Kabinett:Umzug des Gesundheitsministeriums nach Nürnberg wohl verfassungswidrig

Melanie Huml bei Vorstellung des Projekts "Netzgänger 3.0" in München, 2016

Von den Plänen ihres Parteichefs Horst Seehofer, das Gesunheitsministerium nach Nürnberg zu verlagern, wurde auch Ministerin Melanie Huml überrascht.

(Foto: Johannes Simon)
  • Der SZ liegt eine nicht veröffentlichte Stellungnahme vor, wonach der Umzug des Gesundheitsministeriums von München nach Nürnberg verfassungswidrig sein könnte.
  • Zudem müsste der Freistaat in Nürnberg mehr Miete bezahlen und möglicherweise mit mehr Personal planen.

Von Dietrich Mittler

Der vom Kabinett beschlossene Umzug des Gesundheits- und Pflegeministeriums nach Nürnberg ist womöglich mit der Bayerischen Verfassung nicht vereinbar. Dies geht aus einer noch nicht veröffentlichten Stellungnahme hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Wörtlich heißt es darin mit Bezug auf Artikel 43: "Die Staatsminister und Staatssekretäre als Mitglieder der Staatsregierung haben ihren Dienstsitz am Sitz der Staatsregierung zu nehmen." Gleiches gelte für die mit dem Minister oder der Ministerin untrennbar verbundenen Geschäftsbereiche. In der Folge sei die Verlagerung eines gesamten Staatsministeriums weg vom Sitz der Staatsregierung an einen anderen Ort "verfassungsrechtlich problematisch".

Der Verfassungsrechtler Josef Franz Lindner von der Universität Augsburg begründet seine Einschätzung damit, dass die Staatsregierung nur einen Sitz haben dürfe - und dort müsse auch der Landtag zusammentreten. Faktisch also in München. Nur ein gemeinsamer Sitz von Staatsregierung und Parlament stelle letztlich in "Krisensituationen mit Bedrohungen für die innere Sicherheit und die öffentliche Ordnung des Landes" eine effektive Kommunikation "zwischen den Staatsorganen Staatsregierung und Landtag" sowie auch innerhalb der Staatsregierung sicher.

Der Einsatz moderner Kommunikationstechnologie - auf den die Staatsregierung bereits verwiesen hat - könne im Krisenfall "gestört, zerstört oder überwacht" werden. "In Not- oder Krisenfällen" sei eine räumlich-personelle Einheit von Staatsministern und ihren Beamten unbedingt erforderlich, etwa zur Bildung von Ad-hoc-Krisenstäben, "die in kürzester Zeit zusammenzutreten in der Lage sein müssen", wie Lindner schreibt.

Die Staatsregierung teilt diese verfassungsrechtlichen Bedenken nicht

Der von ihr als "historische Entscheidung" gefeierte Beschluss, ein ganzes Ministerium zu verlagern, zieht indes auch eine Reihe praktischer Probleme nach sich, die für den Freistaat erhebliche Mehrkosten verursachen werden. Am offensichtlichsten wird dies bei den Immobilien. Nach derzeitigem Stand zahlt Bayern für das augenblickliche Ministeriumsgebäude in München im Jahr mehr als 1,5 Millionen Euro Miete. Der Vertrag läuft bis zum 31. Juli 2024 und ist nicht aufkündbar, wie eine Landtagsanfrage der Grünen-Abgeordneten Claudia Stamm ergab. Auch für das Gebäude in Nürnberg werden erhebliche Mieten anfallen.

Die SZ hat Einblick in die Ministerratsvorlage nehmen können, der das Kabinett am Dienstag zustimmte. Demnach strebt Gesundheitsministerin Melanie Huml an, in das derzeit unter anderem von der Firma "Bayern Innovativ GmbH" genützte Gebäude am Gewerbemuseumsplatz in Nürnberg zu ziehen. Es wird voraussichtlich im Sommer 2017 frei. Die repräsentative Immobilie, einst Sitz des Gewerbemuseums, gehört der Nürnberger Versicherungsgruppe. Die sei "grundsätzlich mit einem Eintritt des Freistaates Bayern in den Mietvertrag einverstanden", heißt es in der Vorlage. "Noch ist aber nichts unterschrieben", sagte ein Ministeriumssprecher.

Menschliche Härten werden sich wohl nicht vermeiden lassen

Der Quadratmeterpreis der anvisierten Immobilie ist zwar mit 17,42 Euro höher als jener in München mit gut 14 Euro pro Quadratmeter Bürofläche. Dennoch dürfte die Jahresmiete in Nürnberg - voraussichtlich 1,2 Millionen Euro für das Jahr 2017 und 1,4 Millionen Euro für 2018 - etwas niedriger ausfallen als jene für das Gebäude nahe des Münchner Ostbahnhofs. Allerdings wird der Freistaat eben bis Ende Juli 2024 für beide Häuser Miete zahlen müssen. Und damit nicht genug: Für den durch den Umzug anfallenden Geschäftsbedarf - Material, Geräte, Möbel, EDV, Reisekosten und weiteres - werden wohl 2017 und 2018 jeweils 1,5 Millionen Euro an Ausgaben fällig. So die vorläufige Rechnung.

Darüber hinaus bringt der Umzug auch noch einen Mehrbedarf an Stellen. Laut Vorlage werden anfangs 90 weitere Stellen notwendig sein, von denen schließlich 30 "dauerhaft benötigt" würden. Dabei werden notgedrungen auch Doppelstrukturen geschaffen, da die Spezialisten, die nicht nach Nürnberg gehen, Nachfolger einarbeiten müssen. "Auf Basis der vorstehenden Ausführungen", so heißt es in der Ministerratsvorlage, "werden zur Umsetzung des Konzepts nach ersten Schätzungen in den Jahren 2017 und 2018 zusätzliche Haushaltsmittel in Höhe von rund 2,7 Millionen Euro beziehungsweise 2,9 Millionen Euro" benötigt. Hinzu kommen abrufbare Mittel in Höhe von 7,5 Millionen Euro für den Abschluss des Mietvertrags und die Beschaffung von Ausrüstungs- und Ausstattungsgegenständen.

Huml sagte erneut zu, menschliche Härten zu vermeiden. Doch das wird schwer. Nur ein kleiner Teil der Mitarbeiter, 17 Prozent, wird im Umzugszeitraum fluktuationsbedingt ausscheiden. Etliche können es sich einfach nicht vorstellen, mit nach Nürnberg zu gehen.

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