Justiz:Tatjana Gsell und ein Staatsanwalt kämpfen um Gerechtigkeit

Justiz: Ein Bild aus den Anfängen ihrer Karriere. Heute lebt Tatjana Gsell, inzwischen blond, als Starlet in London. Sie will ihre Rehabilitierung erreichen.

Ein Bild aus den Anfängen ihrer Karriere. Heute lebt Tatjana Gsell, inzwischen blond, als Starlet in London. Sie will ihre Rehabilitierung erreichen.

(Foto: Manuela Meyer/dpa)

Der Prozess wegen des Überfalls auf den Schönheitschirurgen Franz Gsell sorgte 2004 für riesiges Aufsehen. Nun stellt sich heraus: Das Nürnberger Gericht hat ein skurriles Fehlurteil gefällt.

Von Olaf Przybilla

Einer der bizarrsten Sätze der bayerischen Justizgeschichte findet sich im Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 30. Juli 2004. Damals wurde die Angeklagte Tatjana Gsell verurteilt, sich mithilfe von Komplizen eines versuchten Versicherungsmissbrauchs und der Vortäuschung einer Straftat schuldig gemacht zu haben. Sie soll eine Bande zu einem vorgetäuschten Überfall auf die Villa ihres Mannes, des Schönheitschirurgen Franz Gsell, angesetzt haben. Der Überfall in Nürnbergs Nobelviertel Erlenstegen soll zwar, davon ging das Gericht aus, vollends aus dem Ruder gelaufen sein: Der 76-Jährige starb später an den Folgen des angeblich fingierten Überfalls. Sonst aber, davon zeigte sich das Gericht überzeugt, gingen die Täter hoch professionell vor und legten äußerst geschickt falsche Spuren.

Hier also der Satz, der nach Lage der Dinge das Zeug hat, in der Rechtsgeschichte einen exklusiven Platz eingeräumt zu bekommen: "Es wurden", so urteilte das Gericht, "diverse Möbelstücke und Bilder umgeworfen beziehungsweise von den Wänden abgehängt, im rückwärtigen Garten des Anwesens ein Beil abgelegt, vor dem Anwesen eine Plastiktüte rumänischer Herkunft mit Spuren von Erdbeermarmelade deponiert und zwei mit Spurenmaterial unbeteiligter Personen versehene Wollmützen in Bäume neben dem Anwesen geworfen." Plastiktüten aus Rumänien, irreführendes Marmeladen-Material, perfide Wollmützen in den Bäumen - was man eben so tut als routinierter Halunke.

Von derlei durchsichtiger Einbrecherkunst zeigte sich das Gericht allerdings unbeeindruckt. Man glaubte stattdessen, die einen Einbruch lediglich vortäuschenden Täter und Tatjana Gsell, Fotomodell und Frau im Hintergrund, überführt zu haben. Und ihren Jugendfreund gleich dazu: einen damals 33 Jahre alten Hofer Staatsanwalt, der angeblich eine Art professionell beratende Figur abgegeben haben sollte.

Es ergingen vier Urteile, alle wurden rechtskräftig, auch wenn der Staatsanwalt in einem Berufungsverfahren um seine Ehre kämpfte. Zwar wurde keiner des Totschlags oder gar Mordes an Franz Gsell verurteilt - die im Endeffekt tödlichen Schläge wurden einem weiteren, nicht bekannten Täter zugeschanzt. Aber vor allem der Staatsanwalt stand nach dem Urteil vor den Trümmern seiner Existenz. Acht Monate auf Bewährung? Als Mittäter und gehörnter Ex-Lover des Glamourgirls Tatjana Gsell? Da braucht ein Staatsanwalt nicht zu viel Fantasie, um zu ahnen, dass es beruflich künftig schwierig werden könnte im Dienst der bayerischen Justiz.

Man muss jetzt kurz innehalten und sich gedanklich in den Justizpalast Nürnberg versetzen. Bei dem Anruf, sollte so was per Anruf eingehen, wäre man gern dabei gewesen: als nämlich sechs Jahre nach den Urteilen in der Gsell-Sache Ermittler eine Entdeckung machten. Die Spuren an den rumänischen Tüten und vor allem das Gen-Material an den im Baum hängenden Wollmützen mit Sehschlitz - diese Spuren waren plötzlich Menschen zuzuordnen, die in Straftaten eine gewisse Übung hatten.

Es ging dann juristisch erst mal ziemlich hin und her in Nürnbergs Justizpalast. Fast hätte man den Eindruck bekommen können, so wahnsinnig erpicht auf einen Prozess gegen die beiden Rumänen war die bayerische Justiz nicht. Aufgrund von Verzögerungen mussten die beiden Festgenommenen zwischendurch sogar aus der Untersuchungshaft entlassen werden.

Im Herbst 2014 aber, elf Jahre nach der Tat, mussten sich schließlich zwei 39 und 45 Jahre alte Rumänen vor Gericht verantworten. Angesichts der erdrückenden Indizienlast gestanden beide. Kurz vor Weihnachten 2014 erging das Urteil: Wegen besonders schweren Raubes mit Todesfolge wurden beide zu elf Jahren Haft verurteilt. Die beiden waren in die Villa eingestiegen und hatten den gesundheitlich angeschlagenen Franz Gsell mit Schlägen traktiert.

Damit war klar, dass die besagten Wollmützen keineswegs die Finte besonders billig täuschender Halunken war - sondern die Kopfbedeckung der Männer, die für die Tat verantwortlich waren. Und damit war auch klar, dass diese Tat mitnichten ein entglittener Schein-Überfall auf eine Villa zum Zwecke des Versicherungsbetrugs war - sondern die Tat einer Kleingang, die sich das noble Erlenstegen als lohnenden Zielort ausgesucht hatte.

Es gab, auch das stellte das Landgericht 2014 fest, keinerlei Verbindung zwischen den tatsächlichen Tätern und jenen vier Personen, die 2004 verurteilt worden waren. Wie so was passieren kann? Das ist eine der Fragen, mit denen sich derzeit die Justiz in Fürth und Regensburg zu befassen hat.

"Hätten Sie auf Ihre Mutter gehört, die hat Ihnen doch geraten, die Finger von dieser Frau zu lassen."

Tatjana Gsell - sie gibt heute als Beruf "Starlet" an und London als Wohnort - und der frühere Staatsanwalt haben Wiederaufnahmeanträge gestellt, für Gsell ist das Amtsgericht Fürth, für den Ex- Staatsanwalt das Landgericht Regensburg zuständig. In beiden Verfahren, ein absoluter Ausnahmefall, haben sowohl Verteidigung als auch Staatsanwaltschaft einen Freispruch beantragt. In beiden Verfahren haben sich die zuständigen Richter aber auch ein Jahr, nachdem die Anträge gestellt wurden, noch nicht zu einer Entscheidung durchringen können. "Das ist unfassbar", sagt Martin Reymann-Brauer, der Anwalt des Ex-Staatsanwalts. Immerhin müsse inzwischen klar sein, dass sein Mandant damals zum Opfer geworden sei.

Tatsächlich kommt dem Ex-Staatsanwalt die tragischste Rolle in der Geschichte zu. Man muss nur Berichte über die damaligen Verhandlungen lesen, um zu ahnen, was der Mann hat durchmachen müssen. Schon dass er in Hof als "jungdynamischer Ankläger in Autoschieberprozessen" wirkte, prädestinierte ihn für Gespött. Immerhin sollte er angeblich, davon ging die Anklage damals noch aus, den Mercedes der klammen Tatjana Gsell einer "jugoslawischen Autoschieberbande" übergeben und der Versicherung als gestohlen melden - quasi als Fachmann in Autoschieberdingen, wie gehöhnt wurde.

Heute ist offenkundig, sagt sein Anwalt, dass es solche Pläne nie gab. Auch dass der Staatsanwalt zugab, Gsell schon gemocht zu haben, als die noch ihren Mädchennamen trug und nicht als Vorführdame durch die Klatschpresse stöckelte, gab Anlass zum Feixen. Das noch anschwoll, als er einräumte, der Frau, die vor Gericht in tief ausgeschnittenen Sommerkleidern erschien und als Beruf Diplom-Kosmetikerin angab, verfallen gewesen zu sein.

Die Frau im Sommerkleid nannte ihn mal "Wurm", mal "schöner Stevie", nahm ihn sonst aber nicht ganz für voll. Ein guter Freund eben. Er dagegen beantwortete die Frage, ob er Frau Gsell, die offenbar eher ältere Herren mit Geldbeutel bevorzugte, hörig war: "Hörig ist ein wenig zu hart, ich war ihr stets nachlaufend." Der anklagende Oberstaatsanwalt belehrte den deutlich jüngeren Kollegen noch im Gerichtssaal: "Hätten Sie auf Ihre Mutter gehört, die hat Ihnen doch geraten, die Finger von dieser Frau zu lassen." Eine Erniedrigung.

Die angebliche Tat habe der Ex-Staatsanwalt nie gestanden, darauf legt sein Anwalt wert. Nur falsch ausgesagt habe er einmal: Als er damit konfrontiert wurde, an einer schweren Straftat beteiligt gewesen zu sein, habe er in der Drucksituation fälschlicherweise eingeräumt, am Tattag in Nürnberg gewesen zu sein. Er habe Angst gehabt, andernfalls noch im Hofer Justizzentrum festgenommen zu werden. Wie hätte das ausgesehen, als Staatsanwalt?

Ein falsches Geständnis hatte einer aus der "jugoslawischen Autoschieberbande" abgelegt. Er hoffte damit wohl, Strafrabatt in anderen Fällen zu bekommen - belastete mit dem Geständnis aber andere, die mit der angeklagten Sache offenbar ebenso wenig zu tun hatten wie er, schwer. Einen angeblichen Versicherungsbetrug gestanden und den Staatsanwalt und Ex-Lover gleich mit hingehängt, hatte auch Tatjana Gsell. Dies aber nur, wie sie später sagte, um nicht für den Tod ihres Mannes verantwortlich gemacht zu werden. Was ihr, könnte man sagen, immerhin gelang.

Sie habe in der Untersuchungshaft nur eingeräumt, was Ermittler hören wollten, sagt ihre Anwältin Nicole Obert. Zwar hatte es wohl lose Überlegungen gegeben, mit einer Versicherung auf nicht saubere Art an Geld zu kommen. Jene Autoschieber hatten sich auf ein Inserat hin bei Tatjana Gsell gemeldet, die hatte sich mit dem Ex-Staatsanwalt beratschlagt, der hatte heftig abgeraten, die Sache wurde verworfen. Allein der Kontakt indes zu der Bande, den Ermittler rekonstruierten und verdächtig fanden, sollte sich später fatal auswirken.

Warum die Wiederaufnahmeanträge ein Jahr lang geprüft werden müssen? 6500 Aktenseiten, heißt es an beiden Gerichten, das brauche Zeit. Außerdem habe ein Anwalt moniert, es gebe unlautere Absprachen zwischen der Justiz in Fürth und der in Regensburg. Dem sei widersprochen worden, das habe Zeit gebraucht. Demnächst sollen Entscheidungen fallen.

Würde der Ex-Staatsanwalt, sollte er freigesprochen werden, zurückkehren in den Staatsdienst? Kaum, sagt sein Anwalt, mit dem Kapitel habe sein Mandant abgeschlossen. Er ist inzwischen als Assessor tätig, mit Medien will er nichts zu tun haben. Und mit Frau Gsell auch nicht mehr.

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