dass es in absehbarer Zeit keine europäische Lösung geben werde, die ja Merkel propagiert. "Ich bin überzeugt, dass wir uns durchsetzen werden", sagt Kreuzer. Die CSU probt den Schulterschluss mit der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), man fordere eine deutliche Begrenzung der Flüchtlingszahlen und die Sicherung der Grenzen. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz soll am Abend zuvor vor CSU-Abgeordneten gesagt haben: "Wenn Deutschland die Grenzen schließt, applaudiere ich."

Die Reduzierung der Zahl der ankommenden Flüchtlinge und ihre Integration - diese zwei Aufgaben bewegen die CSU-Abgeordneten bei ihrer Winterklausur mehr als alles andere. Und nun haben sie vieles von dem Schwarz auf Weiß, was sie in der Partei seit Wochen zu wissen glaubten. "Alles, was wir vorschlagen", sei mit einer mehr als 90-prozentigen Zustimmung durch die bayerische Bevölkerung gedeckt, sagt Markus Blume, der Chef der CSU-Grundsatzkommission.

Umfrage zur Obergrenze für Flüchtlinge

Ihre Erkenntnisse bezieht die Fraktion aus einer repräsentativen Umfrage des Forschungsinstituts "Policy Matters". 71 Prozent der Menschen im Freistaat halten demnach eine Obergrenze für Flüchtlinge für notwendig. Die hohe Zahl von Flüchtlingen bereite 68 Prozent der Befragten große oder sogar sehr große Sorgen. Im September war es gut die Hälfte gewesen. 31 Prozent sagen dagegen, sie hätten angesichts der Entwicklung nur geringe oder gar keine Sorgen. 64 Prozent der Menschen sind der Ansicht, dass sich die Integration an den Spielregeln der hiesigen Gesellschaft, also der "Leitkultur", ausrichten müsse.

Diese Spielregeln werden genauer definiert. Dass Männer und Frauen gleich behandelt werden müssten, dass Bürger friedlich zusammenleben, dass der Staat für Recht und Ordnung sorge - darüber herrscht laut der Umfrage Konsens in Bayern. Dass ein Mann einer Frau aus religiösen Gründen den Handschlag verweigert, dass öffentliche Speisepläne nach muslimischen Traditionen bestimmt werden - das hingegen ist schwer vorstellbar für die Bayern. Die CSU ist davon überzeugt, dass dies in die Verfassung aufgenommen werden muss. Es gehe nicht um Rezepte von gestern, sagt Blume, sondern um Konzepte für heute und morgen.

Als am Dienstagabend über die zwölf Punkte gesprochen wird, die Angela Merkel als Forderungskatalog zur Flüchtlingspolitik überreicht werden sollen, diskutiert Horst Seehofer schon wieder eifrig mit. Als wäre zwei Stunden vorher nichts geschehen, sagt ein Abgeordneter. Doch davon konnte keine Rede sein. Weiß wie die Wand sei der CSU-Chef plötzlich geworden, kaum dass er sich noch am Rednerpult habe halten können. Letztlich aber habe Seehofer völlig unaufgeregt reagiert - im Gegensatz zu seiner Fraktion: "Wer geschockt war, das waren wir", berichtet ein Fraktionsmitglied. Und mancher habe dem Ministerpräsidenten zugeraunt, dass man ihn noch länger brauche.

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