Kinderhorte in München:Auf den Zufall ist selten Verlass

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In manchen Münchner Vierteln ist die Suche nach einer Nachmittagsbetreuung eine Qual. (Foto: dpa)

In manchen Münchner Vierteln ist die Suche nach einer Nachmittagsbetreuung für Eltern eine Qual. In Laim haben nun einige so lange bei der Stadt nachgebohrt, bis endlich alle Beteiligten zusammensaßen und miteinander redeten. Zum ersten Mal überhaupt.

Von Andrea Schlaier

Es gibt Dinge, die will Anna Haszprunar keinesfalls dem Zufall überlassen. Die Nachmittagsbetreuung ihrer Tochter zum Beispiel. Die war erst drei, als sie die junge Mutter auf die Warteliste der Nachmittagsbetreuung an der Grundschule Schrobenhausener Straße in München setzen ließ. Die Laimerin hat sich aber nicht vorstellen können, wie viel passieren muss, bis sie einen Platz bekommt - dass sie eine Online-Petition starten, Klinken von Politikertüren putzen und letztlich bis ins Rathaus gehen muss.

Nach wie vor führt in der deutschen Stadt mit den meisten kommunalen Schulen kaum ein Weg zum Betreuungsplatz für künftige Erstklässler, ohne dass Eltern bang warten oder sich beherzt engagieren. Aktuell liegt der Versorgungsgrad für die knapp 38.000 Grundschüler in Horten, Tagesheimen, Ganztagsschulen oder den von Eltern organisierten Mittagsbetreuungen bei 70 Prozent. Das sind zehn Prozent unter Plan, also 3800 Plätze, die fehlen.

Gründe gibt es dafür viele. Einen wesentlichen hat Anna Haszprunar auf vielen mühseligen Etappen entdeckt. Es mangelt an Struktur, genauer Vernetzung und damit effektiver Gestaltung in der Schulverwaltung. Wie sonst könnte es sein, dass die Initiative Gleichgesinnter, die sich um die junge Steuerberaterin in Laim formiert hat, die erste Gruppe gewesen ist, die es durch penetrantes Nachhaken geschafft hat, dass endlich mal alle Beteiligten an einem Tisch sitzen und sagen und fragen, welches Angebot es wo gibt. Oder warum nicht. Oder wann. Damit das eigene Viertel für die übersichtlich wird, die in nächster Nähe eine Betreuung suchen, denn Grundschüler brauchen fußläufige Lösungen.

Anfang Juli also saßen Politik, Schulreferat und Elternschaft im Rathaus zusammen und haben die Situation in Laim detailliert analysiert und nach Lösungen gesucht. Auch nach unkonventionellen. Die SPD-Fraktion, deren Mitglied Verena Dietl zugleich auch dem Laimer Bezirksausschuss angehört, brachte die Diskutanten letztlich zusammen. Mag sein, dass alle gekommen sind, weil Wahlkampf ist; aber auch, weil das Viertel mit einem Versorgungsgrad von nur 59 Prozent eines der Schlusslichter in der städtischen Statistik "ganztägige Bildung und Betreuung der Sechs- bis Zehnjährigen" ist.

Ein echter Patient. Und obendrein kann die Entwicklung von Laim als Paradebeispiel für ganz München herhalten - auch, wenn hier die großen Neubausiedlungen erst noch kommen. Aber die Nachverdichtung ist immens, der Zuzug junger Familien ebenso - das Viertel vollzieht seit Jahren einen Generationenwechsel großen Stils. Nur Grundstücke für neue Einrichtungen, die gibt es hier so gut wie gar nicht.

Nicht besser geht es den Nachbarn in Pasing-Obermenzing (51 Prozent) und der Schwanthalerhöhe (56 Prozent), ebenfalls beliebte Familien-Viertel. Milbertshofen kratzt im Norden an der 60-Prozent-Marke. Am anderen Ende der Skala entspannen sich die vollversorgten Glücklichen in Schwabing-West (96 Prozent). Altstadt, Isarvorstadt und Obergiesing schaffen es mehr oder weniger deutlich über die Ziellinie von 80-Prozent.

Einen wesentlichen Anteil und eine "verlässliche Größe", das sagt selbst die Sprecherin des Münchner Referates für Bildung und Sport (RBS), Ursula Oberhuber, bieten die Elterninitiativen der Mittagsbetreuungen. Sie decken aktuell an die 24 Prozent ab, die städtischen Horte nur knapp 22. Zusammen mit den Tagesheimen sind hier in den vergangenen drei Jahren 1506 neue Plätze geschaffen worden.

Letztlich hängt vieles am Ausbau der Ganztagsschulen, den sich nicht nur viele Eltern wünschen, sondern auch Stadtschulrat Rainer Schweppe. Doch hier hat es München in den vergangenen vier Jahren nur von 526 auf derzeit 1946 Plätze geschafft. Von den 132 Münchner Grundschulen haben nur 39 zumindest einen Ganztagszug. Die staatlichen Schulen kann Schweppe nicht in die Pflicht nehmen, weil sein Haus da ausschließlich den Sachaufwand trägt. Ihm fehlt die Macht, eine Umstellung zu verordnen. Dann fordert er eben von den Rektoren: Sie sollten flexibler und improvisierungsfreudiger an die Sache rangehen. Das kommt bei vielen gar nicht gut an.

Wo sollen sie denn Zusatzangebote unterbringen, wenn im Pavillon der Mittagsbetreuung im Winter 13 Grad herrschen und wenn Klassenzimmer schon mit Vorhängen getrennt werden, damit die einen auf der einen Seite spielen und die anderen auf der anderen Seite Hausaufgaben machen können? Einen Raum mehr als doppelt zu belegen, geht nicht. Keller, Wasch- und Nebenräume sind ohnehin schon umfunktioniert. In Laim gibt es bis heute an keiner der vier Grundschulen eine gebundene Ganztagsklasse - also eine Klasse, die auch nachmittags unterrichtet und nicht nur betreut wird.

Viele Rektoren trauen dem Versprechen nicht, dass sie Räume bekommen werden, wenn sie schon mal in Vorleistung gehen. Sie haben schlechte Erfahrungen mit der Verwaltung gemacht. Im Bildungsreferat gibt es mittlerweile die sogenannte "Serviceagentur Ganztag", die Bewegung in die Sache bringt. Sie versucht, für Familien, die keinen Platz bekommen haben, eine Lösung zu finden.

Johanna Marek, die Rektorin der Grundschule Schrobenhausener Straße, hat ihre Bereitschaft zum Ganztagsangebot immer daran gekoppelt, dass sie neue Räume bekommt. Was soll eine Schulleiterin wie sie anderes machen, wo es doch in die modrige Turnhalle regnet, die Grund- und Mittelschüler zusammen nutzen. Seit 2010 ist Marek eine Lösung versprochen, die aber nie realisiert wurde. Nun scheint, im Zusammenhang mit dem Besuch der Gruppe um Haszprunar im Rathaus, dieser Knoten durchschlagen worden zu sein - nach Außen hin zumindest.

Neben mehreren Großprojekten hat das Bildungsreferat soeben verkündet, dass Mareks Grundschule von 2015 an vierzügig ausgebaut wird, dass sie ein Tagesheim, Räume für Mittagsbetreuung und Ganztagsklassen bekommt. Und eine neue Dreifachturnhalle gibt es auch. Marek erfährt es aus der Zeitung und reagiert sarkastisch: "Allmählich ist das zum Lachen! Kein Mensch redet mit denen, die's angeht!" Euphorie klingt anders.

Das ist die unsichtbare Baustelle des Referats: Schlechte Kommunikation mit den Schulleitern und mangelnde Absprache zwischen den eigenen Abteilungen. Ein Gutachten hat beides dem RBS im Juni bescheinigt. Schweppe gibt sich seitdem entschlossen, das schlechte Zeugnis zum Anlass für eine "Riesenchance" zu nehmen, nämlich dafür, das Zentrale Immobilienmanagement in seinem Haus zu verbessern. Der Stadtrat hat ihm 27,5 zusätzliche Stellen genehmigt und pro Jahr ein Zusatzbudget von fünf Millionen Euro für ganztagsbedingte Umbauten.

An manchen Schulen heißt es, man könne bereits den Anlauf ausmachen, den das Referat für den Sprung in Sachen nachschulischer Betreuung nehme. Der Wille zeitigt eigenwillige Ergebnisse: Erstmals kauft die Stadt ein Tipi, um die große Not an der Grundschule Fürstenrieder Straße in Laim für 24 Familien zu lindern. Als alternativer Träger schlägt der Verein Naturindianer von September an hier ein Lager auf.

Anna Haszprunar hat sich auf ihrem Weg zu einem Betreuungsplatz über vieles gewundert. Jetzt ist die 31 Jahre alte Steuerberaterin erst einmal froh, dass weder sie ihren 30-Stunden-Job aufgeben muss noch ihr Mann Michael seinen als IT-Projektleiter bei BMW. Nach der Besprechung mit den Laimer Eltern kam auch Referatssprecherin Oberhuber mit einer neuen Erfahrung zurück in ihr Büro. Ein "herausragender Fall" sei die Runde im Rathaus gewesen. Auch, was die Emotionalität der beteiligten Eltern angehe. "Es hat mich berührt, wie besorgt sie sind."

© SZ vom 22.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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