15 Jahre Bürgerbegehren in Bayern:Mit Passion

Für Solarstrom, gegen ein Großkrematorium oder Passionsspiele bis in die Nacht: Seit 15 Jahren können die Bayern mit Bürgerbegehren in die Kommunalpolitik eingreifen. Sie sind wahre Abstimmungsmeister.

Katja Riedel

Es war der erste erfolgreiche Volksentscheid der Geschichte Deutschlands: Fast 58 Prozent der Bayern sagten am 1. Oktober 1995 ja zu Bürgerbegehren und -entscheid. In Kommunen und Landkreisen können die Wahlberechtigten seither direkt abstimmen über das, was sich in ihrer unmittelbaren Umgebung verändern soll oder gerade nicht. Voraussetzung ist, dass im Bürgerbegehren ausreichend Unterschriften zusammenkommen und damit der Bürgerentscheid zugelassen wird. Auch Gemeinderäte können den Einwohnern ihrer Kommune in einem Ratsbegehren Fragen vorlegen.

Merkel besucht Oberammergauer Passionsspiele

Das Oberammergauer Passionsspiel dauerte dieses Jahr bis in die Nacht - dank eines Bürgerentscheids.

(Foto: dpa)

Bayern sei "der absolute Superspitzenreiter", wenn es um Bürgerbegehren gehe, sagt eine Sprecherin des Vereins "Mehr Demokratie", der das Volksbegehren damals angeregt hat. 1772 Bürgerbegehren und Ratsreferenden hat der Verein seither für Bayern registriert. In 903 Fällen kam es zum Bürgerentscheid - das sind durchschnittlich Schnitt 118 Abstimmungen pro Jahr.

In größeren Städten, so die Statistik des Vereins, finden Bürgerbegehren und -entscheide häufiger statt als in kleineren Gemeinden. Nirgendwo wollen die Bürger öfter mitreden als in Augsburg, 22 Mal bislang. Manchmal, wie bei der Standortfrage einer Aphrodite-Brunnenfigur, erledigten die Stadträte den Bürgerentscheid, indem sie ihnen per Beschluss zuvorkamen.

Gleichwohl sind nicht die Schwaben, sondern die Oberbayern mit 355 Abstimmungen die Abstimmungsfreudigsten. Die Wahlbeteiligung lag bei durchschnittlich 51,4 Prozent. Wobei auch gilt: Je größer eine Kommune, desto weniger stimmen ab.

Fast so oft wie in Augsburg haben die Regensburger Flagge gezeigt. 21 Mal wurde dort über ein Begehren diskutiert. Mal hieß es, "Temelinstrom kommt mir nicht ins Haus" mal gab es zwei Abstimmungen für und gegen eine Stadthalle am Donaumarkt. Fast ebenso laut machen die Erlanger ihrer Meinung Luft - böse Zungen sagen, weil dort so viele ältere, meinungsstarke Akademiker leben. Dort gab es 17 Initiativen. Derzeit werden Unterschriften "Für mehr Solarstrom" gesammelt. Das erste Bürgerbegehren von 1997 mutet dagegen wenig erbaulich an: Damals unterschrieben die Bürger gegen den Bau eines Großkrematoriums. Zum Entscheid kam es nicht, der Stadtrat lehnte das Projekt ab.

Gemessen an ihrer Einwohnerzahl leben die rebellischsten Bayern aber in Oberammergau - sie debattieren mit Passion - und am liebsten über die Passion, das alle zehn Jahre stattfindende Laienspiel. Den Entscheid, die Passionsspiele am Abend aufzuführen, erwiderte 2007 die Initiative "Gegen Abend-Passion", unterlag aber knapp. Der Abstimmung "Für flexible Überdachung der Freilichtbühne"

2003 folgte "Gegen Überdachung der Passionsbühne" - heute gibt es ein flexibles Dach. In der ersten von zehn Befragungen lehnten die Oberammergauer 1996 einen Spielleiter ab, stimmten im selben Jahr aber dafür, die Texte von Pater Otmar Weis, Pfarrer Joseph Alois Daisenberger und die Musik von Rochus Dedler für die Spiele zu nutzen.

Die Wucht des Oberammergauer Bürgerwillens schlug jüngst wieder Wellen. Als die Olympia-Bewerbungsgesellschaft für die Winterspiele 2018 in München Wettbewerbe in der Gemeinde austragen wollte, machten die Olympia-Gegner mobil. Dem Gemeinderat wurde so bang, dass er beschloss, das Projekt nicht weiterzuverfolgen - denn die Gegner hatten die erforderlichen Unterschriften für einen Bürgerentscheid binnen weniger Tage beisammen. Manche Honoratioren hörte man da schon von eidgenössischen Verhältnissen sprechen.

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