Interview mit Günther Beckstein:"Ich überlege nicht, wann ich wieder aufhöre"

Ministerpräsident Beckstein über die Harmonie mit Erwin Huber, den Streit mit Angela Merkel und die Chance auf die absolute Mehrheit.

Die CSU kämpft mit einer Unterschriftenaktion für die Wiedereinführung der Pendlerpauschale. Die Kanzlerin lehnt sie strikt ab. Der bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein hat Angela Merkel dafür heftig kritisiert. Nun versucht er allerdings die Wogen zu glätten - wohl auch deswegen, weil es Druck von der CDU aus Berlin gab. Für die Landtagswahl im September zeigt er sich hoffnungsfroh und peilt die absolute Mehrheit an.

Interview mit Günther Beckstein: Günther Beckstein peilt wieder die absolute Mehrheit bei der Landtagswahl an

Günther Beckstein peilt wieder die absolute Mehrheit bei der Landtagswahl an

(Foto: Foto: ddp)

Das Gespräch führten Katja Auer, Kassian Stroh und Annette Ramelsberger

SZ: Herr Beckstein, redet Frau Merkel noch mit Ihnen?

Günther Beckstein: Gerne und häufig. Dass man punktuell eine andere Meinung hat und sich trotzdem schätzt, kenne ich nicht nur im Verhältnis zur Bundeskanzlerin. Frau Merkel wird auf dem CSU-Parteitag auftreten, und ich freue mich auch über die hohen Umfragewerte der Kanzlerin. Die helfen auch uns. Anders bei der SPD, die leidet heftig unter den schlechten Werten ihres Vorsitzenden Kurt Beck.

SZ: Das hört sich aber plötzlich sanftmütig an. Gerade haben Sie sich noch heftig mit der Kanzlerin gestritten.

Beckstein: Die Pendlerpauschale, über die wir streiten, ist nicht das einzig Wichtige in der Politik. Wir in Bayern wollen eine konstruktive Rolle bei der Gesundheitsreform spielen, die der Kanzlerin am Herzen liegt. Auch bei der Bildungspolitik sind wir weitgehend einer Meinung.

SZ: Mit Verlaub, Sie haben Kreide gefressen. Letzte Woche hörte sich das noch ganz anders an: Sie wollten sich Frau Merkel nicht unterwerfen, sie sei bei der Pendlerpauschale im Unrecht. Haben Sie Druck aus Berlin bekommen?

Beckstein: Ich hab' nichts gespürt. Ich will aus unserem energischen Eintreten für die Rückkehr zur alten Pendlerpauschale keinen generellen Konflikt mit der Kanzlerin machen. Aber ich werde meine Meinung in diesem Punkt nicht ändern, denn alle Argumente sprechen für uns.

SZ: Sie üben gerade das Kunststück, in Bayern mit aller Macht für die Pendlerpauschale zu kämpfen und in Berlin in der großen Koalition einvernehmlich zu regieren. Wie wollen Sie das schaffen?

Beckstein: Als Ministerpräsident Bayerns sitze ich nicht in der großen Koalition. Und nur weil die CSU in Berlin mitregiert, heißt das nicht, dass wir keine eigenen Gedanken entwickeln können.

SZ: Eigene Gedanken sind das eine. Was Sie praktizieren, ist knallharte Konfrontation: Unterschriftenaktionen für die alte Pendlerpauschale. Das macht sonst nur die Opposition. Wollen Sie den Landtagswahlkampf ohne Rücksicht auf Verluste in Berlin führen?

Beckstein: Wir wollen etwas durchsetzen, ja. Und ich halte die Unterschriftenaktion für gut. Aber sie wird nicht unmittelbar von der Partei organisiert, erst recht nicht von der Staatsregierung.

SZ: Wie viel Streit mit Merkel nehmen Sie in Kauf?

Beckstein: Harmonie ist wichtig, aber nicht alles. Selbst in der Musik muss die Melodie auch kurzfristige Dissonanzen aushalten.

SZ: Und nach dem Crescendo Ihrer Kritik soll Erwin Huber als CSU-Chef dann wieder im Berliner Chor mitsingen, als wäre nichts gewesen. Wie soll er das schaffen?

Beckstein: Da haben Sie einen falschen Eindruck: Erwin Huber macht nicht auf Friede, und ich mache nicht auf Krieg. Die Unterschriftenaktion zur Pendlerpauschale hat Huber intensiver begleitet als ich, er hat sogar selbst gesammelt. Natürlich habe ich die eine oder andere scharfe Formulierung gebraucht, genauso wie sich auch Erwin Huber nicht zurückgehalten hat.

Lesen Sie auf Seite 2, wie Beckstein das Verhältnis zu Huber beschreibt.

"Ich überlege nicht, wann ich wieder aufhöre"

SZ: Sie haben mit Huber offenbar eine neue Rollenverteilung abgesprochen: der nette Huber und der böse Beckstein. Bisher waren Sie doch immer der Nette.

Erwin Huber Günther Beckstein

Die bayerische Doppelspitze: Parteichef Erwin Huber und Ministerpräsident Günther Beckstein

(Foto: Foto: ddp)

Beckstein: Natürlich bin ich ein freundlicher Mensch, aber ich will gewisse Dinge durchsetzen.

SZ: Hat Ihnen Erwin Huber abgeraten, so auf die Kanzlerin loszugehen?

Beckstein: Warum?

SZ: Weil er die Mühe hat, in Berlin die Scherben wieder zu kitten.

Beckstein: Sie werden es nicht schaffen, hier Konflikte zwischen Erwin Huber und mir herauszuarbeiten. Selbstverständlich wollen wir das Thema Pendlerpauschale voranbringen, aber wir wollen das nicht zu einem generellen Gegensatz zwischen CDU und CSU werden lassen.

SZ: Auch nicht zu einem generellen Gegensatz zwischen Beckstein und Huber?

Beckstein: Unser Verhältnis ist exzellent und partnerschaftlich. Wir telefonieren mehrmals am Tag: Was machen wir, um die Wahl zu gewinnen? Was machen wir, um das Land voranzubringen? Da gibt es bei den einzelnen Punkten in neun von zehn Fällen von Anfang an völlige Übereinstimmung, beim Rest innerhalb von zwei Minuten.

SZ: Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder sagten einst in einer solchen Situation, zwischen Sie passe kein Blatt Papier. Man weiß, was daraus geworden ist.

Beckstein: Mit diesen beiden wollen Sie uns aber jetzt nicht wirklich vergleichen. Wir machen seriöse Politik. Die CSU-Wähler sind Doppelspitzen nicht gewohnt und mögen keinen Streit an der Spitze. Auch deshalb achten wir sehr darauf, dass eine einheitliche Botschaft rüberkommt. Die CSU-Wähler sind seit den Zeiten von Franz Josef Strauß gewohnt, dass es nur einen an der Spitze gibt. Zwischen Theo Waigel als CSU-Chef und Edmund Stoiber als Ministerpräsident gab es in den neunziger Jahren Spannungen. Zwischen Erwin Huber und mir gibt es das nicht. Wir haben uns zur Kommunalwahl anfangs unterschiedlich geäußert - das lässt sich leicht erklären: Ich war am Abend in Nürnberg, dort habe ich das schlechte Wahlergebnis hautnah gespürt, Erwin Huber hatte Passau im Blick, wo Landrat Franz Meyer von der CSU ein hervorragendes Ergebnis erzielte.

SZ: Ironie der Geschichte: Als es im November schon mal um die Wiedereinführung der Pendlerpauschale ging, wollten Sie - anders als Erwin Huber - erst einmal das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes abwarten.

Beckstein: Ja, das stimmt. Da wurden wir gleichzeitig gefragt und hatten spontan unterschiedliche Antworten. (Lacht.) Wir haben uns dann darauf geeinigt, dass wir sofort handeln sollten. Und im Koalitionsausschuss in Berlin ist dann rausgekommen: abwarten. So etwas ist hin und wieder unvermeidbar, aber in der Sache kein ernsthafter Dissens.

SZ: Sie klingen so einig, dass wir schon ganz gerührt sind. Träumen Sie manchmal bereits gemeinsam?

Beckstein: Wir träumen gemeinsam von einem bestimmten Abend mit einem bestimmten Ergebnis. Und wenn das dann so ist, wie wir es uns erträumen, liegen wir uns auch noch gemeinsam in den Armen.

Lesen Sie auf Seite 3, warum Beckstein nicht an seinen Rückzug denkt.

"Ich überlege nicht, wann ich wieder aufhöre"

SZ: Diese Woche hatte man ein Déjà-vu: Ihr Innovationsprogramm ist Politik der Marke Stoiber - privatisieren und das Geld für Forschung ausgeben. Sie sind jetzt neun Monate im Amt - wo ist eigentlich Ihre eigene Handschrift?

Beckstein: Eigentlich müssten Sie das mitbekommen haben: Mein großes Thema ist Bildung, kleinere Klassen, bessere Lehrerbesoldung.

SZ: Und das überhastet eingeführte achtjährige Gymnasium?

Beckstein: Auch da haben wir vieles geändert. Nochmal: Einen Nachtragshaushalt für 2245 Lehrerstellen gab es in Bayern noch nie. Bildungspolitik ist die Sozial- und die Wirtschaftspolitik des 21. Jahrhunderts - so steht das schon in meiner ersten Regierungserklärung. Das hat die Kanzlerin übrigens gerade genauso gesagt.

SZ: Auch wenn Frau Merkel von Ihnen geklaut hat - Sie haben auch geklaut. Der Spruch ist alt und von der FDP.

Beckstein: Aber es hat ihn noch niemand in ein politisches Programm gegossen. Wir schaffen 2200 Planstellen und mindestens 1000 weitere in jedem der nächsten Jahre. Wir werden am Ende der nächsten Legislaturperiode bei der Bildung zwei Milliarden Euro pro Jahr mehr ausgeben - von der Verbesserung der Kinderbetreuung bis hin zu kleineren Klassen, vor allem der Klassen mit vielen Migrantenkindern.

SZ: Heißt das: Bei Beckstein gibt es mehr Bildung, sonst ist alles wie früher?

Beckstein: Natürlich nicht. Ich setze beispielsweise auch neue Schwerpunkte bei der Energiepolitik, bei mehr Effizienz und erneuerbaren Energien. Ich will, dass wir Energie einsparen, mit neuesten technischen Methoden. Davon war früher nicht wirklich die Rede.

SZ: Also mehr Bio, mehr Bildung - und womöglich auch eine bessere Nachbarschaft, zumindest was Tschechien betrifft?

Beckstein: Am 21. Dezember 2007 sind die Grenzkontrollen weggefallen, wir haben nun eine noch engere Nachbarschaft mit Tschechien. Und wir wollen, dass es eine gute Nachbarschaft ist - allerdings auf dem Boden der geschichtlichen Wahrheit. Darum habe ich im Angesicht des tschechischen Premierministers Mirek Topolánek und vor großem Publikum gesagt, dass mir niemand erklären kann, dass die Vergewaltigung oder Ermordung einer Frau zu einem frommen Werk wird, nur weil sie am Ende des Krieges an deutschen Frauen begangen wurde. Topolánek hat mir trotzdem demonstrativ die Hand geschüttelt und gesagt, wir gehen gemeinsam in die Zukunft. Ich will die Vergangenheit nicht zudecken. Aber nur die Vergangenheit zu sehen heißt, in eine Sackgasse zu steuern. Hier habe ich bewusst andere Akzente gesetzt als mein Vorgänger.

SZ: Trotz Ihres Umsteuerns, trotz Ihrer neuen Akzente: Zum ersten Mal seit vielen Jahren scheint die absolute Mehrheit der CSU gefährdet. Kann die CSU auch mit 50 minus x leben?

Beckstein: Ich bin absolut sicher, dass wir bei der Landtagswahl bei 50 plus x liegen werden. Und zwar nicht bei 50,01. Ein Mann aus der Forschung hat kürzlich zu mir gesagt: Um Spitzenforscher zu sein, müssen Sie einen unbedingten Willen zum Erfolg haben. Ich habe diesen unbedingten Willen zum politischen Erfolg.

SZ: Nach der Kommunalwahl im März sah es anders aus.

Beckstein: Ich verhehle nicht, dass wir im März und April stürmisches Wetter gegen uns hatten. Das hat man mir wohl sogar angesehen, das hat mich mitgenommen.

SZ: Sie wirken jetzt anders.

Beckstein: Die Stimmung ist jetzt auch anders für uns. Auf dem Tag der Franken am letzten Wochenende wollte sogar die Frau eines SPD-Mandatsträgers ein Autogramm von mir.

SZ: Heißt das, eine CSU unter 50 Prozent ist für Sie gar nicht realistisch? Oder wollen Sie sich das nicht vorstellen?

Beckstein: Vorstellbar ist sogar, dass die SPD unter die Fünf-Prozent-Hürde fällt. Aber realistisch ist das auch nicht. Ich bin ja nicht ganz jung in der Politik, ich erinnere mich noch gut an die Jahre 1994 und 1998. Da haben wir wirklich gezittert wegen der Umfragen. 1994 ...

SZ: ... nach dem Amigo-Skandal ...

Beckstein: ... irgendwann im Mai, Juni war's, da hat Stoiber gesagt: Jetzt sind wir endlich wieder bei 50 Prozent. 1998 war's auch nicht so klar, nicht mal 2003. Das Schwierigste ist, die eigenen Leute zu motivieren. Das war 2003 noch leichter, als Rot-Grün im Bund regiert hat. Und trotzdem gingen insgesamt weniger Leute zur Wahl als 1998.

SZ: Was würde es für Sie persönlich bedeuten, wenn Sie bei der Landtagswahl unter 50 Prozent lägen?

Beckstein: Ich halte das für genauso unwahrscheinlich, wie dass die SPD in Bayern unter fünf Prozent fällt.

SZ: Treten Sie bei 48 Prozent zurück?

Beckstein: Das werden Sie nicht erleben. Es geht um die Frage 51, 52 Prozent. Die bayerischen Wähler wollen hopp oder topp. Die wollen nicht am Wahltag um 18.03 Uhr eine Zitterei wie in Hessen. Die Mehrheitsverhältnisse im Landtag müssen kurz nach Schließung der Wahllokale klar sein. In unserem Sinne.

SZ: Was haben Sie sich für das Jahr 2011 vorgenommen?

Beckstein: 2011?

SZ: Das ist die Halbzeit der nächsten Legislaturperiode.

Beckstein: Ach so meinen Sie das. (Lacht.) Sie fragen nach meinem Rücktritt, noch bevor ich für die nächste Amtszeit gewählt bin. Natürlich wird der Ministerpräsident für eine ganze Legislaturperiode gewählt. Sie werden doch nicht erwarten, dass ich jetzt, wo ich noch nicht einmal ein ganzes Jahr im Amt bin, schon überlege, wann ich wieder aufhöre. Ich habe volle Freude an der Arbeit und meine, dass ich das etliche Jahre machen kann. Wie lange genau, das werden der Herrgott, der Wähler und die Mehrheitsfraktion entscheiden.

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