Integrationsberater der Bayern-SPD:"Der Al-Khatib ist eine Ausnahme"

Nur "Ja-Sager" und "Speichellecker": Seit der Kritik aus den eigenen Reihen ist die Bayern-SPD in Aufruhr. Der neue Integrationsberater Mahmoud Al-Khatib erklärt, warum er als Quereinsteiger trotzdem in der Partei zurechtkommt - und wie er es als Asylbewerber geschafft hat, in Bayern Karriere zu machen.

Anna Fischhaber und Lisa Sonnabend

Ude stellt Al-Khatib als Mitglied des Beraterteams vor

Der ehemalige Asylbewerber Mahmoud Al-Khatib ist seit Oktober Mitglied des Beraterteams um SPD-Spitzenkandidaten Christian Ude.

(Foto: dpa)

"Ein richtiger Glücksfall für die Bayern-SPD": So stellte Spitzenkandidat Christian Ude seinen neuen Integrationsberater Mitte Oktober vor. Der gebürtige Libanese Mahmoud Al-Khatib ist ein ehemaliger Asylbewerber mit Vorzeigekarriere. Nach seinem Jurastudium arbeitete er zunächst als Rechtsanwalt, ehe er Abteilungsleiter für Soziales am Landratsamt in Neuburg-Schrobenhausen wurde. Mittlerweile ist der 38-Jährige Personalchef der Universität Regensburg und Mitglied des Wahlkampfteams von Ude. Doch die Sozialdemokraten haben es derzeit nicht leicht: Nach der heftigen Kritik von Hoffnungsträger Michael Adam, SPD-Landrat in Regen, an Parteichef Florian Pronold, sehnt sich die Partei nach Frieden.

Süddeutsche.de: Herr Al-Khatib, Sie sind der neue Integrationsberater der Bayern-SPD. Nach dem Eklat um Landrat Michael Adam hat man allerdings das Gefühl, die Partei müsste vor allem ihre eigenen Mitglieder besser integrieren. Bestimmt haben Sie derzeit ganz schön viel zu tun.

Mahmoud Al-Khatib: Ich werde das nicht kommentieren. Bei solchen Problemen ruft man mit Sicherheit nicht den Integrationsbeauftragten an.

Laut Adam sind nur Ja-Sager und Speichellecker bei der SPD erwünscht. Sind Sie ein Ja-Sager?

Ich bin ein Ja-Sager, ich bin ein Nein-Sager, ich bin ein Viel-Sager. Aus meiner bisherigen Erfahrung kann ich auch nicht bestätigen, dass bei der SPD nur Ja-Sager erwünscht sind.

Man sagt Parteien oft nach, dass Karriere macht, wer sich in Gremien hocharbeitet. Sie hingegen sind ein Quereinsteiger in die Politik. Tun Sie sich als Neuling schwer in der SPD?

Für einen Quereinsteiger ist es nie leicht - weil er die Abläufe nicht kennt, das Umfeld, die Verfahren, die Befindlichkeiten. Im Beruf ist das auch nicht anders. Ich bin vor einem halben Jahr als Personalchef an die Uni Regensburg gewechselt. auch dort musste ich mich erst einmal einfinden. Es ist immer schwer als Quereinsteiger. Nicht ausschließlich in der SPD, sondern im ganzen Leben.

Sie haben schon viele Neuanfänge hinter sich: Mit drei Jahren sind Sie als Asylbewerber aus dem Libanon nach Deutschland gekommen, inzwischen sind Sie Jurist, haben fürs Landratsamt gearbeitet und für die Uni Regenburg. Warum tun Sie sich jetzt auch noch Politik an?

Zur Politik bin ich gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Ich bin von Idealismus getrieben. Ich will mich für Menschen einsetzen, die keine Lobby haben, die auch deswegen uninteressant sind, weil sie keine Wähler sind. Auch aus meiner eigenen Erfahrung heraus.

Sie haben im Asylbewerberheim in Zirndorf und in Neuburg gelebt. Zirndorf gilt als völlig überfüllt - die Menschen dort müssen inzwischen in Zelten, Garagen und in einer Kapelle schlafen. Wie haben Sie Ihre Kindheit in Asylbewerberheimen erlebt?

Für ein Kind ist es nicht so belastend wie für Erwachsene. Ich kann mich aber an viele Schlägereien erinnern, bei denen auch Blut geflossen ist. Es gab Vergewaltigungen, die zum Tode geführt haben. Wenn sie einen Menschen zur Untätigkeit verdammen, das geht auf die Psyche. Ein Leben im Asylbewerberheim ist nichts anderes als Gefängnis.

Trotz dieser Ausgangsbedingungen haben Sie es geschafft, Karriere zu machen.

Ich höre oft: "So schlecht samma ja gar nicht, wenn der Al-Khatib als Asylbewerber es schafft, gell." Aber ich sage Ihnen eines: "Der Al-Khatib ist eine Ausnahme." Und Ausnahmen sind systemimmanent, das kann Ihnen jeder Statistiker bestätigen. Es ist nicht leicht gewesen. Wenn ich etwa an den Übertritt von der Grundschule zum Gymnasium denke. Meine Eltern sind Analphabeten, aber sie wollten, dass ich aufs Gymnasium gehe. Ich wollte in die Hauptschule mit all meinen Freunden und die Lehrer waren auch der Meinung, dass ich auf die Hauptschule gehöre. Meine Eltern haben sich durchgesetzt. Heute bin ich ihnen natürlich unendlich dankbar. Mein ältere Bruder und ich waren damals in den Achtzigern Pioniere auf unserem Gymnasium: Wir waren Ausländer und dann auch noch Asylbewerber, und das auch noch auf dem Land. Das grenzte fast an ein Wunder.

Wie erging es Ihren Eltern?

Meine Familie ist aus Palästina in den Libanon und aufgrund des Bürgerkriegs nach Deutschland geflohen. Zunächst war mein Vater in der Lage, eine Familie zu ernähren, hat Steuern und Sozialabgaben gezahlt. Doch in Deutschland gab es ab 1980 das Arbeitsverbot für Asylbewerber. Mein Vater durfte zehn Jahre lang nicht arbeiten. Er hatte schwerste Schicksalsschläge hinter sich, war traumatisiert und dann ist er zum Nichtstun verdammt. Die bayerische Asylpolitik läuft darauf hinaus, dass wir Asylbewerber verpflichtend in Gemeinschaftsunterkünften unterbringen. Dass wir Asylbewerber verpflichtend mit Lebensmittelpaketen versorgen. Dass Asylbewerber nicht arbeiten dürfen. Das ist menschenunwürdig.

"Ude ist ein Pfundskerl"

Was muss sich ändern?

Die Idealvorstellung der CSU ist: Der Asylbewerber kommt nach Bayern, stellt brav seinen Asylantrag, der wird abgelehnt. Der Asylbewerber sagt vielen Dank und geht. Die Realität sieht aber anders aus: Viele kommen höchst traumatisiert aus Kriegsgebieten, stellen einen Asylantrag - und dann kann es Jahre dauern bis eine Entscheidung da ist. Und dann können wir sie nicht mehr abschieben. Über 80 Prozent der Asylbewerber in Bayern bleiben. Die CSU verfolgt aber immer noch eine Praxis, die davon ausgeht, dass die Asylbewerber wieder gehen. Das ist ein Paradoxon.

Dennoch haben Sie bis vor kurzem noch bei der CSU Integrationspolitik betrieben und an dem Konzept "Oberbayern - unsere gemeinsame Heimat" mitgearbeitet?

Ich war nie Mitglied bei der CSU. Aber es stimmt. Ich hatte tatsächlich den Glauben und die Hoffnung, in der CSU eine Bewusstseinsänderung herbeizuführen und der Asylpolitik ein anderes Gesicht zu geben. Doch ich musste die bittere Erfahrung machen: Die CSU ist nicht bereit, etwas zu ändern. Auch das Papier, an dem ich beteiligt war, ist letztlich für die Schublade gemacht worden.

Auch in der SPD dürften nicht allen Ihre Positionen passen. Muss die Partei jetzt Angst haben, dass Sie bald zu den Grünen abwandern?

Lacht. Ich finde verschiedene Meinungen in einer Partei sind wichtig. Ich hatte mit Christian Ude ein sehr fruchtbares Gespräch in seinem Wohnzimmer, er hat mir glaubhaft versichert, dass die SPD etwas in der Integrationspolitik ändern will. Ude ist ein Pfundskerl.

Wenn man sich derzeitige Umfragen ansieht, sieht es aber nicht so aus, als hätten Ude und die SPD noch Chancen, die nächste Regierung zu stellen.

Ich bin Optimist. Außerdem ist es noch ein Jahr bis zur Landtagswahl. Am 15. September 2013 wird abgerechnet. Und nicht im November 2012.

Sie werden bei der Wahl als Direktkandidat der SPD in Neuburg-Schrobenhausen gegen Ministerpräsident Seehofer antreten. Ist das Ihre Rache an der CSU?

Neuburg ist meine Heimat. Dass dort jetzt der Ministerpräsident und ich gegeneinander antreten ist reiner Zufall. Nicht Rache. Denn das müsste ja heißen, ich hasse die CSU. Und um jemanden zu hassen, muss man ihn einmal geliebt haben.

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