Inzest-Fall von Willmersbach:"Es gibt keine Strafe, die dem gerecht werden könnte"

War es Inzest, Missbrauch oder Vergewaltigung? Die Staatsanwältin spricht in ihrem Plädoyer von einem gewalttätigen Patriarchen - und fordert 14 Jahre Haft für den Familienvater aus Mittelfranken. Der Anwalt des Angeklagten erhebt jedoch Vorwürfe gegen die Tochter.

Katja Auer und Olaf Przybilla

Das Unaussprechliche. Eine jahrzehntelange inzestuöse Beziehung zwischen Vater und seiner Tochter, Vergewaltigungen womöglich, Drohungen, Schläge, drei behinderte Söhne, zwei davon gestorben. In einer Familie, in einem Dorf, das dabei zusieht und schweigt. Der Verteidiger Karl Herzog nennt es "das Unaussprechliche".

Fortsetzung des Willmersbacher Inzest-Prozesses

14 Jahre Haft fordert die Staatsanwaltschaft für Adolf B. Er soll seine Tochter fast 35 Jahre lang missbraucht haben.

(Foto: dapd)

Den fünften Tag sitzt der Angeklagte, ein 69-jähriger Familienvater aus dem mittelfränkischen Willmersbach nun im schicksalsträchtigen Schwurgerichtssaal 600 des Nürnberger Landgerichts, und wie an den Sitzungstagen davor kann man davon ausgehen, dass er kaum versteht, was die Menschen da über ihn reden. Ein Männlein, so muss man es sagen. Er wird im Rollstuhl geschoben, weil er sich in der Untersuchungshaft den Fuß verletzt hat, darin sieht er noch viel kleiner aus. Wenn es stimmt, weswegen er vor Gericht steht, ist dieses Männlein ein Tyrann. Als seine Tochter zwölf oder 13 Jahre alt war, soll er sie zum ersten Mal zum Sex gezwungen haben. Im Ehebett, seine Frau soll daneben gelegen haben. Damit begann die Normalität für die heute 46-Jährige. Ungefähr zweimal pro Woche hatte sie Geschlechtsverkehr mit dem Vater, das bestätigen beide.

Was war es nun? Vergewaltigung und Missbrauch durch den Vater? Das sagt Staatsanwältin Beate Frasch und beantragt am Freitag 14 Jahre Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. "Es gibt keine Strafe, die dem Ganzen gerecht werden könnte", sagt sie.

Sie schildert den Vater als gewalttätigen Patriarchen. "Sie wurde letztendlich sein Eigentum", sagt die Staatsanwältin. Nirgendwo durfte sie allein hingehen, Besuch hat er keinen ins Haus gelassen und jedes Aufbegehren unterdrückte er gewaltsam. Geprügelt hat er nicht. "Schell'n" soll es gegeben haben, Ohrfeigen, und immer diese Drohungen. Finden werde er sie, wenn sie das Elternhaus verlasse, umbringen werde er sie. Auch im Dorf galt der Mann als aggressiv, besonders, wenn er getrunken hatte. Beliebt war die Familie nicht, die örtlichen Kerwaburschen dichteten Spottreime: "Die Kinder aus dem gelben Haus, die schaua recht wie ihr Opa aus". Auch die Behörden müssen von dem Gerede gehört haben, die Polizei war regelmäßig da und es gibt den Brief eines Arztes, der den Verdacht eines Inzests äußert.

Von Gewalt will im Dorf trotzdem keiner was gemerkt haben. "Ein Herz und eine Seele" seien Vater und Tochter gewesen, hat ein Zeuge ausgesagt. "Was erwarten wir denn", sagt Staatsanwältin Frasch, "dass sie im Supermarkt geschlagen wird?" Natürlich habe sich die Frau nicht jedes Mal gewehrt. Sie habe Überlebensmechanismen entwickelt. Ihre Anwältin Andrea Kühne erwähnt sogar ein mögliches Stockholm-Syndrom, jenes psychologisches Phänomen also, bei dem Entführte eine emotionale Bindung zu ihren Geiselnehmern aufbauen. "Das war Normalität, perverse Normalität", sagt Kühne. So erklärt sie auch, dass Vater und Tochter zusammengehalten haben, zumindest nach außen hin.

Es gab sogar eine Strafanzeige gegen beide, als sie miteinander auf einen Polizisten losgegangen sind. Und im Wirtshaus, wo die Tochter den Vater immer abholen musste, weil sie als einzige in der Familie einen Führerschein hatte, hat sie ihn verteidigt. Als Kinderschänder ist er einmal am Stammtisch beschimpft worden, da ist die Tochter dazwischen gegangen. Auch aus Scham, sagt Kühne.

Aber vielleicht war es doch eine Beziehung? Ein Inzest, der zwar strafbar ist, aber freiwillig geschah? Das sagt Verteidiger Karl Herzog und beantragt am Freitag fünf Jahre Haft wegen Beischlafs zwischen Verwandten. Unfassbar sei das Ganze zwar für Normalbürger, aber es müssten andere Maßstäbe angesetzt werden. Es gehe hier "um Leute auf extrem niedrigem Niveau". Der 69-Jährige ist Analphabet. Er war zwar acht Jahre auf der Schule, daheim im Bayerischen Wald, aber Lesen und Schreiben hat er nicht gelernt. Sein Lebensweg sei jedoch nicht der "eines geistig Behinderten" gewesen, attestierte ihm ein Gutachter. Er hat in der Holzverarbeitung gearbeitet, auf dem Bau, beim Gleisbau.

Mit 21 Jahren heiratete er seine Frau, sie war die erste und einzige Frau in seinem Leben. Bis auf die Tochter. Die nun beschreibt Anwalt Herzog als geldgeil und arbeitsscheu. Als sie 17 war, sei es "auf ihr Betreiben" zum ersten Sex mit dem Vater gekommen, denn "sie hatte offenbar gewisse Bedürfnisse, die anderweitig nicht befriedigt werden konnten". Sie wollte nicht arbeiten, sagt er, von der Sozialhilfe habe die ganze Familie ganz gut gelebt. "Das war ein sehr bequemes Leben." Angezeigt habe sie den Vater erst, als sie das Elternhaus nicht erben sollte, wie sie es sich erhofft hatte. Absolut unglaubwürdig, nennt Herzog die Tochter.

Die ist inzwischen ausgezogen in Willmersbach. Sie fährt trotzdem noch hin, kümmert sich um die Mutter. Die wollte nichts sagen vor Gericht, hat ihrem Mann nur weinend die Hand gedrückt. Wie die Brüder, die wollten auch nichts sagen. Nur die Personalien angeben, ein Gruß an den Vater richten und wieder raus aus dem Saal 600. Der Vater hat geredet, zumeist sagte er nur ein Wort, ein lang gezogenes "nix". Hat er seine Tochter mit Gewalt auf den Rücksitz gezwungen? Nix. Hat die Mutter, seine Ehefrau, nichts gemerkt, wenn er dauernd hinüber gelaufen ist ins Zimmer seiner Tochter, das auf dem selben Stockwerk liegt wie das Schlafzimmer der Eltern? Nix. Gab es Schläge? Nix. Gibt es da so etwas wie Reue? Auch davon nichts.

Das letzte Wort hat er Angeklagte. Aber auch zum Schluss spricht er nicht viel mehr, es ist ohnehin nie viel geredet worden in der Familie. "Ich mag gar nicht eingesperrt werden, das wär' das Beste", sagt er in seinem ungefälligen Dialekt der Waldler. Es versteht ihn kaum einer. Sein Anwalt übersetzt. Das Urteil soll am Montag gesprochen werden.

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