Kirchweih in Unterfranken:"Hinter Gitter geh ich nicht für die Kerb"

Weil Anwohner sich gestört fühlen, kann die Kirchweih in Kahl am Main nicht mehr stattfinden. Der Vereinsvorsitzende Sven Uhlig erzählt, wie es zur Absage kam. Seinen Ort hält er für einen Präzendenzfall. Und fragt sich: Wo soll das enden?

Interview von Olaf Przybilla

Seit 1911 gibt es die Kirchweih im fränkischen Kahl am Main, die Kerb. Weil sich zugezogene Anwohner über die Lärmbelästigung beklagt und vor dem Verwaltungsgericht recht bekommen haben, sagte die Vereinsgemeinschaft die Kirchweih ab. Am Freitag will der Ort für die Erhaltung der Festkultur demonstrieren. Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden Sven Uhlig darüber, wie es weitergeht.

SZ: Herr Uhlig, was ist das Problem?

Sven Uhlig: Es geht um die Kirchweih, die bisher auf dem Vorplatz der Festhalle stattfindet. Genau drei Tage lang. Das reicht aber, dass sich Anwohner durch den Lärm gestört fühlen. Was wir nicht ganz nachvollziehen können: Wir haben 2014 alles dafür getan, um den Lärm so gering wie möglich zu halten. Hat aber nicht genug gebracht.

Aber immer fand die Kahler Kerb ja nicht vor der Festhalle statt oder?

Nein, die ist mal rotiert, stimmt. Aber der Hauptort war der Platz vor der Festhalle, dort ist die Kerb seit mehr als zehn Jahren. Letztes Jahr unter strengen Auflagen: 55 Dezibel in den Nachtstunden, 70 Dezibel in den Tagstunden. Tagsüber war das machbar, allerdings auch nicht in den Spitzenzeiten, da gab es Ausschläge nach oben. Das ist aber auch klar: Weil über 70 Dezibel kommt eine gemeine Grille. Die Spitzenwerte wurden im vergangenen Jahr erreicht, als ich ins Mikrofon gesagt habe: Last Order. Oder: Die Kerb ist zu Ende. Da beißt sich die Katze doch in den Schwanz.

Was haben Sie getan, damit sich der Lärm irgendwie im Rahmen hält?

Vom Bauhof haben wir eine Lärmschutzwand errichten lassen und zusätzlich mit Stoff bespannt. Und bewusst am Sonntag auf Musik verzichtet. Das Ganze war 2014 sehr familienfreundlich für so ein Fest.

Hat aber nicht gereicht.

Leider. Das Verwaltungsgericht sagt zwar: Die Kerb in Kahl darf stattfinden. Aber der Gaststättenbescheid war nicht rechtmäßig, weil er keine Lärmgrenzwerte beinhaltete. Der Anwalt der Anwohner, die sich gestört fühlen, hat uns bei Verstoß gegen die Grenzwerte mit 250 000 Euro Ordnungsgeld bedroht. Oder Ordnungshaft. Vollstreckbar am Vereinsvorsitzenden.

Das ist es Ihnen nicht wert.

Ich habe keine 250 000 Euro, nein. Und die Vereine auch nicht. Und hinter Gitter geh' ich nicht für die Kerb, bei aller Liebe.

Es ist immerhin die Kerb.

Keine Frage, das ist der Höhepunkt im Leben des Ortes, acht Vereine machen mit. Im letzten Jahr kamen super Reaktionen von den Anwohnern: die geilste Kerb seit Jahren, meinten die. Aber wir kämpfen weiter. Wir wollen jetzt Politiker wachrütteln, die Grenzwerte für solche Traditionsfeste müssen korrigiert werden. Das ist hier ja ein Fest für Jung und Alt, unter freiem Himmel, mit Kinderkarussell, feiernden Firmen und Gottesdienst am Sonntag.

Was bedeutet das Aus der Kerb fürs Vereinsleben in der Gemeinde?

Das ist ein Schlag ins Kontor. Die Vereine finanzieren ja die Jugendarbeit mit den Festeinnahmen. Unser Musikverein wollte eine Bläserklasse auf die Beine stellen. Die müssen jetzt schauen, ob sie das finanziert bekommen. Die Jugend leidet extrem. Und ich sage Ihnen: Kahl ist ein Präzedenzfall.

Was meinen Sie?

Das kann eine Lawine auslösen. Welches Fest ist denn noch sicher? Könnte ja auch jemand andere Feste in Frage stellen, ein großes in München zum Beispiel. Klar, das Gericht sagt: Jeder Fall muss für sich bewertet werden. Es gibt ein ähnliches Urteil aus Nordrhein-Westfalen, da sagen die Richter: Sollen halt die Anwohner für drei Tage die Fenster schließen. Tja. Das Ganze sorgt hier inzwischen für Wut. Die Reaktionen auf die Anwohner sind nicht nur höflich.

Warum spendieren Sie den Anwohnern nicht einfach drei Tage Urlaub?

Sie werden lachen: Die Idee mit dem Urlaub kam tatsächlich. Aber das kann es ja nicht sein. Weil dann womöglich die nächsten kommen. Wo soll das enden? Und die Anwohner verwahren sich übrigens auch gegen die Idee: Die wollen sich nicht sagen lassen, wann sie Urlaub machen sollen.

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