Kommentar:Bayerische Lebenslüge

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Die viel zitierte "Liberalitas Bavarica" beruht auf einem Missverständnis. Gemeint ist nicht die Liberalität als Tugend, sondern die Freigiebigkeit adeliger Klosterstifter. Und so ist die Liberalität gegenüber Fremden in Wahrheit eine bayerische Lebenslüge

Von Sebastian Beck

Einmal mehr ist jetzt der Selbstbetrug aufgeflogen, wonach der Freistaat Bayern liberal sei. Selbst der einstige CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß behauptete ja stets: "Wir sind liberal, aber nicht blöd." Das Missverständnis von der angeblich so toleranten bajuwarischen Lebensart nahm nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Anfang: Damals widmete der Schriftsteller Wilhelm Hausenstein der Inschrift über dem Portal des Chorherrenstifts Polling einen Vortrag: "Liberalitas Bavarica" steht dort in goldenen Lettern. Der Spruch wurde später zur gängigsten Lebenslüge umgedichtet: Mit "Liberalitas Bavarica" war nämlich nicht die Liberalität als Tugend gemeint, sondern die finanzielle Freigiebigkeit der adeligen Klosterstifter.

Lebenswirklichkeit und Politik standen und stehen auch heute noch oft in Widerspruch zur angeblichen Liberalitas. Man muss nur einmal übers Land fahren, sich in ein Wirtshaus setzen und die Ohren aufsperren: Das bösartige Geraune über Flüchtlinge und Ausländer entspricht im Kern dem, was nach dem Krieg noch ganz offen über "Juden" und "Zigeuner" gesagt wurde. An den Einstellungen hat sich in all den Jahren wenig geändert, insofern sind die Ergebnisse der Leipziger Studie weder neu noch überraschend.

Sie belegen aber einmal mehr, dass es nicht nur die kahlrasierten Brandstifter sind, vor denen man Angst haben muss: Das größte Biotop für Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus ist die bürgerliche Mitte. Die Parteizugehörigkeit spielt dabei eher eine Nebenrolle. Bayerische Politiker haben diese Tatsache mit dem Gerede von der weißblauen Liberalität zum einen übertüncht, zum anderen leisteten sie den Dumpfbacken noch Vorschub. Ministerpräsident Max Streibl verniedlichte einst das Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten in München mit den Worten: Es sei halt bayerische Art, etwas härter hinzulangen. Die Rhetorik der CSU ist vielleicht nicht mehr so schrill wie früher. Doch wenn es um Griechenland oder um Flüchtlinge aus dem Kosovo geht, bedient die Staatsregierung immer noch gerne Ressentiments.

© SZ vom 08.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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