Kampf gegen Internetkriminalität:Jäger im Netz

File illustration picture of a man typing on a computer keyboard in Warsaw

Im Netz tummeln sich nicht nur jede Menge Betrüger und andere Kriminelle, sondern künftig auch mehr Fahnder.

(Foto: Kacper Pempel/Reuters)

Tatort Internet: Kinderpornografie, Hackerangriffe, Phishing - die Zahl der Straftaten im Netz nimmt massiv zu. Die Polizei reagiert darauf und schickt "Cybercops" auf virtuelle Streife, die den Kriminellen das Handwerk legen sollen.

Von Susi Wimmer und Florian Fuchs

Man könnte es sich ungefähr so vorstellen: blau getöntes Licht aus Neonröhren, ein paar Dutzend Touchscreens und riesige Bildschirme, vor denen die Ermittler sitzen. So arbeiten die Cybercops aus US-Serien, die innerhalb von 45 Minuten Sendezeit einen ganzen Ring von Internetbetrügern hochgehen lassen. Die Wahrheit sieht etwas anders aus - eher nach ganz normalem Büroalltag. "Es ist natürlich nicht so, dass wir nur die normalen Standardrechner hätten", sagt Oliver Penonic, Leiter der neuen Dienststelle für Cybercrime beim Münchner Polizeipräsidium. "Aber es sieht bei uns auch nicht aus wie im Raumschiff Enterprise."

Auch wenn die Büros ganz gewöhnlich aussehen, das Einsatzgebiet der "Cybercops" des Bayerischen Landeskriminalamtes und des Polizeipräsidiums München ist es nicht: Die Fahnder sind in den Weiten des Internets unterwegs, um die stetig wachsende Kriminalität im Netz zu bekämpfen. Am Münchner Präsidium werden derzeit die verschiedenen Abteilungen, die sich bislang mit Delikten aus der Online-Welt beschäftigt haben, zusammengezogen.

Das Kriminalfachdezernat 12 für "Cybercrime" befindet sich im Aufbau und soll einmal 50 Informatiker und Experten beschäftigen. Einen ähnlichen Weg geht das Landeskriminalamt: Es pickt sich aus den bestehenden Abteilungen Experten heraus, echte Nerds und Mathe-Genies, und baut derzeit ein ganz neues Dezernat mit etwa 60 Mann auf, das Ende Januar von Innenminister Joachim Herrmann vorgestellt wird. Unter anderem soll es dort eine Forschungsabteilung geben, ein Cybercrime-Labor, in dem beispielsweise neu aufgetauchte Trojaner zerlegt werden können, um ihre Vorgehensweise zu studieren, und eine eigene Forensik, um gerichtsverwertbare Beweise zu sichern.

Beim LKA laufen die Fäden aus ganz Bayern zusammen, hier werden Lagebilder erstellt, Beamte geschult, hier können sich auch Wirtschaftsunternehmen hinwenden, die ein Netzproblem krimineller Natur haben. Die Ziele, die der neue Dezernatsleiter hegt, sind ehrgeizig. "Wir wollen in der Liga der Großen mitspielen", sagt Kriminaloberrat Günter Seibold und meint damit führende EDV-Nationen in Europa.

Alle zwei Sekunden wird irgendwo auf der Welt ein Schadprogramm ins Netz gestellt. Alle 30 Sekunden wird eine Identität im Web gestohlen. Es kann die des Nachbarn sein - oder die eigene. Das Netz kennt keine Ländergrenzen, die Polizeiarbeit schon, von den unterschiedlichen Rechtssystemen ganz zu schweigen. "Wie die Straftaten im Internet begangen werden und was dahinter steht, das ist im Grunde genommen mit nichts zu vergleichen, was die Polizei bis dato zu bearbeiten hatte", sagt Seibold. Auch international wird auf die wachsende Kriminalität im Netz reagiert. Europol richtete ein European Cybercrime-Center ein, Interpol installierte eine Dependance in Singapur und das Bayerische Landeskriminalamt zieht nun mit. Nicht nach Singapur, sondern in die Welt der Web-Jäger.

Hohe Dunkelziffern

Die Ermittler beim LKA sitzen vor vier Bildschirmen und arbeiten in drei Netzen gleichzeitig: im herkömmlichen Internet, im Netz der Polizei und im so genannten Auswertenetz, wo unter anderem verdächtige Mails ausgepackt werden können. Ob es um einen Ring von Kinderporno-Händlern geht oder um ein Wirtschaftsunternehmen, das durch einen Hacker lahmgelegt und erpresst wird, diese großen Fälle werden im Landeskriminalamt bearbeitet. Die Cybercops im Polizeipräsidium dagegen werden die Anzeigen von Internetnutzern aus München bearbeiten, etwa bei typischen Internetdelikten wie Phishing. Und sie werden anderen Abteilungen zuarbeiten, die etwa Computer sichergestellt haben, deren Daten ausgewertet werden müssen. Das Präsidium stellt neben ausgebildeten Polizisten, die sich fortgebildet haben, auch studierte Informatiker ein - Quereinsteiger quasi, die zu Polizeibeamten werden.

Dass auf die Netzermittler in den Präsidien und im LKA jede Menge Arbeit zukommt, daran zweifelt Günter Seibold nicht. Allein von 2011 auf 2012 stieg die Zahl der Internetdelikte um zehn Prozent auf bayernweit insgesamt 11 000. "Und wir haben ein wahnsinniges Dunkelfeld, weil die meisten Bürger, die etwa bei einem Internetgeschäft betrogen wurden, nicht zur Polizei gehen." Das soll sich ändern. Das Landeskriminalamt will Aufklärungsarbeit betreiben und selbst forschen, "damit wir überhaupt wissen, was im Netz alles los ist". Und dann, da ist sich Seibold sicher, werden die Deliktzahlen in Zukunft gewaltig nach oben schnellen. Denn der Großteil der Bevölkerung surft regelmäßig im Netz. Und zwar nicht mehr nur am Heimcomputer, sondern vor allem via Handy. "Dass man am PC ein Virenprogramm installieren sollte, das wissen die meisten mittlerweile", sagt Seibold. "Aber wer hat schon einen Virenscanner auf seinem Handy?"

Die Münchner Netzfahnder werden rund um die Uhr im World Wide Web unterwegs sein und in diversen Foren nach Straftaten suchen. Wenn beispielsweise Täter auf schlecht gesicherten Webseiten von Kleinbetrieben pornografische Bilder hinterlegen, von denen der Seiteninhaber nicht einmal etwas ahnt. Oder wenn ahnungslose Nutzer auf sogenannte Fake-Seiten gelockt werden, auf denen Trojaner lauern, die Systemdaten ausspionieren.

"Es gibt im Netz die gleichen Straftaten wie im realen Leben", sagt Seibold. Das geht von der Anstiftung zum Mord bis hin zu Foren, in denen man Software kaufen kann, um eine Firma lahmzulegen. Oder man kauft sich Kartendaten, die Betrüger am EC-Automaten ausgelesen haben, zu Sonderkonditionen: "Kaufe zehn Kartendaten, wenn zwei nicht gehen, kriegst du fünf neue. Garantiert!" Viel Zeit haben die Jäger im Netz laut Seibold nicht: IP-Adressen dürfen nur sieben Tage gespeichert werden. Ist der Fall dann nicht gelöst, sind die Spuren im Netz gelöscht.

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