Kratzers Wortschatz:Der Zwist von zwei Extrigen verwundert ganz Deutschland

Politiker sind ja eine besondere Spezies. Und da kann es sein, dass sich zum Beispiel Merkel und Seehofer verhaltensoriginell in Szene setzen.

Kolumne von Hans Kratzer

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extrig sein

FILE - Chancellor Merkel's Coalition At Risk After Clashes With Her Interior Minister, Horst Seehofer Over Refugee Policy

Quelle: Carsten Koall

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) bekämpfen sich im aktuellen Asylstreit bis aufs Messer. Die führenden Kräfte der Unionsparteien werden als herausragende Dickschädel in die Geschichte eingehen. Im Bairischen gibt es für Menschen, die sich vernünftigen Vorschlägen trotzig widersetzen, die Formel setzig sein. Über ein Kleinkind, das sich vor lauter Trotz auf den Boden wirft, sagt man: "Mei, is der Bua heut wieder setzig!"

Bei Mitgliedern der Bundesregierung ist davon auszugehen, dass sie das frühkindliche Stadium des Setzigseins bereits durchmessen haben und dass ihr Wesen durch diese Transformation gereift ist. Wenn sich Politiker trotzdem verhaltensoriginell in Szene setzen - etwa wie ein schlecht erzogener Fußballer oder eine schrille Filmtussi -, dann gelten sie im Volksmund aber nicht als setzig, sondern als extrig. Heißt es von einer Frau, sie sei eine Extrige, dann verkörpert sie das Gegenteil einer allerliebsten Person. Deutschland erlebt gerade einen Zwist von zwei extremen Extrigen, ein bisserl extrig aber sind wir doch eigentlich alle.

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blietschen

Zahnarzt in München

Quelle: Stefanie Preuin, SZ

Eine umtriebige Dame, die für den Einzug in den Landtag kandidieren will, gab neulich kund, sie habe gerade gar keine Zeit, sie müsse nämlich zum Zahnarzt, um sich die "Zeen blietschen" zu lassen. Zu deutsch: Sie wolle sich, um auf dem Wahlplakat vorteilhaft auszusehen, die Zähne bleachen lassen. Bleachen kommt vom englischen Verb to bleach und bedeutet: bleichen, weiß machen.

Ähnlich wie manch anderer englische Begriff (cool, funny) klingt bleachen fast wie ein bairisches Wort. Ein hiesiger Ursprung ist gar nicht so abwegig. Immerhin gab es früher den Bleichanger, eine Wiese, auf der die Wäsche getrocknet und gebleicht wurde. Mithilfe von Bleichmitteln wurden Verfärbungen und Vergilbungen beseitigt. In der Straubinger Gegend existiert noch der Hausname Bleichschneider. Als die aus dem Anwesen stammenden Menschen einst ihrem Handwerk nachgingen, ahnte aber noch niemand, dass sich spätere Generationen statt der Wäsche lieber die "Zeen blietschen lassen".

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Schaueramt

Gewitterblitze über München

Quelle: Matthias Balk/dpa

So schön der Frühsommer bis jetzt gewesen ist, so zerstörerisch sind die Regengüsse und Hagelschläge, die sich nach der Schwüle solcher Tage entladen. Früher sagte man statt hageln auch schauern. Der Sprachforscher Ludwig Zehetner deklariert Schauer als altes germanisches Wort, das mit dem englischen shower verwandt sei. Tatsächlich war der Begriff "scûr" schon vor 1200 Jahren für Sturm und Hagel gebräuchlich. In Bayern hat er die Zeiten überdauert.

In so mancher Pfarrei stehen im Mai und im Juni Schauerämter im Gottesdienstanzeiger. Erst vor kurzem hat die Pfarrei Waldsassen im Stiftland ein Schaueramt und eine Flurprozession abgehalten. Der Sprachforscher Johann Andreas Schmeller erklärte das Schaueramt im frühen 19. Jahrhundert als eine gesungene Messe mit der Bitte um Abwendung von Hagelwetter. Der Freitag nach Christi Himmelfahrt heißt heute noch Schauer-Freitag, weil an jenem Tag häufig Flurprozessionen stattfinden, die ein Gedeihen der Feldfrüchte fördern und den Hagel abwehren sollen. Der Brauch stammt aus Zeiten, in denen die Menschen nach Ernteverlusten sogar vom Hungertod bedroht waren. Fromme Bauernfamilien zündeten deshalb geweihte Wetter- oder Schauerkerzen an, wenn sich ein Unwetter näherte. Auch auf den Feldern stellten sie hölzerne Schauerkreuze auf, um in Zeiten ohne Hagelversicherung, Supermärkte und Internet ihre Existenz zu retten.

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Wetter (Weda)

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Quelle: SZ

Das Wort Wetter, gesprochen Weda, steht in Bayern für die allgemeine Wetterlage, meint speziell aber das Gewitter. Wenn Landwirte, die erfahrene Wetterbeobachter sind, zum Horizont blicken und dann sagen: "Da steht a Weda hint!", so ist das bedeutungsschwerer, als es klingt. Man spürt bei diesen Worten förmlich die Gefahr, die sich am Firmament zusammenballt und die dunkle Macht, welche Haus und Hof bedroht.

"Wödaschwüln" lautet ein Gedicht der Bayerwalddichterin Emerenz Meier, in dem sie dieses Naturphänomen so ergreifend beschreibt, dass es dem Leser unter die Haut geht: "Mi würgt der Wind, mi druckt der Tag ... Schwül wirds, es kimmt a Wödaschlag ..." In Ober- und Niederbayern sind gelegentlich die Spezialausdrücke Grohweda (schlechtes Wetter) und Scheeweda (schönes Wetter) zu hören. In der TV-Serie "München 7" sagt ein Polizist in einer Szene: "D'Affn steing, Scheeweda werds!" Heute werden die Wörter Sauwetter und Grohweda vom Begriff Schmuddelwetter verdrängt, der aber auch nicht vornehmer klingt.

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Pompfüneberer

Beisetzung von Max Mannheimer in München, 2016

Quelle: Johannes Simon

Der österreichische Musiker Stefan Leonhardsberger und seine Band verschmelzen in ihren Liedern Geschichten aus den Rändern der Alpenrepublik mit dem treibenden Sound der Südstaaten. Dieses Gemisch nennt sich Austrofolk. Auch der Name der Band passt gut dazu, sie heißt Pompfüneberer. Das Wort klingt noch erhabener, wenn man das deutsche Pendant Bestatter gegenüberstellt, das so kalt und leer wie der Tod ist. Ein Begriff wie Bestatter kann sich nur in einem Land durchsetzen, das kein solides Verhältnis zum Tod hat. Für Bayern und Österreich gilt das nicht, hier übertrumpft vor allem die schöne Leich die Tristesse der Vergänglichkeit.

Pompe funèbre hießen früher die prunkvollen Begräbnisse von Großkopferten und Mächtigen. Als Zelebranten des letzten Erdenwegs dienen in Wien bis heute die Pompfüneberer (Pompfinebrer), die als Angestellte von Bestattungsunternehmen schwarz uniformiert sind, einst aber prunkvoll livriert waren. Vermutlich entstammt der Begriff einer Verballhornung des Namens des Bestattungsunternehmens "Entreprise des pompes funèbres". Etwas derbere Begrifflichkeiten pflegt man im südlichen Bayern, wo anstelle des Pompfinebrers der Doudnbaggerl (Totenpacker) tätig ist. Dieses Amt erledigten auch Frauen, was Lena Christs Roman "Rumplhanni" belegt: "Unterdessen hat der Hufschmiedpauli seiner Mutter, der alten Totenpackerin von Helfendorf, einen Abschiedsbrief geschrieben." Die Pompfüneberer treten übrigens am Freitag, 18. Mai, im Jakobmayersaal in Dorfen (Landkreis Erding) auf.

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Blinder Brem

FC Bayern Muenchen v VfB Stuttgart - Bundesliga

Quelle: Bongarts/Getty Images

Unlängst war an dieser Stelle von den Bremsen (Stechmücken) die Rede, die auch Brem genannt werden. Zwei Leser teilten mit, diesen Begriff gebe es auch in der Sprache der Fußballer. Einer, der das Tor nicht trifft, sei ein blinder Brem. Das galt einst auch für den Spieler Karl-Heinz Rummenigge, der als Jüngling manchmal orientierungslos wirkte. Franz Beckenbauer verpasste ihm deshalb den Spitznamen "Rummelfliege" (auf bairisch "blinder Brem").

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Bremsen

Stechmücke

Quelle: dpa

Im jüngsten Abonnentenbrief des SZ-Chefredakteurs wurde das oft so lästige Treiben von Insekten thematisiert und ein alter Kernsatz des Abwehrkampfes zitiert: "Mach's Liacht aus, Bua, de Brems'n kemma!" Auch wenn ihre Zahl abnimmt, so sind Mücken und Bremsen immer noch eine Plage. Das weidende Vieh wird besonders arg drangsaliert, und zwar von den großen Rossbremsen.

Im Bairischen werden sie Brem genannt, manchmal auch Brembeißer, weil sie so schmerzhaft zubeißen. Bauernkinder mussten früher die Ochsen und Rösser mit einem Steckerl schützen, sie sollten "die Brema daschlong" (erschlagen). Manchmal half nur noch das Bremöl. Autor Hans Niedermayer schreibt in seinem Buch "Kind in einer anderen Welt": "Der Ochse roch bei der Feldarbeit im Sommer immer nach Bremsenöl. Er wurde beim Einspannen zum Schutz gegen Bremsen und Fliegen mit diesem Öl bestrichen."

Damals war das Quälen von Insekten ein beliebter Zeitvertreib. Steckte man einen Grashalm durch den Körper von Rossbremsen, begannen sich die Tiere in ihrer Not zu drehen wie der Rotor eines Hubschraubers. Fasziniert schauten die Kinder zu, welcher Brem sich am längsten drehte. Die Erwachsenen sahen das nicht so gerne. Erschlagen durfte man die Bremsen schon, quälen sollte man sie nicht. Wer erwischt wurde, empfing eine Watschn.

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bremsig

Mückenplage nach dem Hochwasser

Quelle: picture alliance / dpa

Bremsen und sonstige Insekten verbreiten Hektik und Unruhe. Das drückt auch das Adjektiv bremsig aus. Eine bremsige Person ist von Unrast getrieben. Bremsig drückt zudem eine sexuell überaktive Haltung aus, solche Personen gelten auch als gamsig und wepsig. Vor Jahren hat uns eine Leserin folgenden Text eines Kammerfensterlieds geschickt: "Die Moral, ja jeder kennt sie: / Seit auf d'Madln ned so bremsig / Denn wer die Geschichte kennt, Weiss! / Sie nimmt ein tragisch's End."

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Fadesse

Senta Berger

Quelle: picture alliance / dpa

Der Musiker Ernst Molden hat neulich im Gespräch mit der SZ bestritten, dass Österreich eher fad sei. "Es ist überhaupt nicht fad", sagte er, in Wien führten die Leute ein relativ weltoffenes Dasein. In dem Wort fad hallt die Grundstimmung der Langeweile, die es ausdrückt, geschmeidig nach. Edel klingt auch das Substantiv Fadesse, das in Österreich gebräuchlich ist. Im Fußball gehe die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auf, argumentierte die Zeitung Der Standard, "es droht Fadesse, Bayern München wird immer Meister." Dass einem überall fad werden kann, bestätigte die Schauspielerin Senta Berger (im Bild), nachdem sie aus Amerika zurückgekehrt war. "Dort ist mir fad geworden", sagte sie.

Fadesse killt auch Beziehungen, erst recht, wenn der Mann ein fader Zipf ist und die Frau eine fade Nocken. In der Krimiserie "Schnell ermittelt" sagte ein Kommissar über einen Stenz: "Scheinbar is eahm mit dera a scho wieder fad!" Das Wort fad wurzelt im Französischen (fade=reizlos) und im Lateinischen (fatuus=albern). Und herzergreifend auch in einem Verb, das die Schauspielerin Veronika von Quast im BR-Stammtisch auf die Frage, warum sie keinen Fernseher besitze, serviert hat: "Weil mi 's Fernsehen fadisiert!"

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Furtgeh

Gisela Stuart, die die Brexit-Kampagne mitorganisiert hat, in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften vor einer Podiums-Diskussion. (Alfons-Goppel-Str. 11).

Quelle: Florian Peljak

Die frühere britische Labour-Abgeordnete Gisela Stuart war kürzlich zu Besuch im niederbayerischen Vilstal, wo sie aufgewachsen ist. 1974 ging sie nach Großbritannien, um ihr Englisch zu verbessern. Sie blieb dort, gründete eine Familie und wurde Politikerin. "Die Gisela kenn ich ja noch vom Furtgeh her", erinnert sich ein Zeitgenosse aus der ländlichen 68er-Szene. Furtgeh ist im südlichen Niederbayern und im nördlichen Oberbayern ein Synonym für das Weggehen, für den Besuch einer Tanzveranstaltung, einer Disco. In diesem Fortgehen schwingt die Sehnsucht junger Menschen in der einst strengen bäuerlichen Dorfgesellschaft mit. Wer eine Tanzveranstaltung besuchen durfte, erlebte Freiheit und Ungezwungenheit wie sonst nie. "Geh von daheim für immer fort", sang einst die Gruppe S.T.S. in ihrem Lied "Irgendwann bleib i dann dort". Während ihre Schulkameraden das Furtgeh auf das Wochenende beschränkten, ging Gisela Stuart für immer fort in ihre englische Wahlheimat.

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Fasson

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Quelle: Claus Schunk

Fast zehn Jahre lang hat Helmut Markwort den BR-Sonntags-Stammtisch geleitet, am Sonntag war sein letzter Auftritt. Markwort kandidiert bei den Wahlen für den Bayerischen Landtag, was eine Weiterbeschäftigung im Fernsehen ausschließt. Die voluminöse Haarpracht von Markwort war diesmal frisch gestutzt. Er trug einen Fassonschnitt, wie man im Bairischen sagt. Das Wort Fasson hat viele Bedeutungen, es bezieht sich nicht nur auf den Stil der Frisur. Der Mensch kann ganz nach seiner Fasson leben. Weniger erhebend ist es, wenn eine aufwendig gestylte Frisur aus der Fasson gerät. Der Dorffriseur Wastl Pitz aus Neufraunhofen fragte seine Kunden schon vor Jahrzehnten: "Magst a Fasson oder gleich a Glatzn?"

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Luser

Feldhase

Quelle: dpa

Das Bayerische Fernsehen wiederholt gerade die Serie "Löwengrube - Die Grandauers und ihre Zeit". In der vergangenen Folge ("Heimtücke") kam es zu einem interessanten Dialog zwischen Karl Grandauer (Jörg Hube) und seiner Frau Traudl (Christine Neubauer), deren Bruder Kurt von Nazi-Spitzeln denunziert und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Weil sie der Oma diese bittere Wahrheit ersparen wollen, unterhalten sich Karl und Traudl im Wohnzimmer bei Grammophonmusik, denn Karl befürchtet, die misstrauisch gewordene Oma horche an der Tür. Er sagt zu Traudl: "Ned, dass sie wieder ihre Luser aufstellt."

Das mittlerweile fast ausgestorbene Wort Luser hängt mit dem Verbum lusen zusammen, einem Synonym für zuhören, lauschen, horchen. Ludwig Thomas berühmtes Stück "Heilige Nacht" beginnt so: "Jetzt, Leuteln, jetzt loosts amal zua!" Der BR-Sprecher Johannes Hitzelberger eröffnet Volksmusiksendungen heute noch mit dem Satz: "Daad mi gfrein, wenns wieder zualusn!" Lusen wurzelt im althochdeutschen hlosen (lauschen). Luser sind dementsprechend die Ohren. "Hör bitte zu!" heißt also auf Bairisch: "Stell (sperr) deine Luser auf!"

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Gfries

Premier League - Everton vs Liverpool

Quelle: REUTERS

Fußballtrainer verlieren leicht die Selbstbeherrschung, wie man der Sportschau jederzeit entnehmen kann. Kameraden wie Jürgen Klopp (FC Liverpool) und Christian Streich (SC Freiburg) geraten bisweilen dermaßen in Rage, dass sich ihre Gesichter zu Kampfhund-Grimassen verziehen, zu einem Gfries, wie es auf Bairisch heißt. Normalerweise ist das Gfries ein Stilmittel von Comedians, die gedankliche Blässe durch grenzdebile Mimik zu kaschieren versuchen. Aus etymologischer Sicht ist das Gfries mit der Fresse (Mund) verwandt. Einen Menschen, der ein Gfries aufsetzt, um andere zu provozieren, nannte man früher einen zahnerten Holzfuchs. Wer vor Millionen Zuschauern wegen einer Nebensache wie Fußball ausrastet und wutverzerrte Gfrieser schneidet, der ist eine arme Sau.

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Trauermette

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Quelle: Claus Schunk

Die beim Passionskonzert in der Pfarr- und Klosterkirche Windberg (Kreis Straubing-Bogen) aufgeführten Leçons de ténèbres von Francois Couperin (1668-1733) sind auch sprachlich interessant. Das französische Wort ténèbres geht auf das lateinische tenebrae (eigentlich: Finsternis) zurück. Das ist wiederum die Bezeichnung für die Trauermette, die ursprünglich ein kirchliches Stundengebet an den Kartagen war.

Im Bairischen ist vor allem die Christmette als Mettn bekannt (das e wird hell gesprochen, wie bei Schnee). Das Wort wurzelt im lateinischen hora matutina (der Morgen). Daraus wurde im Althochdeutschen mattina und im Mittelhochdeutschen mettine. Aber auch Kinder, die poltern, plärren und kreischen wie die Wilden, machen eine Mettn. "Der Begriff des Lärmens ist mit dem der Mettn so sehr verschwistert geblieben, dass dieses Wort in den meisten Fällen schlechthin statt Getöse, Gepolter, Geschrey gebraucht wird", schreibt der Sprachforscher Schmeller im 19. Jahrhundert.

Aber selbst in der Bedeutung Lärm steckt in der Mettn ein christlicher Ritus, die bereits erwähnten horae matutinae. Das waren Frühgottesdienste in der Karwoche, bei denen die Kirchgänger mit Stöcken und Steinen gegen die Kirchenbänke schlugen, um den Verräter Judas zu erschrecken. Heutzutage lebt dieser Brauch in der knatternden Ratschn fort, die an den Kartagen die Glocken ersetzt.

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rotschopfert

Schrottgalerie - Kupferdache

Quelle: Peter Hinz-Rosin

In einer Konzertkritik der Ebersberger SZ war ein herrliches Wort zu lesen: "Die rotschopferte Chiemgauer Band Kupferdache bespielt die Glonner Schrottgalerie mit Herzblutsound", titelte das Blatt. Jene Leser, die noch einen Funken Gespür für das Südhochdeutsche besitzen, überkam gewiss ein dankbares Lächeln für diese Hommage an das Adjektiv rotschopfert. Laut diesem Bericht trugen die Musikerinnen rote Haare in nuancierten Abstufungen, zwei von ihnen bevorzugten ein kräftiges Zinnoberrot, die anderen ein minder sattes Rot. Zwangsläufig fällt einem da der alte Spruch aus der Ära des Geschlechterkampfes ein: "Regen, Regen, Tropfen, Deandl muas ma schopfen!" (an den Haaren ziehen).

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Schbozn

Spatz

Quelle: Nicolas Armer/dpa

Am 20. März ist Weltspatzentag. Der Allerweltsvogel Spatz pfeift in Stadt und Land immer seltener, weil er kaum noch Mauerspalten findet, in denen er nisten kann. Zumindest im Reich der Sprache hat sich der kleine Vogel gut etabliert. Im Bairischen nennt man die Spatzen Schbozn, das o wird so offen gesprochen wie beim Wort Blosn. Die geringe Wertschätzung der Schbozn kommt auch beim Schafkopfen zur Geltung. Bei diesem Kartenspiel heißen die Karten, die keine Punkte bringen (Siebener, Achter, Neuner), ebenfalls Schbozn. Geringschätzige Blicke ernten auch Männer mit Steckerlhaxen und mickrigen Wadln, man nennt sie Schboznwadl. Deren Besitzer müssen bisweilen den Spott ertragen, bei ihnen rutschten die Strümpfe nach oben.

In der Sprache der Liebe ist die Form Spatzl wiederum ein Synonym für Schatz oder Schätzchen. Der aus der gleichnamigen Fernsehserie bekannte Monaco Franze nennt seine Frau, die er meistens nicht ganz ernst nimmt, Spatzl. Legendär war ein von der Polizei geförderter Auto-Aufkleber in den 80er und 90er Jahren: "Bsuffa, Spatzl, fahrst ned!" Werden die Spatzl mit hellem a gesprochen (ähnlich wie bei Tatzelwurm), sind schwäbische Spätzle gemeint oder Nockerl. Heranwachsende verwendeten Löffel und Spatzl früher bei Tische gerne für Kriegshandlungen - bis der Watschenbaam umfiel. In Franken heißen die Schbozn leicht variiert Schboozn, als Schbozn gelten dort Auswürfe von Speichel und ähnlichem Material.

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Hundsgribbe

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Quelle: Claus Schunk

Für eine Ausstellung hat der Karikaturist Hans Reiser bayerische Schimpfwörter in Form einer Karikatur dargestellt. Unter anderem zeichnete er ein Hundeskelett, das den Hundsgribbe darstellen soll. Reiser ging dabei vom Wort Hundegerippe aus. In Wahrheit handelt es sich beim Hundsgribbe aber um einen Hundskrüppel. Das im Germanischen wurzelnde Wort Krüppel ist hier im Sinne von Spitzbub zu verstehen.

Mama Bavaria (Luise Kinseher) würdigte kürzlich den CSU-Matador Andi Scheuer auf dem Nockherberg als "gschnapperten Gribbe". Sie verzichtete gnädigerweise auf das Präfix hunds-, das im Bairischen zur pejorativen Verstärkung dient (Hundsbub, Hundswetter, hundsgemein).

Ein begnadeter Hundsgribbe war einst der Kabarettist Gerhard Polt. Als solcher ließ er einmal einen Rollmops in der Sonne gären, um ihn unter die Bodenleiste eines Geldinstituts zu stecken. Die olfaktorische Problemlage, die danach in der Bank auftrat, nahm er grinsend in Kauf.

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wappeln

Warnung vor hormonell wirksamen Stoffen in Spielwaren

Quelle: dpa

Zuletzt wurde an dieser Stelle das Verb wappeln erörtert, das einst im Reich der Rentenversicherung zu verorten war. Bis 1942 wurde der Rentenbeitrag durch Einkleben von Marken in Quittungskarten entrichtet, wer dies tat, der wappelte.

Helmut Schäfer-Achatz kennt das Wort aus seiner Schwabinger Jugend in anderer Bedeutung. "Deama wappeln?" hieß es Anfang der Sechzigerjahre. Ein Spieler warf dabei einen Ball scharf gegen eine Hauswand und rief einen Namen. Schaffte es der Genannte, den Ball zu fangen, durfte er weitermachen. In der Bauer-, Ecke Isabellastraße wurden sogar Wappelmeisterschaften ausgetragen. "Der Sieger war in Wappelkreisen höchst angesehen", erinnert sich Schäfer-Achatz.

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Oass

Kinderchirurg Hikmet Ulus

Quelle: dpa

Der freundliche Kollege N. beschäftigt sich in seiner Arbeit hauptsächlich mit den feingeistigen Sujets des Kulturbetriebs. Gegen die Gefahr, unter dem Einfluss der Hochkultur verzärtelt zu werden, ist er als gestandener Landbewohner gefeit. Gegen die Unbill, die ihn neulich heimgesucht hat, konnte aber auch seine ländliche Robustheit nichts ausrichten. Auf dem Rücken des Kollegen hatte sich überfallartig ein Furunkel gebildet, das letztlich eines Skalpells bedurfte. Lange rückte der arme Patient nicht mit der Wahrheit über sein Leiden heraus, bis ihm die Nachfragen lästig wurden und es aus ihm herausplatzte: "An Oass hab i ghabt!" Die neugierigen Kollegen erschraken nicht schlecht, aber bald wurde ihr Schrecken überdeckt vom Klang dieses beeindruckenden Begriffs.

Der oder das Oass, auch Aiß geschrieben, ist ein Dialektwort von feiner Struktur und überaus sympathisch. Lautmalerisch entspricht es idealtypisch dem Aussehen des Furunkels, und überdies entzieht es sich jeder Suchabfrage bei Google, es ist also ein vom Internet und seinen digitalen Schergen noch unbelecktes Wort und für eine Verschlüsselung prima zu verwenden. Schon dafür gebührt ihm Respekt und Anerkennung. Appetitlich sieht ein Oass natürlich nicht aus. Es ist halt ein Eitergeschwür und damit so etwas wie der große Bruder des Pickels oder des Wimmerls. Oass geht auf das mittelhochdeutsche Wort Eiz (Geschwür, Eiterbeule) zurück. Solange es SZ-Feuilletonisten gibt, die dieses Wort im Munde führen, hat es eine leuchtende Zukunft.

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gwappelt

Verleihung des Frankenwürfels 2015

Quelle: dpa

Irmi Piltz hat uns geschrieben, ihre aus der Oberpfalz stammende Mutter habe kürzlich das Wort "gwappelt" verwendet, und zwar im Sinne von geistig fit, schlau, gewitzt ("die ist aber gwappelt"). Diese Bedeutungen treffen zu, aber das Wort ist sogar noch schillernder. Auch privilegierte sowie durchtriebene und gerissene Personen werden als gwappelt bezeichnet. Der Dialektologe Ludwig Zehetner sagt, das Wort habe sich einst auf Familien mit eigenem Wappen bezogen. Ein Gwappelter war also früher schon ein privilegierter Mensch.

nix zreißn

Vergangene Woche wurde an dieser Stelle ausgeführt, dass in der Bauerstraße (Ecke Isabellastraße) in München-Schwabing einst sogenannte Wappelmeisterschaften ausgetragen wurden. Ein Teilnehmer dieses vergessenen Ball- und Fangspiels erinnerte sich kürzlich, ein Mitspieler namens Christian Ude sei in der Regel im hinteren Drittel des Teilnehmerfeldes gelandet. Auf Bairisch: "Er hat net so vui zrissn", jedenfalls weit weniger als später in seinem Amt als Münchner OB. Bildhaft wie das Bairische ist, wird das Verb zreißn gerne herangezogen, wenn jemand keinen Erfolg hat, nichts zustande bringt oder wenn etwas misslingt. Beliebt ist auch die für Maulhelden passende Erweiterung: "Der zreißt koa nasse Zeitung."

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Gschwollne

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Quelle: Robert Haas

Als kürzlich in der Kantine Wollwürste mit Gemüse gereicht wurden, erörterten einige Kolleg(-inn)en sogleich, warum dieses Gericht Wollwurst genannt werde. Früher habe es anders geheißen. An den Kollegen K., einen am Fuße der Alpen aufgewachsenen Freund trockener Kommentare, wurde die Vermutung herangetragen, er müsse doch als Eingeborener die richtige Bezeichnung wissen. Nein, sagte er lächelnd, er kenne nur Gschwoine (Gschwollne).

Tatsächlich hat der Name Gschwoine einen engen Bezug zum Erscheinungsbild der Ware. Weil sie aussieht, als sei sie geschwollen, wird die Wurst eben Gschwoine genannt, abgeleitet von einem Wort, das bis ins Althochdeutsche zurückreicht (swellan=schwellen). Die Wollwurst hat keine Haut (im Gegensatz zur Weißwurst im Bild), deshalb sagen manche auch Nackerte zu ihr, ihre Materie besteht aus Brät. Sie wird in der Pfanne abgebräunt und möglichst mit einer dunklen Soss serviert. Das Schwellende obliegt aber nicht nur dieser Wurst, sondern auch dem Menschen. "Red ned so gschwolln daher!", sagt man zu einem, der sich wichtig macht.

Bei aufgeblasenen Typen spricht man von Gschwollschädeln (Gschwoischelln) oder Gschwollkopferten. Man sagt oft über jene Männer, deren Köpfe durch Wohlstandsfolgen sichtbar an Volumen zugenommen haben: "Der hat an saubern Gschwoidde auf!" Der Kabarettist Gerhard Polt hat diesen Typus Mann allgemein in einem Sketch verewigt: "Und wer hockt im Bauamt drin? A Gschwollschädel."

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Rahner

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Quelle: Hartmut Pöstges

Zur Wollwurst wurde am nämlichen Tag in der Kantine rote Bete gereicht, und selbstverständlich entspann sich auch hier eine Disputation über die exakte Bezeichnung. Die einen argumentierten, der richtige Name laute Rahner (Rannen), eine aus der Oberpfalz stammende Kollegin hielt dagegen, bei ihr daheim würden nur große Rüben Rahner genannt.

Wie auch immer: Den Begriff rote Bete hat der Bayer aus dem Norden übernommen. Im 1789 erschienenen Wörterbuch von Andreas Zaupser lauten die bairischen Urbezeichnungen noch "Ranen und rothe Rüben". Die gelbe Rübe (Ruam) heißt heute Karotte, Mohrrübe oder Möhre. Der Sprachforscher Josef Ilmberger hat einst darauf hingewiesen, der flämische Familienname van Beethoven heiße übersetzt: der vom Rübenhof. Auf bairisch hieße der große Komponist also: da Ruamhofer.

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Stanglfahren

Audi FIS Alpine Ski World Cup - Men's Slalom

Quelle: Getty Images

Der Skifahrer Marcel Hirscher ist in Österreich ein Nationalheld. Außergewöhnliche Fähigkeiten beweist er nicht nur im Schnee, sondern auch auf dem Felde der Rhetorik. Er weiß sich stets geschickt und witzig auszudrücken, wobei er oft alten Wörtern neuen Schwung verleiht. Nach seiner schweren Fußverletzung sagte er zum Beispiel im Herbst über seine fortschreitende Genesung, er könne zwar noch keine Rennen fahren, aber: "Zum Freifahren tuat's, bissl Stanglfahren geht auch."

Mit Stanglfahren (Stangerlfahren) hat Hirscher wohl den Slalom gemeint, den er ja so famos beherrscht. Stangerl ist ein mundartliches Synonym für Stange. Der Rennfahrer Hirscher muss ja so schnell wie möglich um die Stangen herumfahren. Hoffentlich ist er nicht zu schnell unterwegs. Nicht dass noch einer sagt: "Pass auf, dass es dich nicht vom Stangerl haut!" Das wäre mehr als ein Sturz. Denjenigen, den es vom Stangerl haut, der ist leider tot.

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Fanni und Fini

Rentnerinnen

Quelle: Julian Stratenschulte/dpa

In der soeben im Berta-Verlag erschienenen biografischen Chronik der Lehrerin Josephine Hartlmaier (1869-1957) tauchen unter anderem die Vornamen Fanni und Fini auf. Vor allem ältere Frauen auf dem Land werden heute noch mit diesen lustig klingenden Kosenamen gerufen. Sie gehen einem in der Alltagskonversation halt viel leichter über die Lippen als die dazugehörigen Langformen Franziska und Josefine, die natürlich vornehmer klingen.

Insofern sind diese Namen nach wie vor aktuell, aber mittlerweile lauten deren Kurzformen eher Franzi und Josy. Die Franziska mutierte in der Koseform manchmal zu einem Fannerl. Aber auch eine Stefanie konnte zu einer Fanni werden, bevor sich die Mode änderte und aus ihr eine Steffi wurde. Recht eigentümlich hört sich im Übrigen die alte Kurzform des schönen Namens Barbara an. In der rauen Mundart der Dörfer wurde aus der Barbara bisweilen die Wam (Waben). Die längst gestorbene Wirts-Oma von Wambach war ihr Leben lang die Wirts-Wam.

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aus da Boh

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Quelle: Claus Schunk

Vergangene Woche wurden an dieser Stelle Erinnerungen an die Freuden des Schlittenfahrens ausgebreitet. Dabei wurden Variationen eines früher sehr populären Kinderreims zitiert: Aus da Boh, aus da Boh, wer ned richtig loaddn ko! (aus der Bahn, wer nicht richtig lenken kann!). Zu diesem Phänomen erreichten uns postalisch einige aufschlussreiche Ergänzungen.

Sehr poetisch klingt etwa die folgende Version, die vor einigen Jahrzehnten sogar noch auf den Münchner Schlittenbuckeln zu hören war: Aus da Boh, Zitrona-Mo, hinten hängt da Deife dro! Im Innviertel riefen die Kinder: Aus da Boh, da Kaiser kimmt mit de Schimme o! (Schimme=Schimmel). Außerdem kursierten auf dem Lande mehrere derbe Verballhornungen, diesbezüglich hat die Fantasie auch bei den bravsten Kindern geblüht, etwa im Chiemgau: Aus da Boh, aus da Boh, dass da Schimme scheißn ko! Und der krönende Spruch, an den sich, wer ihn einst gehört oder gerufen hat, jeder erinnern kann: Aus da Bo, aus da Bo, wer net richtig scheißn ko!

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loaddn

Winter in Niedersachsen

Quelle: dpa

Im Straubinger Tagblatt war ein Artikel über das einstige Schlittenvergnügen zu lesen. Der Artikel nahm Bezug auf ein Buch, in dem die Autorin Helga Seitz ihre Kindheitserinnerungen festgehalten hat. Unter anderem schildert sie, wie sie in den Fünfzigerjahren mit ihrem Bruder am Straubinger Rentamtsberg Schlitten fuhr. "Wie wir hinkommen", heißt es da, "sind schon viele Kinder da. Sie haben mitten auf der Bahn einen Buckel aus Schnee gebaut, sie schreien: Aus der Bo, aus der Bo, wer ned lenka ko!" (aus der Bahn, wer nicht lenken kann!).

So interessant diese Schilderungen auch klingen, der Satz mit der Bo (Bahn) ist in der zitierten Form wohl nicht gefallen. Wie der im Straubinger Land ansässige "Bund Bairische Sprache" bestätigt, haben auch die Straubinger stets loaddn (leiten) und nicht lenka gesagt. Bei den Bauern hieß es: "A schlechta Fuhrmo ko seine Rooß net loaddn." "Lenka" ist aus der Sicht des Vereins eine "realsatirische Verbaierung". Das Original ist auch in Zehetners Wörterbuch zu finden: "Aus da Boh, wer ned richti loatn ko". Im Bayerischen Wald heißt es leicht abgeändert: "Aus da Boh, wer ned gred loiddn ko!"

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Hochnach

Die letzten Bayern Italiens: In Lusern spricht man Zimbrisch

Quelle: dpa-tmn

Aus dem italienischen Bergdorf Lusern hat die SZ-Redaktion freundliche Weihnachts- und Neujahrsgrüße erhalten. In der Botschaft stand zu lesen: "Guate Boinichtn un a schümmaz naügez Djar!". So klingt das Zimbrische, das in Lusern gesprochen wird. Zimbrisch ist eine Art frühes Bairisch. Vor tausend Jahren sind Menschen aus der Gegend von Benediktbeuern aus materieller Not in die Berge nahe Trient ausgewandert.

Ihr Idiom hat auf dieser Sprachinsel bis heute überdauert. Diese älteste noch existierende Form des Bairischen schimmert auch im Jahreskalender durch, den die Gemeinde als pdf-Datei mitgeschickt hat. Die Monate tragen folgende Namen: Hochnach (Januar), Hornung (Februar), Lentzmanat (März), Abrel (April), Madjo (Mai), Prachant (Juni), Höbiat (Juli), Snittmanat (August), Herbestmanat (September), Bimmat (Oktober), Bintmanat (November), Kristmanat (Dezember).

© SZ vom 15.01.2018/vewo
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