Klage gegen Länderfinanzausgleich:Im Land der Scheinheiligen

Es geht um die Macht in Bayern - und Ministerpräsident Seehofer unternimmt alles, um bloß keine Wechselstimmung aufkommen zu lassen. Jetzt will er sich beim Streit um den Finanzausgleich als bayerischer Patriot profilieren. Und Münchens OB Ude, seinem Konkurrenten von der SPD, eins auswischen.

Frank Müller und Mike Szymanski

Eine neue Woche, eine neue Drohung aus Bayern: Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat sich vor einer Mauer von Journalisten aufgebaut und erklärt, warum er jetzt nicht mehr für klamme Bundesländer wie Bremen und Berlin mitbezahlen will. Solidarität hat Grenzen, sagt er. "Der Zeitpunkt ist jetzt gekommen."

Soeben hat er sich von seinem Kabinett den Auftrag erteilen lassen, noch in diesem Jahr Klage gegen den Länderfinanzausgleich beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. "Wir sind doch nicht blöd", dröhnt es unüberhörbar aus der bayerischen Staatskanzlei, wo Finanzminister Markus Söder den Sachverhalt auf diese knappe Botschaft komprimiert. Blöd sind die Bayern ganz sicher nicht. Sonst wären sie wohl nicht so reich.

Als das Kabinett in der vergangenen Woche zu den Haushaltsberatungen zusammenkam, trafen sich die Minister und Staatssekretäre auf einer Sonnenterrasse mit Blick auf den Tegernsee. In anderen Bundesländern gleichen Haushaltsberatungen Trauerfeiern, weil aus Geldmangel so viele Ideen sterben. In Bayern wusste Schwarz-Gelb schon fast nicht mehr, wohin mit all dem Geld. 46,5 Milliarden Euro bringt Seehofer im Jahr der Landtagswahl 2013 unters Volk. Eine Milliarde Euro an Schulden zahlt der Freistaat zurück und stellt auch noch 1300 Lehrer ein. Von Verzicht war kaum etwas zu spüren am schönen Tegernsee.

An diesem Dienstag rechnete die politische Spitze dann den Freistaat arm: 3,7 Milliarden Euro hat Bayern 2011 in den insgesamt 7,3 Milliarden schweren Umlagetopf überwiesen - etwas mehr als die Hälfte also. In Berlin bekomme jeder Student eine Prämie, Bayern dagegen müsse Studiengebühren erheben, sagt Seehofer. "Das stellt die Gerechtigkeit auf den Kopf."

So sieht die Welt in Bayern aus. Einmal hat das Land ganz viel, und dann hat es wieder ganz wenig Geld. Nur eines ist gewiss: Seehofer braucht einen großen Gewinn - spätestens zur Landtagswahl im nächsten Jahr.

Seitdem ein von der SPD geführtes Oppositionsbündnis mit Grünen und Freien Wählern die CSU von der Macht vertreiben will, tut Seehofer alles, um bloß keine Wechselstimmung im Land aufkommen zu lassen. In seinen Botschaften an die Bayern wimmelt es vor Begriffen wie "Chancenland" und "Aufbruch". Das soll an die alte Erfolgsformel anknüpfen: Bayern = CSU. Zufriedene Bürger lassen sich auf keine Experimente ein, denkt Seehofer. In weiten Teilen des Freistaats herrscht Vollbeschäftigung. Und die sprudelnden Steuereinnahmen verbucht er als Erfolg seiner Regierungsarbeit. Eine Klage kommt ihm nur gelegen, die Drohung allein genügt. In den Bierzelten lässt sich prächtig Politik machen mit dem Gefühl, andere wollten den Bayern etwas wegnehmen. Das schweißt zusammen.

Eine Kanonade aus Drohungen

Seehofer überzieht seine Partei und das Land seit Wochen mit einer Kanonade von Initiativen und Drohungen. Und wenn die Umfrageergebnisse nicht Schritt halten, legt der Regierungschef eben noch eins drauf. Er werde im Sommer durch den Freistaat fahren, "um ein großes Bündnis der Bayern für einen gerechten Finanzausgleich zu schmieden", kündigt Seehofer am Dienstag an. "Jeder, der bayerischer Patriot ist, wird in dieses Boot einsteigen." Wirklich jeder?

CSU, Länderfinanzausgleich, Horst Seehofer

Ministerpräsident Horst Seehofer will gegen den Länderfinanzausgleich klagen - und hat sich diesen Entschluss vom Kabinett absegnen lassen.

(Foto: REUTERS)

Ein paar Meter weiter im bayerischen Landtag steht SPD-Herausforderer Christian Ude. "Arbeiten für Bayern" steht auf seinem Redner-Pult. Und wie er jetzt rackert. Ude will nicht mit Seehofer in ein Boot steigen, nicht so richtig jedenfalls. Das ist sein Problem. Ude trägt vor, dass es ja Edmund Stoiber war, der den Länderfinanzausgleich 2001 mit ausgehandelt hat, jetzt also die "CSU gegen CSU" klage, was eigentlich nur die Abwahl von Schwarz-Gelb 2013 zur Folge haben könne.

Ude fühlt sich gerade ganz stark. Aber zu verschenken habe auch er nichts, sagt er, weshalb auch eine sozialdemokratisch geführte Staatsregierung sich gegen den Finanzausgleich wehren werde - mit einer Klage als "Ultima Ratio". Auch Ude fühlt sich ein bisschen als bayerischer Patriot, aber er will der bessere sein, der diplomatischere.

Seehofer stört es dagegen wenig, dass natürliche Verbündete wie Hessen und Baden-Württemberg - ebenfalls sogenannte Geberländer - nicht so recht bei der Klage mitmachen wollen. In der Tat gibt es Zweifel am Erfolg einer solchen Klage. Fest steht jedenfalls, dass sie nicht rasch zu Verbesserungen führen wird. Ein Urteil erwarten die Bayern frühestens 2014. Und die Länder planen ihre Haushalte ohnehin immer ein paar Jahre im Voraus. 2019 muss der Länderfinanzausgleich sowieso neu verhandelt werden, weil dann die Vereinbarungen auslaufen. Es ist gut möglich, dass das Verfassungsgericht am Ende zwar Bedarf für Korrekturen sieht. Aber in der Regel setzt es großzügige Fristen - warum nicht bis 2019?

Es würde kein Grund bestehen, in Hektik zu verfallen - wenn nicht gerade Wahlkampf anstünde. Horst Seehofer kennt dieses Argument und weist es mit treuherzigem Blick zurück: "Sollen Politiker ein Jahr vor der Wahl ihre Arbeit einstellen?", fragt er und schiebt die Antwort gleich nach. "Da darf ich ja gar nichts mehr machen."

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