Kostenexplosion bei Verkehrsprojekten:Abgerechnet wird am Schluss

Lesezeit: 4 min

Ursprünglich waren 27 Millionen Euro geplant, gekostet hat der Bau der A94 zwischen Forstinning und Pastetten knapp 50 Millionen. Ein Bild von der Eröffnung im August 2011. (Foto: Endt)

Stuttgart 21 wird offenbar viel teurer, ein ähnliches Schicksal prophezeien Kritiker der zweiten Stammstrecke. Das liege an der inneren Logik solcher Großvorhaben, sagen Experten. Doch ein Blick auf Bauprojekte in der Region zeigt: Kostenexplosionen sind nicht zwangsläufig. Manchmal wird es sogar billiger.

Von Kassian Stroh

Seit gut einem Jahr fahren die Straßenbahnen auf der neuen Strecke nach St. Emmeram im Münchner Norden. Noch sind nicht alle Rechnungen der Baufirmen bezahlt, doch die Stadtwerke (SWM) sind optimistisch. Bei den Kosten werde man "voraussichtlich eine Punktlandung" hinlegen, sagt SWM-Sprecherin Bettina Hess. Geflossen seien bislang gut 40 Millionen Euro, vor dem Baubeginn 2010 habe man die Kosten auf 43 Millionen geschätzt. In diesem Rahmen dürfte das Projekt bleiben, prognostiziert Hess.

Nun ist der Bau einer Trambahnstrecke nicht zu vergleichen mit dem Milliardenprojekt einer zweiten S-Bahn-Röhre. Es ist etwas völlig anderes, auf 4,3 Kilometern Länge Gleise zu verlegen, auf einer bereits weitgehend vorhandenen Trasse, als einen sieben Kilometer langen Doppeltunnel quer durch die Innenstadt zu graben. Eineinhalb Jahre hat das eine gedauert; ob das andere in einem Jahrzehnt zu schaffen ist, ist fraglich. Und doch zeigt auch ein Blick auf die größeren Verkehrsbauten der Region in den vergangenen Jahren, dass Kostensteigerungen nicht zwangsläufig sind, Kostenexplosionen schon gleich gar nicht.

Manchmal wird es sogar billiger, auch unter Tage. Bei der Verlängerung der U3 nach Moosach etwa, von 2004 bis 2010 gebaut von der Stadt: Von den bewilligten 183 Millionen Euro würden voraussichtlich nur gut 178 Millionen gebraucht, teilt das Baureferat mit.

Oder die Tunnel am Mittleren Ring: Für den Petueltunnel wurden laut Stadt im Jahr 1997 Ausgaben in Höhe von 205 Millionen Euro genehmigt, gekostet hat er am Ende 180 Millionen. Auch der Bau von Effner- und Richard-Strauss-Tunnel blieb mit Kosten von voraussichtlich "deutlich unter 300 Millionen Euro" ein ganzes Stück unter der Vorgabe, nicht mehr als 321 Millionen Euro auszugeben.

Was die Kosten in die Höhe treibt

Dass in diesen Fällen die Obergrenzen eingehalten wurden, hat freilich auch damit zu tun, dass sie zu einem relativ späten Zeitpunkt festgeschrieben wurden - nämlich erst kurz vor dem tatsächlichen Baubeginn. Anders sieht das bei den Projekten aus, für die der Bund zuständig ist. Die existieren oft schon Jahrzehnte als Idee, bis sie irgendwann im Bundesverkehrswegeplan auftauchen; und wenn sie schließlich im sogenannten Bedarfsplan des Bundes stehen, wo sie mit einer ersten Kostenschätzung versehen sind, dauert es oft noch viele Jahre, ehe sie angepackt werden.

Und in dieser Zeit würden die Projekte schon allein wegen der allgemein steigenden Preise teurer, erläutert Josef Seebacher von der Autobahndirektion Südbayern. Doch das ist nur ein Grund.

Konkret und detailliert geplant werden kann ein Projekt nämlich nur, wenn es in eben jenem Bedarfsplan steht. Dann aber werden viele Probleme erst bekannt, und es tauchen viele - durchaus nicht unvernünftige - Wünsche an die Planer auf: Hier hätte eine Anrainergemeinde gerne mehr Lärmschutz, da stellt sich heraus, dass es sinnvoll wäre, bei einem Ausbau auch gleich noch eine Auffahrt zu sanieren - weil das ohnehin irgendwann fällig wäre und nun in einem Aufwasch miterledigt werden könnte.

All das treibt die Kosten in die Höhe, sofern der Bund die Zusatzwünsche billigt. Oder es stellt sich - wie beim 24 Millionen Euro teuren Umbau des Neufahrner Autobahnkreuzes - heraus, dass es sinnvoll wäre, die Zufahrten zu der Direktrampe zwischen A9 und A92 ("Overfly") zu verlängern. Das erforderte zusätzliche Brücken und die sind teuer.

Die Schätzungen im Bedarfsplan weichen somit oft deutlich von den Kosten ab. Beim neuen A94-Abschnitt zwischen Forstinning und Pastetten zum Beispiel lagen sie bei 27 Millionen Euro, heraus kamen 50 Millionen. Der sechsstreifige Ausbau der A9 zwischen Frankfurter Ring und dem Kreuz München-Nord kostete am Ende um die 33 Millionen Euro (Bedarfsplan: 15 Millionen), der achtstreifige auf dem weiteren Abschnitt bis Neufahrn 52 Millionen Euro (Bedarfsplan: 36 Millionen).

"Die größten Kostensteigerungen haben wir im Planfeststellungsverfahren", sagt Seebacher. So nennt sich das Genehmigungsverfahren bei Großprojekten. Denn da bekommt seine Behörde, die im Auftrag des Bundes die Autobahnen in Südbayern plant und unterhält, oft teure Auflagen gemacht - zum Beispiel weil die rechtlichen Anforderungen an Lärm- oder Naturschutz zwischenzeitlich gestiegen sind.

Und manchmal erweist sich dann auch, dass der Verkehr in der Planungszeit so gestiegen ist, dass der Ausbau größer angelegt werden muss als gedacht. Gerade im Großraum München sei das ein Problem, sagt Seebacher: Hier würden die Verkehrsprognosen ständig von der Wirklichkeit überholt. "Wir werden völlig überrollt."

Das wiederum kann auch während der Bauzeit teure Nachbesserungen nach sich ziehen. Denn es kostet viel Geld, eine Autobahn-Baustelle so einzurichten, dass nebendran der Verkehr zumindest halbwegs ungestört weiter rollen kann: mit wandernden Umleitungen oder Behelfsfahrbahnen etwa. Jüngst beim Ausbau der A9 zwischen Neufahrn und Allershausen habe man sich zum Beispiel für eine "wesentlich großzügigere Verkehrsführung" entschieden als ursprünglich geplant, sagt Seebacher. Auch nachts und an Wochenenden sei gearbeitet worden, damit der Verkehr nicht völlig zusammenbreche. Dies alles könne bis zu einem Drittel der gesamten Kosten ausmachen.

"Das ist völlig unrealistisch"

Am augenscheinlich billigsten wäre es natürlich, für die Bauzeit eine Autobahn schlicht abzuriegeln, um in Ruhe asphaltieren zu können. Doch die Folgen wären katastrophal. "Ich kann die A9 nicht vier Wochen sperren", sagt Seebacher, "das ist völlig unrealistisch."

Bemerkenswert ist der Bau des Westabschnitts der A99, zu dem auch der Aubinger Tunnel gehört. Geschätzt wurde der im Bedarfsplan auf 114 Millionen Euro, genehmigt hat der Bund Ausgaben von 179 Millionen Euro. Doch gezahlt wurden bislang nur 140 Millionen Euro, wiewohl der Tunnel seit mehr als sieben Jahren befahren wird.

Ein Kostenwunder? Mitnichten. Hier streitet sich die Autobahndirektion noch mit Baufirmen, die Nachforderungen erhoben haben, um mehrere zehn Millionen Euro. Derzeit läuft ein Schiedsverfahren. Abgerechnet wird am Schluss.

© SZ vom 06.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: