Kaufbeuren:Der 24-Stunden-OB

Kaufbeuren: Buchbar: der Kaufbeurer Oberbürgermeister Stefan Bosse.

Buchbar: der Kaufbeurer Oberbürgermeister Stefan Bosse.

(Foto: Udo Schönewald)

Rathauschef Stefan Bosse will seine Kaufbeurer besser kennenlernen. Dafür schlägt er sich im Juni eine Nacht um die Ohren

Von Christian Rost, Kaufbeuren

Die Bürgerversammlung am Montagabend in Kaufbeuren war eine eher zähe Angelegenheit. Zweieinhalb Stunden waren für die Frage-Antwort-Runde im Stadtsaal angesetzt, gedauert hat es dann doch wieder drei Stunden. Oberbürgermeister Stefan Bosse (CSU) beklagt sich nicht darüber, im Gegenteil: Er freut sich über das Interesse der Kaufbeurer an der Entwicklung ihrer 45 000-Einwohner-Stadt. Allerdings stellt der Rathauschef, mittlerweile mehr als zwölf Jahre im Amt, fest, dass "man immer dieselben Leute" bei solchen Versammlungen trifft. Das ist ihm zu wenig, er will mit mehr Menschen in Kontakt kommen und erfahren, was sie bewegt. Deshalb schaut er bei seinen Bürgern daheim vorbei. Am 23. Juni unternimmt Bosse erstmals eine 24-Stunden-Tour durch Kaufbeuren und besucht Menschen, die das wollen. Wo auch immer: zu Hause, in der Disco, auf der Baustelle - Bosse kommt.

Der Mann ist ein hemdsärmeliger Typ, er lacht viel, redet gern und mischt sich ohne Scheu unter die Leut'. Bei den Feuerwehrversammlungen oder den Veranstaltungen der Kirche sucht er das Gespräch mit den Bürgern, er hält auch Sprechstunden außerhalb seiner Dienstzeit ab, damit Berufstätige ihre Anliegen bei ihm vorbringen können. Auch eine Bürgerversammlung nur für Frauen hat er initiiert, damit sie sich ungestört von männlicher Dominanz mit ihm austauschen können. "Das alles aber reicht mir nicht", sagt der OB, der nun mit seinem Besuchsmarathon noch tiefer in die Kaufbeurer Gefühls- und Gedankenwelt vordringen will. Und er hofft, dass sich auch jemand mit ihm treffen will.

Auf die Idee zu der zumindest bayernweit wohl einmaligen Aktion kam er, als ihn eine 100 Jahre alte Frau in seinem Büro aufsuchte, um mit ihm Fragen zu einem Familiengrab zu klären. "Es hat mich beschämt, dass die Dame zu mir kommen musste. Ich wäre doch auch zu ihr gekommen", sagt der 52-Jährige. Nun will er erreichen, dass es sich herumspricht, dass er flexibel und für Gespräche immer offen ist. Seine 24-Stunden-Tour soll die nötige Aufmerksamkeit erzeugen. Es ist das Sonnwend-Wochenende, an dem sich der OB von Freitag auf Samstag die Nacht um die Ohren schlägt. Schon Freitagfrüh besucht er die Arbeiter auf der Baustelle in der Fußgängerzone, wenige Schritte vom Rathaus entfernt, und gibt eine Brotzeit aus. Dann geht es im Stundentakt weiter zu all jenen, die ihn auf der Internetseite der Stadt (www.kaufbeuren.de/ob) gebucht haben. Bosse ist selbst gespannt, was da alles auf ihn zukommt. Und er rechnet auch damit, dass sich irgendwelche Spaßvögel nachts um drei mit ihm im Wald treffen wollen. Vorsichtshalber nimmt er in den Nachtstunden seinen Büroleiter mit auf die Bürger-Tour - der kann sich dann gleich die Anliegen der Gesprächspartner notieren. Ein Thema wird sicherlich die geplante neue Moschee sein, die eine bestehende kleinere ersetzen soll. Gerade solche oft mit Vorurteilen behaftete Themen will Bosse ansprechen und damit "einen Gegenpol zu Populisten schaffen, die immer nur einfache Antworten parat haben".

Keine Sorge hat der Rathauschef, dass ihm bei seiner Tour die Puste ausgehen könnte. Ehe er ins Rathaus einzog, war er bei der Polizei. Als ehemaliger Schichtleiter weiß er, wie sich 24-Stunden-Dienste anfühlen. Vorgenommen hat er sich, keinen Alkohol bei seinen Besuchen zu trinken. Das beeinträchtige die Kondition, sagt er. Wenn die Aktion gut ankommt bei den Leuten, will er sie künftig ein- oder sogar zweimal im Jahr rund um die Uhr besuchen.

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