70-Jahr-Feier:Die bayerische Verfassung - ein Dokument der Hoffnung

Festakt 70 Jahre Bayerische Verfassung

Eine Riesenbühne für die Verfassung bot das bayerische Nationaltheater beim Festakt am Donnerstag.

(Foto: Matthias Balk/dpa)

In seltener Einmütigkeit feiern Vertreter aus Politik und Gesellschaft den 70. Geburtstag der bayerischen Verfassung. Sie entstand unter schwierigen Bedingungen.

Von Lisa Schnell

Dieser Geburtstag vereint sie alle. CSU-Chef Horst Seehofer spricht freundlich mit seinem Rivalen Markus Söder, so scheint es zumindest. Nur ein hochgeklappter Theaterstuhl steht zwischen ihnen. Auch Regierung und Opposition nehmen im Nationaltheater am Donnerstag direkt nebeneinander Platz. Im Publikum sitzen Geistliche in schwarzen Gewändern und goldenen Kreuzen, genauso wie Polizisten in grüner Uniform, Verfassungsrichter und auch das ganz normale Volk.

Sie alle sind gekommen, um ein Schriftstück zu feiern, das viel mehr ist als ein Stück Papier: die bayerische Verfassung. Am ersten Dezember 1946 stimmte ihr das bayerische Volk in einer Volksabstimmung zu. Jetzt, 70 Jahre später, wird die Verfassung im prunkvollen Nationaltheater mit goldenen Säulen und bei angenehmer Zimmertemperatur gefeiert.

Frierend wurde im zerbombten München über die Verfassung verhandelt

Unter welchen Bedingungen sie entstand, zeigt ein Film auf der Leinwand der Theaterbühne. Er zeigt das zerbombte München, Trümmer und Schutt. Bei minus 21 Grad in dünnen Mänteln verhandelten die Parteien in der Aula der Ludwig-Maximilians-Universität über die 188 Artikel der bayerischen Verfassung. "Man saß dort frierend, hat sich aber erwärmt an der großen Idee einer neuen Verfassung", sagte Festredner Paul Kirchhof, ehemaliger Bundesverfassungsrichter. Es sei eine "Verfassung der Hoffnung".

Die Männer waren in Gefangenschaft oder gefallen, die Frauen wussten nicht, ob sie den Winter überstehen. Auf die "ungewissen Fragen nach der Gerechtigkeit" hätte die Verfassung die richtigen Antworten gefunden, indem sie Bayern als "Freistaat, Volksstaat, Rechts-, Kultur- und Sozialstaat" ausrief. Es sei aber auch eine "Verfassung des Mutes", die jetzt dringender gebraucht werde denn je. "Wir müssen sie einsetzen, um Untergangsphilosophien und Resignationstheorien entgegenzuwirken", so Kirchhof.

Die bayerische Verfassung sei der Grund, dass wir heute "in Frieden und Freiheit, in Rechtsstaatlichkeit und bislang nie erlangtem Wohlstand leben", sagte Landtagspräsidentin Barbara Stamm. Sie dankte den Verfassungsvätern und ausdrücklich auch den Verfassungsmüttern, die gerne vergessen würden. Auch den SPD-Mann Wilhelm Hoegner, der im Exil in der Schweiz schon die ersten Paragrafen formulierte, vergaß Stamm nicht. Besonders gefalle ihr, dass die Verfassung die junge Generation so in den Blick nehme. "Kinder sind das köstlichste Gut unseres Volkes", zitierte sie Artikel 125.

Festakt 70 Jahre Bayerische Verfassung

Der ehemalige CSU-Chef Edmund Stoiber, Peter Küspert, Präsident des bayerischen Verfassungsgerichtshofs, Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und Paul Kirchhof, ehemaliger Bundesverfassungsrichter.

(Foto: Matthias Balk/dpa)

Die Verfassung habe es geschafft, aus einer Gesellschaft eine Gemeinschaft zu formen. Gerade heute brauche die Gesellschaft einen starken Zusammenhalt. "Wir müssen alles tun, um eine Spaltung zu vermeiden", sagte Stamm. An diesem Festtag würden deshalb auch all die Bürger und Bürgerinnen gefeiert, die sich "für ihr Land tagtäglich einbringen". Den leidenschaftlichen Einsatz für die Demokratie könne man nicht in die Verfassung schreiben, sagte Ministerpräsident Seehofer in seiner Rede. Eine freiheitliche Verfassung brauche deshalb die aktive Bürgergemeinschaft. Die bayerische Verfassung sah als eine der ersten Volksentscheide und Volksbegehren vor. "Geben wir noch mehr Bürgern die Chance, an den öffentlichen Angelegenheiten wirklich Anteil zu nehmen", sagte Seehofer und lieferte damit die Überleitung zum nächsten Redner: Peter Küspert, Präsident des bayerischen Verfassungsgerichtshofs (VGH).

Gerade erst hatte der VGH ein Gesetz der Staatsregierung gekippt, das unverbindliche Volksbefragungen vorsah. Das würde seinen Respekt für Küspert aber nicht schmälern, sagte Seehofer später. Er wolle sich sogar für einen Bundesverfassungsrichter Küspert einsetzen. Passend merkte Küspert in seiner Rede an, das Bundesverfassungsgericht sei nach dem bayerischen VGH erschaffen worden. Anders als im Bund aber gestatte die bayerische Verfassung jedem Bürger, gegen ein Gesetz zu klagen, auch wenn er nicht selbst betroffen sei.

Sigi Hagl (Grüne) freute sich, dass die Bürgerbeteiligung so betont wurde. Und merkte an, dass die CSU sie mit ihrer geplanten "Volksbefragung von oben" nicht ernst nehme. Horst Arnold (SPD) empfahl der Regierung dagegen, die Artikel zur Chancengleichheit noch mal zu lesen. Bei dem akuten Lehrermangel im Land könnte die nicht gewährleistet werden. Auf das Integrationsgesetz der Staatsregierung verwies Peter Meyer (Freie Wähler). Da gäbe es Passagen, die nicht verfassungskonform seien. Nach den Feierlichkeiten war sie dann auch schon wieder vorbei, die Einigkeit.

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