Geschichte:Kurt Eisner, der missverstandene Held

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Welche Rolle Eisner für das Erblühen des Freistaats Bayern wirklich spielte, ist auch unter Historikern umstritten. (Foto: Stadtmuseum)

Die erfolglose Bayern-SPD versucht, das Andenken an den Ministerpräsidenten und die Anfänge des Freistaats für sich zu reklamieren. Dabei war der Revolutionär von 1918 nicht einmal Mitglied der Partei.

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Selbst der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Markus Rinderspacher, legt hin und wieder seine Rolle als braver Parteisoldat ab. Blicken wir kurz zurück auf die Fastnacht in Veitshöchheim, wo sein Bemühen um eine auffällige Faschingskostümierung ins Auge stach. Rinderspacher schlüpfte dort in das Gewand einer historischen Figur, die das moderne Bayern nachhaltig geprägt hat.

Der SPD-Politiker mutierte zu Kurt Eisner, der als Gründer des Freistaats Bayern und als dessen erster Ministerpräsident gilt. "Wenn hier schon alle als Monarchen rumlaufen, bin ich wenigstens einer, der die Demokratie hochhält", sagte Rinderspacher in Anspielung auf seinen CSU-Widerpart Markus Söder, der in Veitshöchheim in der Uniform des alten Prinzregenten Hof hielt.

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Rinderspachers Verkleidung beinhaltete eine starke politische Botschaft: Weil Eisners Umsturzaktion, die das morsche Königreich Bayern zu Fall brachte, nun 100 Jahre her ist und das Jahr 2018 deshalb zum Gedenkjahr hochstilisiert wird, pocht die SPD wieder einmal energisch auf eine angemessene Würdigung des Revolutionärs. Tatsächlich steht der Sozialist Eisner den Sozialdemokraten auf den ersten Blick sehr nahe.

Es verwundert keineswegs, dass sich die chronisch erfolglose Bayern-SPD gerade im Jubeljahr 2018 gerne mit diesem Mann schmücken und seine historische Leistung für sich reklamieren möchte. Allerdings wird er immer noch sehr unterschiedlich beurteilt, wobei die Staatsregierung langsam von ihrer strikten Anti-Eisner-Haltung abrückt. Die CSU würdigte ihn lange Zeit mit Komplimenten wie Kommunist, politischer Wirrkopf und Gegner der parlamentarischen Demokratie.

Mittlerweile hat die Staatsregierung aber angekündigt, sie wolle bei einem Staatsakt am 8. November 2018 ("100 Jahre Freistaat Bayern") an die herausragende historische Rolle Eisners erinnern. Den Vorschlag der Landtags-SPD, den 8. November in Erinnerung an die Ausrufung der Republik zum Feiertag zu erheben, lehnt die Staatsregierung jedoch ab.

Welche Rolle Eisner für das Erblühen des Freistaats Bayern wirklich spielte, ist auch unter Historikern umstritten. Dass ihn die Sozialdemokraten vereinnahmen wollen, ist zumindest aus geschichtlicher Sicht fragwürdig. Eisner gehörte seit 1917 nicht mehr der SPD an. Als sich damals Teile des linken SPD-Flügels abspalteten und die USPD gründeten, war der Pazifist einer der Antreiber. Ähnlichkeiten mit den Verwerfungen in der modernen SPD sind unverkennbar.

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"Man könnte durchaus sagen, Eisner war so etwas wie der Lafontaine der damaligen SPD", sagte Ferdinand Kramer, Ordinarius für Bayerische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, vor wenigen Tagen am Rande einer Tagung der Kommission für Bayerische Landesgeschichte, bei der zwei Dutzend Historiker über die Entwicklung der Demokratie in Bayern debattierten. Dabei wurde evident, wie kompliziert, dornenreich und langwierig dieser Prozess vonstatten ging.

Der Fall Eisner macht überdies deutlich, wie unterschiedlich die Demokratieentwicklung interpretiert wird. Schon die verschiedenen Formen des Gedenkens erweisen sich als vertrackt, wie Bernhard Grau, der neue Leiter des Hauptstaatsarchivs und Eisner-Experte dem Plenum darlegte. "Es gibt erstaunlich viele Denkmäler für Eisner", sagte Grau. In München werde des ersten bayerischen Ministerpräsidenten an fünf Orten im öffentlichen Raum gedacht. Andererseits stellte Grau fest, dass die wechselhafte Geschichte der Eisner-Denkmäler die politischen Umbrüche seit dem Ende des Ersten Weltkriegs getreu widerspiegeln.

So wurde am 1. Mai 1922 auf dem Münchner Ostfriedhof Eisner und den Toten der Revolution ein Denkmal gewidmet. Das Gedenken an Eisner fand schon in der Weimarer Republik Anhänger, aber auch Gegner. Für die Nationalsozialisten stellte er "als Jude, Pazifist und Linksrevolutionär" eine Hassfigur dar. Im Juni 1933 erklärten sie den Grabplatz im Ostfriedhof für erloschen, die Urne wurde ausgegraben und an den jüdischen Friedhof an der Ungererstraße überstellt. Das Denkmal für die Opfer der Revolution wurde zerstört.

Die Verbannung Eisners aus dem öffentlichen Raum dauerte nach dem Kriegsende an. Eine ernsthafte öffentliche Diskussion um die Würdigung des Politikers und um den geeigneten Ort dafür kam erst wieder in den Sechzigerjahren in Gang. Das Erinnern an Kurt Eisner, an die Revolution und an die Entstehung des Freistaats blieb so umstritten, wie das am Boden eingelassene Denkmal an der Mordstelle (1989, Kardinal-Faulhaber-Straße) und das Denkmal am Oberanger (2008), während die im Mathäser-Filmpalast angebrachte Gedenktafel von den meisten Gästen gar nicht wahrgenommen wird.

Grau stellte die These auf, dass alle bisherigen Eisner-Initiativen auch deshalb nicht restlos befriedigten, weil sie immer von der Arbeiterbewegung oder vom SPD-dominierten Stadtrat ausgegangen waren, während der Freistaat Bayern, dessen erster Ministerpräsident Eisner war, durch völlige Abstinenz in Erscheinung trat.

Zweifellos hat die kontroverse und nicht immer von den historischen Fakten geprägte Sicht auf Eisner die Schaffung eines angemessenen Denkmals erschwert. Während die CSU ihren Anti-Sozialismus vehement an Kurt Eisner festmachte, erfolgten auch die Initiativen der SPD nicht ohne Eigennutz, sagte Grau. Seit den Achtzigerjahren bis hin zu Rinderspachers Aktion auf dem Veitshöchheimer Fasching versuchte die Partei, den politisch inzwischen ganz anders konnotierten Begriff Freistaat für sich zu vereinnahmen.

Die für Eisner errichteten Denkmäler und Gedenktafeln fördern zwar das Erinnern an die Mordtat, der er zum Opfer fiel, seine Rolle in der Revolution sowie seine humanitären Auffassungen. "Nicht gelungen ist es hingegen, seine Bedeutung für die Einführung einer parlamentarischen Demokratie in Bayern angemessen zu würdigen", sagte Grau. Die existierenden Eisner-Denkmäler könne man daher nur sehr bedingt als Orte der Demokratie bezeichnen. Grau gewinnt dem Prozess aber trotzdem etwas Positives ab. "Das Gedenken an Eisner wird vor allem durch diese Kontroversen am Leben erhalten."

Insgesamt offenbarte die Tagung, dass in der Erinnerungspolitik im Freistaat nicht nur Eisner ein ungelöstes Thema darstellt. Kramer wies darauf hin, wie vielfältig im kulturellen Erbe Bayerns die agrarische Welt in Bauernhausmuseen präsent ist, wie vielfältig das wittelsbachisch-monarchische Erbe in Residenzen und Museen oder das monastische und sakrale Erbe in großen Klosteranlagen und Kirchen nachvollziehbar ist.

Auch, wie Schlachten in Höchstädt oder Hohenlinden oder wie Weltkriege mit Denkmälern in Erinnerung gerufen werden, wie vielfältig und stark der NS-Vergangenheit gedacht wird. Umso mehr falle auf, sagte Kramer, wie wenig Erinnerungskultur mit den Orten und Schauplätzen der Demokratie im Land präsent sei. Selbst den Vätern und Müttern der Verfassung von 1946 ist kein Denkmal gewidmet. "Wem sind die Orte bewusst, an denen Demokratie entwickelt, gelebt oder verteidigt wurde?", fragte Kramer. Es gibt viel zu tun im Jubiläumsjahr 2018.

© SZ vom 24.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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