70 Jahre Weiße Rose:Braune und weiße Flecken

Die Ludwig-Maximilians-Universität war nicht brauner als andere. Doch ihre Stellung in München, der "Hauptstadt der Bewegung" der Nazis, brachte Extreme mit sich: Auf dem Campus trafen Fanatiker und Widerständler wie die Mitglieder der Weißen Rose aufeinander.

Von Martina Scherf

Mit einem Staatsakt wird 1936 die Eröffnung der Forschungsabteilung "Judenfrage" an der Münchner Universität gefeiert. "Vor der Universität hatte ein Ehrensturm des Studentenbundes Aufstellung genommen", berichtet der Völkische Beobachter, die Parteizeitung der Nazis. "Kurz nach 11 Uhr marschierten die Fahnen der nationalsozialistischen Studenten ein, begrüßt von der festlichen Versammlung. Es folgte der Einzug der Ehrengäste, an der Spitze der Stellvertreter des Führers mit dem Präsidenten des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschland, Professor Walter Frank, und dem Präsidenten der bayerischen Akademie der Wissenschaften, Professor Karl Alexander von Müller... Die lange Kolonne der Vertreter des Staates, der Partei und der hohen Würdenträger der deutschen Wissenschaft in ihren Ornaten bot ein farbenfrohes Bild."

Der Prachtbau der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) an der Ludwigstraße, von Friedrich von Gärtner entworfen, vom NS-Architekten German Bestelmeyer um den Lichthof erweitert, eignete sich hervorragend für die weihevollen Inszenierungen der Partei. So fand dort schon am 10. Mai 1933 unter großem Gepränge die sogenannte "Feier der nationalen Revolution" statt. Sie war der Auftakt der Bücherverbrennung am Königsplatz.

Die LMU war nicht brauner als andere. Doch ihre Stellung in München, der "Hauptstadt der Bewegung" der Nazis, brachte Extreme mit sich - Fanatiker auf der einen Seite, Widerständler auf der anderen -, die so anderswo nicht zu beobachten waren, sagt Elisabeth Kraus, die ein mehrjähriges Forschungsprojekt zu dem Thema geleitet hat, aus dem zwei Sammelbände hervorgingen. "Von Anpassung und vorauseilendem Gehorsam über die stille Emigration bis zur euphorischen Unterstützung der Diktatur und der Bereitschaft, die eigene Forschung und Lehre ganz in den Dienst des Regimes zu stellen" reichte die Bandbreite an Haltungen, erläutert die Historikerin.

Heimlicher Treffpunkt der Widerständler

Es gab Wissenschaftler, die zu wichtigen Stützen Adolf Hitlers wurden wie der Historiker und Berufsantisemit Wilhelm Grau, der dem Reichspropagandaminister Joseph Goebbels ideologisches Rüstzeug für seine Judenpolitik lieferte. Auf der anderen Seite waren da aktive Widerständler wie die Mitglieder der Weißen Rose, die ihr Leben riskierten.

Hildegard Hamm-Brücher, die Grande Dame der deutschen Nachkriegspolitik, studierte damals an der LMU Chemie. Das war nur möglich, weil ihr Doktorvater Heinrich Wieland eine schützende Hand über sie und etwa 20 andere Studenten hielt. Hamm-Brücher hatte eine jüdische Großmutter, als "Halbjüdin" hätte sie keinen Studienplatz erhalten. Wieland, Nobelpreisträger von 1927, war einer der wenigen, der sich den Verordnungen der Partei widersetzte. Im Ersten Weltkrieg hatte er Kampfstoffe wie das Senfgas entwickelt. "Wieland ging für mich sogar zur Gestapo", erzählt Hamm-Brücher, "und erzählte denen, wenn ich zum Trambahnwaschen abkommandiert werde, könne er seine kriegswichtigen Arbeiten nicht mehr weitermachen."

Auch den Studenten Hans Leipelt beschäftigte Wieland. Der hatte in Hamburg einen Weiße-Rose-Kreis mitgegründet; nach der Hinrichtung seiner Münchner Freunde verbreitete er das sechste Flugblatt in der Hansestadt und sammelte Geld für die Witwe von Kurt Huber. Nach Leipelts Verhaftung sagte Wieland noch vor Gericht für ihn aus, vergeblich: Am 29. Januar 1945, kurz vor Kriegsende, wurde Leipelt hingerichtet.

Die Vorlesungen des Philosophieprofessors Kurt Huber - Dienstag, Donnerstag und Freitag von 10 bis 11 Uhr - waren der heimliche Treffpunkt der Widerständler. Dort hörten sie versteckte Kritik an der allgegenwärtigen Propaganda, wie in besagten Sammelbänden zu lesen ist. In der Philosophischen Fakultät trafen aber beide Extreme aufeinander: Neben Huber, der seinen Beitritt zur Weißen Rose mit dem Leben bezahlte, gab es auch einen Hans Grunsky, der seinen Lehrstuhl 1937 auf persönliche Intervention Hitlers erhalten hatte und zum obersten Denunzianten wurde.

Noch heute entrüstet

Auf seiner Seite stand auch der Gynäkologe Lothar Tirala, er wurde kurz nach der Machtergreifung auf den Lehrstuhl für Rassehygiene berufen. "Es geht nicht an, dass ein germanisches Mädchen einen jüdischen Mann zum Freund oder Ehemann hat und auf diese Weise die Bastardisierung in unserem Volke gefördert wird", schrieb er 1935. Es gab aber auch Mediziner wie Max Borst. Der Pathologe war Mitglied im NS-Lehrer- und im NS-Ärztebund, doch er nutzte das Vertrauen der Parteioberen, um bei sich noch jüdische und ausländische Mitarbeiter zu beschäftigen, als das längst gefährlich geworden war.

"Die Masse der Professoren war von Haus aus nicht demokratiefreundlich", resümiert Elisabeth Kraus. Sie hätten völkisches und antisemitisches Gedankengut gepflegt, wie es seit der Weimarer Republik weit verbreitet war. Allerdings seien die meisten bei ihrer konservativen Grundhaltung geblieben und nicht dem Nationalsozialismus angehangen.

Der Münchner Mediziner Ernst Rüdin war da von ganz anderem Kaliber, er trug maßgeblich zu den Nürnberger Rassegesetzen bei. Der Kunsthistoriker Wilhelm Pinder agitierte 1933 für das "Bekenntnis der Professoren . . . zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat" und bemühte sich eifrig, die Kunst- zur Rassegeschichte umzudeuten. Die katholische theologische Fakultät der LMU wurde 1939 nach längerem Streit um das Konkordat zwischen NS-Regierung und dem Vatikan geschlossen, als einzige in Deutschland. Ob Indologen, die sich für die Erforschung der arischen Völker einspannen ließen, oder Osteuropaforscher, ob Physiker, Künstler oder Historiker - viele Professoren ließen sich für die Nazi-Ideologie vereinnahmen.

Ganz besonders euphorisch waren aber die Studenten: In München hatte der Jurastudent Wilhelm Tempel 1926 den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund gegründet. Das Klima kippte schon damals schnell zur Gewalt. 1920 sprach sich Max Weber gegen die Begnadigung des Mörders des sozialistischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner aus und wurde daraufhin von seinen Studenten aus dem Hörsaal gejagt. Im gleichen Jahr verhinderten judenfeindliche Studenten in München einen Vortrag von Albert Einstein.

LMU statt Geschwister-Scholl-Universität

Viele solcher Ereignisse sind in dem Forschungsprojekt der LMU zusammengetragen. An der Nachbaruniversität, damals Technische Hochschule, sieht es mit der Quellenlage hingegen düster aus. In einem zweibändigen Werk des Historikers Martin Pabst zur Geschichte der Hochschule sind der NS-Zeit nur zwei Kapitel gewidmet. Dabei förderte der damalige Rektor Lutz Pistor jede Menge kriegswichtiger Forschungsprojekte und diente, wie Pabst beschreibt, Nazi-Größen, die hier gelehrt oder studiert hatten, wie Reichsminister Hans Frank oder Heinrich Himmler, Forschungsprojekte an.

Hildegard Hamm-Brücher ist noch heute entrüstet, wie wenig die NS-Geschichte der Münchner Universitäten bisher aufgearbeitet ist, wie viele Nazis unter den Professoren nach dem Krieg reingewaschen wurden: "Nachdem die Entnazifizierung von den Amerikanern auf die Deutschen übergegangen war, stellte einer dem anderen einen Persilschein aus." Die meisten Biografien seien nach wie vor unvollständig, betont auch Kraus. "Da gibt es noch jede Menge weißer Flecken."

Studenten haben immer wieder gefordert, dass die LMU den Namen der Geschwister Scholl bekommen sollte. "Die Geschichte unserer Universität lässt sich aber nicht mit der Geschichte des Widerstands identifizieren", widersprach vor Jahren schon der Historiker Hans-Michael Körner. "Man würde sich unzulässig mit einem moralischen Verdienst schmücken."

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