Atomkraft in Deutschland:Mauern sollen Atom-Zwischenlager vor Terror schützen

Zehn Meter hoch, 85 Zentimeter dick und aus Stahlbeton: Die Behörden drängen die Stromkonzerne zum Bau neuer Mauern, um die Atommüll-Zwischenlager vor Terroranschlägen zu schützen. Nicht nur in Gundremmingen fragt man sich: Warum muss etwas, das bereits als sicher gilt, noch sicherer werden? Der Betreiber RWE bleibt vage: Es bestehe jetzt Optimierungsbedarf.

Tobias Dorfer und Markus C. Schulte von Drach

Wolfgang Mayer, der Bürgermeister der schwäbischen 1500-Seelen-Gemeinde Gundremmingen, war überrascht, als kurz vor Weihnachten die Vertreter des Kernkraftwerks mit einem Bauantrag vor ihm standen. Der Betreiber RWE plane eine neue Mauer um das Atommüll-Zwischenlager, das sich auf dem Gelände befindet, hieß es. Zehn Meter hoch solle diese Mauer werden, 85 Zentimeter dick und aus Stahlbeton.

Neue Mauern um AKW-Zwischenlager

Das Atommüll-Zwischenlager am Kernkraftwerk Gundremmingen soll mit einer neuen Mauer besser vor Anschlägen geschützt werden.

(Foto: dpa)

Nicht nur Mayer fragte sich: Warum muss etwas, das als sicher gilt, noch besser geschützt werden? Oder ist das Lager gar nicht so sicher, wie die Energiekonzerne immer behaupten?

Der Bürgermeister (Freie Wähler) sagte Süddeutsche.de, er habe den AKW-Vertretern diese Fragen gestellt. Befriedigende Antworten jedoch habe er nicht bekommen. Auch ein Sprecher des AKW-Betreibers RWE blieb vage: Zu Süddeutsche.de sagte er, die Sicherheitsmaßnahmen am Zwischenlager würden regelmäßig überprüft. "Hier besteht jetzt Optimierungsbedarf."

Am Dienstagabend stand das Thema auf der Tagesordnung des Gundremminger Gemeinderats. Gerade einmal eine knappe Seite lang ist die Beschlussvorlage, die Süddeutsche.de vorliegt. Einstimmig gaben die Mitglieder ihre Zustimmung - ein Veto hätte der Rat ohnehin nur bei schweren baurechtlichen Bedenken einlegen können. Nun liegt der Antrag beim Landratsamt in Günzburg, das den Bau abschließend absegnen muss. Und Gundremmingen rätselt über die wahren Motive für den Mauerbau.

Dabei ist die bayerische Gemeinde nicht die einzige, in der demnächst wohl die Bagger anrollen. Auch an den anderen Zwischenlagern in Deutschland soll die Sicherheit erhöht werden. Der RWE-Sprecher bestätigte derartige Vorhaben auch für die Lager an den AKW Biblis und Emsland. Dies geschehe in enger Absprache mit den verantwortlichen Behörden. Gebaut wird auch bei Eon. Eine Konzernsprecherin sagte, die Sicherheitsmaßnahmen an "allen Zwischenlagern" würden in der nächsten Zeit "optimiert". Auch Vattenfall rüstet die Zwischenlager an den AKW Brunsbüttel und Krümmel nach.

Von den zuständigen Behörden gibt es noch keine Erklärung, vor welchen Gefahren die Mauern schützen sollen. Das Bundesumweltministerium äußerte sich zunächst nicht.

"Neu gewonnene Erkenntnisse"

In einer Regierungsantwort auf eine Grünen-Anfrage, die der Nachrichtenagentur dpa vorliegt, heißt es jedoch: "Als Ergebnis einer regelmäßigen Überprüfung der Sicherungsanforderungen werden zur Verbesserung des Schutzes gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter die Sicherungsmaßnahmen der Zwischenlager derzeit optimiert." Die Details sind geheim - aus Sicherheitsgründen.

Atommuell-Zwischenlager sollen besser vor Anschlaegen geschuetzt werden

Eingangsbereich des Atommüll-Zwischenlagers von Gundremmingen: "Neu gewonnene Erkenntnisse über Tatmittel und Täterverhalten".

(Foto: dapd)

Nach Informationen von Süddeutsche.de gehören die Schutzmauern zu den Empfehlungen, die eine Bund-Länder-Kommission Anfang 2011 ausgesprochen hat, um die Atommüll-Zwischenlager besser vor Terrorangriffen zu schützen. Zuvor hatte der Bayerische Rundfunk berichtet, laut niedersächsischem Umweltministerium hingen die Mauern mit "neu gewonnenen Erkenntnissen über Tatmittel und Täterverhalten" zusammen.

Die Empfehlungen wurden vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) an das Umweltministerium weitergeleitet und sollen nun offenbar an allen Atommüll-Zwischenlagern in Deutschland umgesetzt werden. Auf dessen Veranlassung bat das BfS in einem Schreiben vom 15. April 2011 die Betreiber aller Zwischenlager darum, die dazu notwendigen Maßnahmen einzuleiten, wie dpa berichtet.

Über diese "neu gewonnenen Erkenntnisse" wundert man sich bei der Bürgerinitiative Forum, die sich seit fast zwölf Jahren gegen das Zwischenlager am AKW Gundremmingen starkmacht. Auch Forum geht davon aus, dass die neue Mauer vor Terrorangriffen schützen soll. "Die Terrorgefahr wird jetzt offenbar höher und realistischer eingeschätzt als noch vor sechs Jahren", heißt es lakonisch in einer Stellungnahme.

Die Initiative hatte seinerzeit kritisiert, dass die "dünn gebauten Zwischenlagerhallen keinen ausreichenden Schutz" böten - war mit ihrer Klage jedoch am Ende vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert.

Unklar ist, ob die Empfehlungen der Behörden mit einer Studie von Greenpeace aus dem Jahre 2010 zusammenhängen. Die Umweltschutzorganisation hatte berichtet, dass insbesondere ältere deutsche Atomkraftwerke nicht nur nicht ausreichend gegen Terrorangriffe aus der Luft geschützt seien. Auch mit tragbaren panzerbrechenden Lenkwaffen könnten die Anlagen so schwer beschädigt werden, dass Radioaktivität austritt.

Ein Angriff auf ein Zwischenlager würde im Gegensatz zu einer Attacke auf einen laufenden Kernreaktor vermutlich eher regionale Folgen haben, erklärt Atomexperte Heinz Smital von Greenpeace. Die Maßnahme bestätigt für ihn aber, dass auch die Behörden die Gefahr von Terroranschlägen für real halten. Ein ausreichender Schutz kann ihm zufolge eine solche Mauer schon deshalb nicht sein, weil es Waffen gibt, die sie durchdringen können. Letztlich dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis die auch auf dem Schwarzmarkt zur Verfügung stehen.

In Gundremmingen sieht man den Mauerbau um das Zwischenlager gelassen. "Sicherheit kann nicht schlecht sein", sagte ein Gemeinderatsmitglied dem Bayerischen Rundfunk.

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