Kerzen für die Welt:Es werde Teelicht

Seit 200 Jahren stellt die Nürnberger Firma Glafey hochwertige Lichte her. Die Billig-Konkurrenz macht ihr zu schaffen

Von Olaf Przybilla, Oberasbach

Es gibt Rituale, die kann sich der Mensch wohl selbst nicht ganz erklären. Nach den Weihnachtstagen zum Beispiel pflegt er sich auf den Weg zu machen in Richtung einer blaugelb eingefärbten Möbelhauskette, was man unter Umständen noch verstehen könnte. Dort aber greifen grundsätzlich kultivierte Menschen in Massen zu erhitzten Schweinswürsten samt Trockenzwiebeln und Ketchup in länglichen Labberbrötchen. Warum der Mensch das offenbar machen muss, massenhaft, in einer schwedischen Möbelhalle? Man weiß es nicht, es bleibt ebenso ein Rätsel wie der Ankauf von Teelichtpackungen im Hunderterpack. Kaum jemand kann so viele Teelichter brauchen, das Zeug liegt üblicherweise im Sommer immer noch im Schrank rum. Rituale aber müssen sein, warum auch immer.

Von Alexander Glafey in Oberasbach sind es kaum zehn Kilometer nach Fürth. Dort, im für Hotdogs und schwedische Self-Made-Möbel berühmten Stadtteil Poppenreuth, könnte sich Glafey jederzeit mit Teelichtpackungen eindecken. Eines aber kann er mit Gewissheit sagen: "Das habe ich noch nie gemacht, und werde es auch niemals tun." Der Franke Glafey ist keiner, der sich gerne der Großsprecherei hingibt. Den Zusatz, das so was absolut unter seiner Würde wäre, muss man sich also hinzudenken. Wobei Glafey seine, nun ja, Konkurrenz am Teelicht-Markt schon im Auge behält. Das geht aber auch anders, dafür braucht es keine Hunderterpackung.

In welcher Region das Teelicht erfunden wurde, darüber gibt es verschiedene Theorien. Es gibt Berliner, die proklamieren diese Entdeckung der Behaglichkeit für sich (aber was proklamiert der Berliner nicht für sich?). Nirgendwo dagegen wird bestritten, dass Franken einen maßgeblichen Anteil hatte am Siegeszug der Teelichtkultur. Rolf Glafey war es, der Großvater Alexander Glafeys, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dem Licht in offenen Dosen endgültig den Weg bahnte vom Nischen- zum Massenprodukt.

Er presste gehärtetes Fett in schmale Metallbehälter und stattet sie mit Docht und Deckel aus. Dass man dieses Licht nach der obersten Heeresleitung - nach Hindenburg - benannte, lässt erahnen, wofür der Vorgänger des Teelichts ursprünglich gedacht war. Das "Hindenburglicht" war seit 1914 kriegswichtig, an Stövchen-Behaglichkeit war da noch nicht zu denken. Immerhin aber war der Anfang vom stinkenden Kriegslicht, für das Schlachtabfälle genutzt wurden, zur zimtduftenden Nachmittagsbeleuchtung gemacht.

Angefangen hat alles in Nürnberg, 1808 gründete Gottlob August Glafey dort ein Speditionsgeschäft. Wohin der Krämerladen treiben würde, war zu der Zeit nicht abzusehen. Glafey schlug sich zunächst mit dem Vertrieb von Putzpulver fürs Tafelsilber durch, was sich als unzureichend tragfähiger Wirtschaftszweig in der nicht adelsverwöhnten Freien Reichsstadt Nürnberg erweisen sollte, gerade in den Jahren nach der Revolution. Sein Sohn schuf also ein zweites Firmenstandbein, er produzierte das sogenannte Nachtlicht und verhalf seiner Manufaktur damit zum Durchbruch. In einer Zeit, in der nächtliche Beleuchtung grundsätzlich lebensgefährlich war, fanden seine Öllichter großen Anklang. Während Kerzen, das Konkurrenzprodukt, nach dem Abbrennen zur Gefahr wurden, versah Glafey diverse Gefäße mit Docht, Dochthalter und öliger Flüssigkeit - und schuf einen Exportschlager.

Schon der Sohn des Firmengründers, Gottlob II., expandierte enorm. In St. Johannis, heute einer der angesagten Quartiere Nürnbergs gleich jenseits der Stadtmauer, arbeitete bald der halbe Stadtteil für die Lichtermanufaktur. Gottlob eröffnete bald mehrere Kommissionslager in Frankreich, der Erfolg war imposant. Das Licht aus Nürnberg eroberte maßgebliche Teile des Abendlands, zu den Abnehmern durfte man auch den Vatikan rechnen. Und sogar am Heiligen Grab in Jerusalem soll die Ware aus Franken geleuchtet haben. Das Gründergebäude mit Burgblick in der Burgschmietstraße war da längst zu klein geworden, das Unternehmen veränderte sich ein erstes Mal, blieb aber seinem Stadtteil treu. Ein neues Quartier fand man um die Jahrhundertwende in Sichtweite des Johannis-Friedhofs, auf dem Albrecht Dürer begraben liegt.

Die Dinge liefen also gut, mit Expansion und prominenter Firmenadresse, aber man hatte auch zu kämpfen. Mit der in Leipzig auf den Namen Glafeys benannten Straße dürfte weniger ein versierter Lichtmacher aus Mittelfranken geehrt worden sein - sie gilt einem Vorkämpfer für das Markenrecht. Gottfried II. Glafey kämpfe früher als andere dafür, strengte Prozesse in dreistelliger Anzahl bis nach Amerika an und setzte sich in den meisten Fällen durch. Auch den Glafey-Stern, das Firmenlogo, gelang es ihm zu schützen.

Es ging also weiter aufwärts. Schon die nächste Glafey-Generation nahm Kontakt mit Porzellanherstellern auf, gemeinsam einigte man sich auf Normmaße für Stövchen und die dazugehörenden Teelichter. 1962 schließlich wurde selbst die zweite Firmenheimat in der Nürnberger Innenstadt zu klein. Die Glafeys zogen um an eine Mühle, die auf der Gemarkung der mittelfränkischen Kleinstadt Oberasbach liegt. Dort, im Landkreis Fürth, zahlt man auch Steuern. Weil aber das Firmengrundstück von Nürnberg aus erschlossen und nur von dort aus erreichbar ist, konnte man weiterhin ohne schlechtes Gewissen für das "Licht aus Nürnberg" werben. Wer den Firmensitz heute besucht mit Bildern im Kopf vom fränkischen Vatikan-Belieferer und Teelicht-Pionier, der könnte enttäuscht werden. Zwei übersichtliche Firmenhallen stehen in Oberasbach, nur noch eine davon wird von Glafey genutzt, sie atmetet den Charme der 1960er Jahre. Zehn Mitarbeiter arbeiten fürs Unternehmen, höchstens ein Zehntel also im Vergleich zu den Hochzeiten vor 100 Jahren.

Kerzen für die Welt: 500 000 Euro Jahresumsatz hat die Firma Alexander Glafeys.

500 000 Euro Jahresumsatz hat die Firma Alexander Glafeys.

(Foto: privat)

Der Grund? Könnte auch mit dem schwedischen Unternehmen zehn Kilometer entfernt von Oberasbach zu tun haben. "Wissen Sie", sagt Alexander Glafey, "es reden ja immer viele über Nachhaltigkeit." Wenn es aber drauf ankomme, sei offenbar jeder Cent und Handgriff zu viel. Glafey habe die Nachhaltigkeit nicht erst entdeckt, seit das in Mode ist. Die Öl-Nachtlichter im Retro-Design zum Nachfüllen etwa waren immer schon ein Öko-Produkt. Und auch die zwölf Glafey-Teelichter mit einem Metallnapf zum Austauschen, hergestellt nicht in Fernost, sondern in Franken, schonen Ressourcen. Nicht zuletzt im Wohnzimmerschrank, wo im Sommer keine Teelichttüten mehr rumliegen. Teurer aber sind die Teelichter im Zwölferpack - "keine Frage", sagt Glafey.

Und kaufen kann man sie auch nicht im Vorübergehen, kurz vor der Hotdog-Selbstbau-Station, sondern in Buchläden und in den übrig gebliebenen Haushaltswarengeschäften. Aus den großen Städten erreichen Glafey immer wieder Anfragen von Einzelhändlern, wenn Kunden gezielt nach seinen Lichtern fragen. Darauf setzt er und auf kirchliche Abnehmer. Es gibt Glaubensrichtungen, in denen Nachtlichter sehr gut nachgefragt werden. Auch in den christlichen Kirchen werden gelegentlich Nicht-Einweg-Opferlichter genutzt, weniger oft allerdings, als man das erhoffen und womöglich erwarten könnte.

Und wer weiß, "womöglich bringt ja die Energiewende ein Revival unserer Nachtlichte mit sich", sagt Glafey und lächelt. Voraussetzung dafür wären allerdings Versorgungsengpässe. So ganz will er daran selbst nicht glauben.

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