JVA Augsburg:Komapatient am Bett festgebunden

  • Ein junger Mann wird im Augsburger Klinikum mit einer Fußkette fixiert - obwohl er im Koma liegt und ein Justizbeamter ihn bewacht.
  • Ein Richter weist die Aufhebung der Fesselung an - doch der Richterspruch wird ignoriert.
  • Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Augsburg gegen die JVA-Chefin und zwei weitere hohe Beamte - der Richter hatte Anzeige erstattet.

Von Stefan Mayr, Augsburg

Die Geschehnisse sind zwar schon drei Monaten her, aber Ralph W. gehen sie nach wie vor sehr nahe. "Das kann doch gar nicht wahr sein", sagt der 47-jährige Vater mit gebrochener Stimme, "da kämpft mein Sohn um sein Leben, und die fesseln ihn ans Bett." Ralph W. musste mitansehen, wie sein 24-jähriger Sohn Dennis tagelang mit einer Fußkette aus Eisen an sein Krankenhausbett im Augsburger Klinikum gefesselt war, als er im Koma lag. Und das, obwohl ein richterlicher Beschluss vorlag, der das Ende der Fesselung anordnete.

Ralph W. wirft den Verantwortlichen des Augsburger Gefängnisses einen "menschenunwürdigen Umgang" mit seinem Sohn vor. "Das ist doch gruselig", sagt er, "wenn sich Vertreter des Staates über einen richterlichen Beschluss stellen, ohne das zu begründen." Das sieht jener Richter, der die Beendigung der Ankettung angeordnet hatte, ganz ähnlich: Als Lenart Hoesch, Vorsitzender Richter am Augsburger Landgericht, erfuhr, dass sein Beschluss schlichtweg ignoriert wurde, fackelte er nicht lange: Er erstattete Strafanzeige gegen die Leitung der Justizvollzugsanstalt wegen Freiheitsberaubung.

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Gefängnisleitung

Die Staatsanwaltschaft Augsburg ermittelt nach eigenen Angaben gegen die JVA-Chefin und zwei weitere hohe Beamte. Dass ein Richter eine Vollzugsbeamtin anzeigt, kommt eher selten vor. Entsprechend ungewöhnlich ist auch die Vorgeschichte dieses Falls: Dennis W. leidet seit seinem 14. Lebensjahr an einer schweren chronischen Krankheit. Er braucht extrem starke Schmerzmittel, wird depressiv. Irgendwann nimmt er Drogen und gerät auf die schiefe Bahn.

Im Februar 2015 versucht er volltrunken, einen Taxifahrer zu überfallen. Er wird gefasst und kommt in Untersuchungshaft. Kurz vor dem geplanten Prozess, im August, verschlechtert sich sein Gesundheitszustand so sehr, dass er ins Krankenhaus eingeliefert werden muss. Er wird operiert, danach treten Komplikationen auf. Eine weitere Notoperation ist nötig, dabei erleidet er einen septischen Schock. Vater Ralph W. wird aus dem Bett geklingelt. "Ich sollte sofort in die Klinik kommen, die Ärzte wussten nicht, ob mein Sohn die Nacht überlebt."

Am Krankenbett sieht Ralph W., das sein bewusstloser Sohn mit einer fingerdicken Fußkette ans Bett gefesselt ist. Er ruft seinen Anwalt an. Der erwirkt wenig später bei der Jugendkammer des Landgerichts die Aufhebung der Fesselung. Aber trotz dieses richterlichen Beschlusses tut sich nichts. Die Kette bleibt am Fuß. Tagelang. Obwohl Dennis W. nach wie vor im Koma liegt und von einem Justizbeamten rund um die Uhr bewacht wird.

Nicht der erste Ärger in der JVA Augsburg

Erst als W.s Anwalt aus dem Urlaub zurückkommt und von der Fortdauer der Fesselung erfährt, kommt Bewegung in die Sache. Richter Hoesch erstattet Anzeige, und die Fessel wird gelöst. Allerdings nur für drei Tage. "Dann war mein Sohn wieder so fit, dass die Fesselung gerechtfertigt war", sagt Ralph W. Er betont, dass sein straffällig gewordener Sohn sehr wohl für seine Taten "geradestehen" müsse. "Aber er muss sich nicht alles gefallen lassen." Bis heute habe sich kein Vertreter der JVA bei ihm gemeldet und die Fesselung während des Komas begründet.

Ralph W. selbst wäre wohl gar nicht auf die Idee gekommen, die JVA-Leitung anzuzeigen. Aber er ist froh, dass der Richter dies übernommen hat. "Meinem Sohn hilft das zwar nichts mehr, aber so etwas darf in Zukunft einfach nicht mehr passieren." Es habe seiner Meinung nach "überhaupt keinen Sinn, einen bewusstlosen Menschen ans Bett zu ketten". Er hoffe, "dass das nicht einfach unter den Teppich gekehrt wird".

Anstaltsleiterin Zoraida Maldonado de Landauer wollte sich auf Anfrage zu dem Fall nicht äußern. Es ist nicht das erste Mal, dass die JVA Augsburg Ärger bekommt. 2008 wurde sie vom Bundesverfassungsgericht gerügt, weil ein Gefangener 21 Nächte mit einer Papierunterhose bekleidet auf einer Betonliege schlafen musste, die 24 Stunden lang beleuchtet und per Kamera überwacht wurde.

Dennis W. geht es inzwischen besser, Ende November findet der Prozess gegen ihn wegen versuchten Raubes statt.

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