Kratzers Wortschatz:Zermalmtes Zeitlang

"Ich hab' so Zeitlang nach Dir!" - das haben Scharen verliebter Jünglinge ihren Angebeteten geschrieben. Jetzt dürfen sie das nicht mehr

Heimweh

Zu den Besonderheiten des Bairischen zählt der Diphthong oa, der in der Schriftsprache nicht vorkommt. Viele schriftdeutsche ei werden in Altbayern oa ausgesprochen. Jedoch nicht alle, Wörter wie Fleisch, Geist und Seil behalten das ei, während aus daheim im Bairischen dahoam und aus Heimat Hoamat wird. Das Wort Heimweh wird jedoch nicht verändert. Auch im Dialekt heißt es Heimweh.

Nun hat aber die Passauer Neue Presse ihr neues Magazin für Wandern, Wellness und Kulinarik mit dem Titel "Hoamweh" geschmückt. Anders ausgedrückt: Auf der "Dahoam- und Hoamatwelle" mitsurfend, haben die Passauer das Heimweh brachial verbaiert. Zahlreiche Kunstwerke, Lieder und Bücher aus allen Jahrhunderten kreisen um Heimweh, jenes schmerzende Gefühl, fernab der Heimat zu sein. 1651 wurde das Wort erstmals erwähnt, in der Zeit der Romantik erlebte es eine Hochkonjunktur. Es Hoamweh zu nennen, wagte erst die Passauer Presse. Sie hätte besser ein richtiges bairisches Wort genommen, nämlich Zeitlang.

Zeitlang

Zeitlang zählt zu den schönsten Wörtern des deutschen Sprachraums überhaupt. Es steckt mehr Poesie in diesem einen Wort als in hundert Schmalzromanen zusammen. Leider geht der Sprachwandel schäbig mit dieser Perle der Liebeslyrik um. Scharen von verliebten Jünglingen haben ihren Angebeteten sehnsuchtsvolle Zeilen geschrieben: "Ich hab' so Zeitlang nach Dir!"

Das moderne Deutsch aber hat keinen Sinn für Poesie, es besitzt die Feinfühligkeit einer Planierraupe und klingt im täglichen Fernsehbrei wie das Kreischen einer Schredderanlage. In so einem Umfeld werden Begriffe wie Zeitlang zermalmt. Die grauen Bürokraten der Rechtschreibreform malträtierten Zeitlang schon in den 90er Jahren, als sie das Wort ohne Sinn und Verstand trennten (Zeit lang). Manche Deutschlehrer streichen Zeitlang in Schüleraufsätzen rot an, ein Akt der Bildungsbarbarei.

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