Kloster Maria Bildhausen:"Wir waren damals lebensunwert"

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Willi Grimm hinter dem Holzmodell des geplanten Mahnmals. Das echte Mal soll fünf Meter hoch werden. (Foto: privat)

Der Künstler Willi Grimm hat eine ehemalige Euthanasie-Anstalt in Österreich besucht. Der Schrecken ließ ihn nicht los - nun entwirft er ein fünf Meter großes Mahnmal in Unterfranken.

Von Claudia Henzler

Man kann sich die Situation kaum ausmalen, man kann sie wohl auch kaum aushalten. Rainer Waldvogel hat sie jedenfalls nicht ausgehalten. Er leitet das Kloster Maria Bildhausen, das ist eine dorfähnliche Einrichtung in der Nähe von Bad Kissingen, in der behinderte Menschen leben und arbeiten. Gemeinsam mit ihnen ist er nach Österreich gefahren, drei große Busse des Dominikus-Ringeisen-Werks waren unterwegs, zu dem Maria Bildhausen gehört. Ziel war das Schloss Hartheim, das die Nationalsozialisten zu einer Euthanasieanstalt gemacht hatten.

379 Menschen aus Einrichtungen des kirchlichen Dominikus-Ringeisen-Werks (DRW) wurden in den Vierzigerjahren Opfer der Euthanasie-Morde, 199 von ihnen starben in Schloss Hartheim. Nun brachten die Besucher aus Deutschland eine Gedenktafel an, sie verlasen die Namen der Opfer und gingen den Weg nach, den die behinderten Menschen damals gehen mussten. Das Schloss ist heute eine Gedenkstätte, der Schrecken der Tötungsmaschinerie ist dort eindrücklich aufbereitet.

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Rainer Waldvogel kannte diese Beklommenheit, die einen an den Vernichtungsorten des NS-Wahnsinns erfasst, doch dieser Besuch war für ihn noch mal eine andere Erfahrung. Weil er sehen und hören musste, wie einige aus der Besuchergruppe feststellten: "Wir hätten das auch nicht überlebt." Und: "Wir waren damals lebensunwert." Es hat ihn so gepackt, sagt Waldvogel, er musste rausgehen.

Die Fahrt nach Hartheim liegt inzwischen zwei Jahre zurück. Doch viele derer, die damals dabei waren, hat sie danach nicht losgelassen. Einer von ihnen ist der Bildhauer und Künstler Willi Grimm. Im August wird er 90 Jahre alt, seinen Werken begegnet man in Franken an vielen Stellen, sein Renommee reicht über Franken hinaus. Unzählige klassische Bildhauerarbeiten hat er in seiner Werkstatt in Kleinrinderfeld bei Würzburg geschaffen, Stelen, Statuen, Brunnen. Er hat Wettbewerbe für Kunst im öffentlichen Raum gewonnen - und sich vor langer Zeit vom Handwerker zum Künstler entwickelt, der nicht auf Aufträge warten muss, sondern seine eigenen Werke schafft. Großformatige Arbeiten aus Holz, Stein und Metall, von denen sich viele in stark reduzierter Form mit dem Thema Mensch auseinandersetzen.

Nach der Fahrt zum Schloss Hartheim entwarf Grimm ein Mahnmal, einfach so. Er habe einen Raum schaffen wollen, erklärt er, "um an die Menschen zu erinnern, die durch den Wahnsinn anderer Menschen umgebracht wurden". Und wohl weil das Verbrechen so monströs war, durfte das Mahnmal nicht klein sein. Grimm wählte keine Skulptur, keinen Gedenkstein. Er entwarf ein begehbares Haus, mehr als fünf Meter hoch, aus kaltem Beton und farbigen Glaselementen, mit einem Fassadenteil, das wie eine Axt im Gebäude steckt. "Wenn jemand den Raum betritt, soll er fast ein Gefühl der Beklemmung haben", wünscht sich Grimm. Dann aber solle der Besucher die farbigen Fenster wahrnehmen und Hoffnung verspüren.

Mit einem Holzmodell ging der Künstler zu Waldvogel. Die beiden kennen und schätzen sich, seit Grimm vor knapp zehn Jahren erstmals in Maria Bildhausen ausstellte. Diese Ausstellung war der Beginn einer besonderen Verbundenheit zwischen Maria Bildhausen und dem Künstler. Mehrere Dutzend seiner Werke haben einen Platz auf dem Gelände gefunden. Im Cellarium des früheren Abteigebäudes und im Gartenpavillon ist eine Dauerausstellung mit Skulpturen aus seiner Werkstatt zu sehen, weitere Objekte stehen auf den Wiesen zwischen den Gebäuden. "Jahrzehnte lang habe ich nach so einem Ort gesucht, an dem meine Werke Raum und Ruhe haben", sagt Grimm. Für Maria Bildhausen - dort laden ein Klostergasthof und ein Klosterladen zum Besuch ein - ist Willi Grimm ein Name, der hilft, die Schwellenangst der Besuchern zu senken.

Rainer Waldvogel ist von der Idee des Künstlers Willi Grimm (rechts) für ein Mahnmal überzeugt. (Foto: privat)

Grimm musste Waldvogel nicht lange von seiner Mahnmal-Idee überzeugen: "Es war sofort klar, damit kann man etwas transportieren, was man sofort verstehen kann." Gemeinsam mit dem Bildhauer warb Waldvogel bei den Trägern von Maria Bildhausen für das Projekt. Und als der Prozess ins Stocken geriet, erinnerte Grimm daran, dass man nicht zu lange warten sollte, wenn er die Umsetzung seines Entwurfs noch erleben soll. Schließlich erklärten sich die DRW-Stiftung und die Franziskanerinnen der St.-Josefskongregation, die bis vor kurzem in Maria Bildhausen ansässig waren, bereit, jeweils 50 000 Euro aufzubringen. Der Rest soll durch Spenden eingenommen werden.

Nun ist Maria Bildhausen nicht das Zentrum des Dominikus-Ringeisen-Werks (das sitzt im schwäbischen Ursberg), sondern nur eine Zweigstelle. Und auch die Mehrheit der Opfer stammte nicht von dort: Es sind acht Bewohner aus Maria Bildhausen bekannt, die in Hartheim ermordet wurden.

Die Energie des fast 90-jährigen Grimm ist groß

Dass dieses Mahnmal ausgerechnet hier und dann auch noch in dieser Größe gebaut wird, war nicht unumstritten, sagt Rainer Waldvogel. Auch wenn Willi Grimm ebenso auf ein Honorar verzichtet wie der Architekt, der Grimms Modell in Baupläne übersetzt hat, wird das Projekt doch etwa 150 000 Euro kosten. Da musste sich der Einrichtungsleiter schon auch fragen lassen, ob er das Geld nicht sinnvoller für die lebenden Bewohner von Maria Bildhausen ausgeben sollte.

Doch die, auf die es ankam, dachten anders. Und die, mit denen Grimm persönlich sprach, sowieso. Denn auch wenn er sich inzwischen von seiner Enkelin - auch sie übrigens eine Bildhauerin - zu Terminen fahren lässt: Die Energie und Beharrlichkeit des fast 90-Jährigen sind noch immer groß. Während die Entscheidung noch gar nicht endgültig getroffen war, hatte Grimm schon auf seinem Balkon getestet, ob die Farben witterungsbeständig sind, mit denen er die Glasfenster bemalen wollte. Inzwischen ist er fast am Ziel. Der Standort auf dem Friedhof des Klostergeländes ist vorbereitet. Das Mahnmal wird auf einer mehr als 80 Quadratmeter großen Bodenplatte stehen. Die Enthüllung ist für den 21. Oktober geplant.

© SZ vom 24.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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