Prozess gegen Wolbergs:Vermeintliche Gewinner und Verlierer in der Regensburger Korruptionsaffäre

Joachim Wolbergs

Der suspendierte Oberbürgermeister Joachim Wolbergs (SPD) am Donnerstag auf einer Pressekonferenz.

(Foto: dpa)

Nach der Entscheidung des Landgerichts, den suspendierten Regensburger Oberbürgermeister Joachim Wolbergs anzuklagen, gibt es viele offene Fragen. Die Antworten im Überblick.

Von Andreas Glas, Regensburg

In der Regensburger Korruptionsaffäre hat seit Donnerstag ein merkwürdiges Schauspiel stattgefunden. Es traten auf: ein suspendierter Oberbürgermeister, der sich zu einem "freien Menschen" erklärte. Eine OB-Stellvertreterin, die die Affäre für beendet erklärte. Und die Mittelbayerische Zeitung, die eine "Wende im Fall Wolbergs" erkannte, den suspendierten OB zum "Gewinner" ausrief und die Staatsanwaltschaft zum "Verlierer". Merkwürdig klingt das alles, wenn man sich bewusst macht, was am vergangenen Donnerstag geschehen ist: Das Landgericht hat die Anklage gegen OB Joachim Wolbergs (SPD) zugelassen. Die Strafkammer hält es also für wahrscheinlich, dass er schuldig ist. Und nun soll dieser Mann ein Gewinner sein? Wer von außen auf Regensburg schaut, muss sich fragen, was da los ist. Eine vorläufige Einordnung:

Ist Wolbergs jetzt ein freier Mensch?

Wolbergs sagt: ja. Und hat recht. Weil das Landgericht am Donnerstag den Haftbefehl gegen ihn aufgehoben hat. Zwar wurde er bereits im Februar 2017 nach sechs Wochen aus der Untersuchungshaft entlassen, seitdem musste er sich aber an strenge Auflagen halten. Es war ihm etwa verboten, mit bestimmten Personen zu sprechen. Dass er das jetzt wieder darf, mag sich für Wolbergs - nachvollziehbarerweise - befreiend anfühlen. Von einem tatsächlichen Freispruch aber ist er seit Donnerstag weiter entfernt denn je. Denn es wurde zwar der Haftbefehl gegen Wolbergs aufgehoben, aber die Anklage gegen ihn zugelassen. Eröffnet ein Gericht das Hauptverfahren, bedeutet dies grundsätzlich, dass es eine Verurteilung für wahrscheinlicher hält als einen Freispruch.

Ist der Vorwurf der Korruption jetzt vom Tisch?

Die Stellvertreterin des OB findet: ja. Sie freue sich, dass aus den Zeitungsberichten "jetzt das Wort Korruption rausfällt", sagt Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD). Sie stellt fest: "Das ist jetzt keine Korruptionsaffäre mehr." Die Wahrheit ist: Die Causa Wolbergs ist weiterhin eine Korruptionsaffäre. Zwar hat das Gericht den Verdacht der Bestechlichkeit zum Verdacht der Vorteilsannahme herabgestuft - doch beides fällt unter den Begriff Korruption.

Ist die zugelassene Anklage eine Wende in der Affäre?

Die Entscheidung des Gerichts mag manche überrascht haben, aber eine Wende ist sie nicht. Das Gericht ordnet die Anklage zwar anders ein als die Staatsanwaltschaft - doch lässt es die Anklage umfassend zu. "Der sachliche Gegenstand des Verfahrens hat sich nicht geändert", sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Nur eben bewertet das Gericht die Vorwürfe als Vorteilsannahme, nicht als Bestechlichkeit. Die fragwürdigen Parteispenden in Höhe von rund 475 000 Euro, die Wolbergs von einem Bauunternehmer bekam, bleiben ebenso Bestandteil der Anklage wie die Zahlungen des Unternehmers an den Fußball-Zweitligisten SSV Jahn Regensburg und die Wohnungen, die der Unternehmer mit Nachlässen an Personen aus Wolbergs' Umfeld verkauft haben soll.

Was unterscheidet Bestechlichkeit und Vorteilsannahme?

Der Unterschied liegt darin, dass es bei der Bestechlichkeit um das Versprechen einer pflichtwidrigen Gegenleistung geht - das wäre etwa der Fall, hätte OB Wolbergs im Gegenzug für die Spenden dafür gesorgt, dass der Bauunternehmer den Zuschlag für ein konkretes städtisches Grundstück bekommt und dabei seine Pflichten als OB verletzt. Die Staatsanwaltschaft glaubt, dass es eine entsprechende Unrechtsvereinbarung gab. Das Landgericht dagegen sieht dafür keinen hinreichenden Verdacht, geht daher nicht von Bestechlichkeit aus, sondern von Vorteilsannahme.

Bei der Vorteilsannahme wiederum reicht es aus, wenn sich ein Amtsträger auch für eine pflichtgemäße Dienstausübung einen Vorteil versprechen lässt. Etwa, wenn man sich einig gewesen wäre, dass die Spenden für die Unterstützung des OB flossen - dem Geldfluss aber keine Vereinbarung über konkrete pflichtwidrige Handlungen zugrunde lag. Das Strafmaß ist entsprechend geringer: Bei Bestechlichkeit in einem besonders schweren Fall drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis, bei Vorteilsannahme maximal drei.

Darf Wolbergs jetzt ins Rathaus zurückkehren?

Ist die Staatsanwaltschaft eine Verliererin?

Manche Beobachter sagen: ja. Eben weil das Landgericht findet, dass die Staatsanwälte mit dem Vorwurf der Bestechlichkeit zu weit gegangen sind. So gesehen ist die Entscheidung des Gerichts tatsächlich eine Watschn für die Staatsanwaltschaft. Aber eine Watschn ist eben kein Knock-out. Man kann es nämlich auch so betrachten: Das Gericht hat quasi bestätigt, dass es richtig war, das Verfahren gegen Wolbergs einzuleiten und Anklage zu erheben. Man kann den Kopf darüber schütteln, dass die Staatsanwaltschaft so lange ermittelt hat, das Gericht aber - Stand heute - nicht restlos überzeugen konnte. Man kann aber auch anerkennen, dass die Ermittler ihre Pflicht erfüllt haben. Hätten sie nicht so tiefgreifend ermittelt, wie es ein rechtsstaatliches Verfahren verlangt, hätte man ihnen vorwerfen können, einen prominenten Politiker zu schonen.

Ist Wolbergs jetzt ein Gewinner?

Wolbergs selbst hat es treffend formuliert, als er sagte, dass die abgeschwächt zugelassene Anklage ein "Zwischen-Step" sei, also maximal ein Etappensieg. Er weiß, dass auch der Vorwurf der Vorteilsannahme schwerwiegend ist, dass ihm weiterhin eine Haftstrafe droht. Zudem hat das Gericht betont, dass der Vorwurf der Bestechlichkeit "derzeit" nicht haltbar sei. Sollten sich im Prozess doch andere Erkenntnisse auftun, könnte es seine Einschätzung wieder ändern. Auch das hat ein Sprecher des Gerichts explizit erwähnt. Darüber hinaus steht im Raum, dass Wolbergs gegen das Parteiengesetz verstoßen hat. Ob er also Gewinner oder Verlierer ist, wird erst nach einem rechtskräftigen Urteil feststehen.

Darf Wolbergs jetzt ins Rathaus zurückkehren?

So bizarr es klingt: Es ist denkbar, dass der suspendierte OB bald in sein Amt zurückkehrt, um dann zwischen Rathaus und Gerichtssaal zu pendeln. Denn seiner Suspendierung lag auch der Verdacht der Bestechlichkeit zugrunde, den das Landgericht für nicht hinreichend hält. Die Landesanwaltschaft prüft daher, ob sie die Suspendierung aufhebt. Welche Rolle dabei spielt, dass wegen Spenden weiterer Bauunternehmer gegen Wolbergs ermittelt wird, ist unklar. Fest steht, dass es mindestens einen zweiten Unternehmer gibt, den die Staatsanwaltschaft der Bestechung verdächtigt. Der OB gilt auch in diesem Fall als Mitbeschuldigter.

Wird sich Wolbergs komplett rehabilitieren können?

Das ist jedenfalls das Ziel, das Wolbergs für sich formuliert. Die Chance darauf hat er, zumindest juristisch betrachtet. Doch selbst dann, wenn er vom Verdacht der Korruption freigesprochen werden sollte, dürfte es für ihn fast unmöglich werden, sich auch politisch zu rehabilitieren. Ein Freispruch würde nicht ändern, dass er hohe und wohl verschleierte Spenden annahm und allem Anschein nach geheim hielt - obwohl er hätte wissen können, dass es immer wieder Berührungen geben würde zwischen den Baufirmen und der Stadtpolitik. Unabhängig von juristischer Schuld oder Unschuld dürfte sein Image als integrer und moralisch sauberer Politiker beschädigt bleiben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: