Integration in Augsburg:Suche nach dem sozialen Kitt

Mehr als 40 Prozent der Augsburger stammen aus anderen Ländern und Kulturkreisen - für die Stadt eine Herausforderung. Und eine Chance. Doch trotz vieler Initiativen sehen Fachleute besonders bei sozialen Projekten großen Nachholbedarf.

Andreas Ross

Das Zentralklinikum ist so etwas wie ein Spiegelbild der Augsburger Stadtgesellschaft. 5300 Menschen arbeiten in diesem Krankenhaus - und sie kommen aus mehr als 50 Nationen. "Man sieht, wie Arbeit Menschen mit unterschiedlicher Herkunft auch verbindet", sagt Olaf Walter, der stellvertretende Vorstand. Für das Klinikum auch ein ganz praktischer Wert. Denn häufig kommen Patienten in das Krankenhaus, die nur ihre Muttersprache, aber kein Deutsch und kein Englisch sprechen. In diesen Fällen findet sich fast immer ein Mitarbeiter im Haus, der in schwierigen Fällen als Dolmetscher fungieren und die Verständigung mit Verwaltung, Ärzten und Pflegepersonal herstellen kann.

Doch längst nicht in allen Augsburger Institutionen lassen sich Kommunikations- und Integrationsprobleme zwischen Menschen unterschiedlicher Nationalität so gut lösen wie im Zentralklinikum. Die Herausforderung wird jedoch immer größer, denn Augsburg ist eine Stadt mit einem hohen Bevölkerungsanteil von Menschen mit Migrationshintergrund. Mehr als 40 Prozent der 267.000 Bürger stammen mittlerweile aus anderen Ländern und anderen Kulturkreisen.

"Alle Großstädte erfahren starke zentrifugale Tendenzen in ihren Stadtgesellschaften. Es gibt keine gesellschaftliche Mitte mehr, und die Aufgabe der Politik ist es, diesem Prozess entgegenzuwirken und alles für das große Ziel der gleichberechtigten Teilhabe an Bildung, Arbeit, Kultur und Sport zu tun", sagt Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU).

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Integration sei ein dauerhafter Prozess und brauche "in Zukunft mehr als passive Toleranz", heißt es wörtlich im Weißbuch der Stadt Augsburg. 

(Foto: dpa)

Integration braucht mehr als passive Toleranz

Augsburg ist eine Stadt mit großer Geschichte. Eines der markantesten Ereignisse in der Historie ist der "Augsburger Religionsfriede" aus dem Jahr 1555. Damals übernahm der Staat erstmals die Verantwortung zur Lösung eines religiös-konfessionellen Konflikts. In dieser Tradition sieht sich auch die heutige Stadtpolitik. Denn, so OB Gribl, es gelte in einer heterogenen Stadt den sozialen Kitt zu schaffen, der auch in Zukunft die Stadtgesellschaft zusammenhält.

Schon unter Gribls Vorgänger Paul Wengert und dem damaligen Sozialreferenten Konrad Hummel wurden dazu erste Weichen gestellt. Und in einem Weißbuch "Eine Stadt für alle" hat sich der Stadtrat 2006 verpflichtet, die kulturelle Vielfalt seiner Bürger anzunehmen und als Chance zu begreifen. Integration sei ein dauerhafter Prozess und brauche "in Zukunft mehr als passive Toleranz", heißt es wörtlich im Weißbuch.

Mit Sozialpolitik gegen Kriminalität

Aus dieser Selbstverpflichtung ist inzwischen ein breites Spektrum von Initiativen und Maßnahmen entstanden. Doch dies alles hätte nicht funktioniert ohne das Engagement von Bürgern, Vereinen und Organisationen. Das führt heute zu erstaunlichen Ergebnissen: dass sich beispielsweise Andreas Kopton, der Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Augsburg, öffentlich so engagiert zu einer multi-kulturellen Gesellschaft bekennt, wie man das früher nur von Grünen-Politikern gehört hat. Kopton begreift die Integration als "kreative Aufgabe", weshalb seine Kammer unlängst einen Tag für türkische Unternehmer und Selbstständige eingeführt hat, "um zu sehen, was können wir auch voneinander lernen".

Matthias Garte von der Fachstelle für Integration und interkulturelle Arbeit im Rathaus macht sich aber nichts vor. Die Vielfalt sei zwar inzwischen Normalität in der Stadt. Die Trennungslinien der Stadtgesellschaft seien eher die sozialen Fragen. Eine Einschätzung, die auch von Pfarrer Fritz Graßmann von der Augsburger Diakonie bestätigt wird. Armut, Perspektivlosigkeit und mangelnde Bildung seien oftmals die Ursache für Konflikte. Und Religion wirke dann in diesen Milieus eher noch als Brandbeschleuniger: "Es sind die Lücken im sozialen Gefüge der Stadt, die den Frieden gefährden."

Polizeipräsident Gerhard Schlögl, dessen Beamte inzwischen auch Russisch- und Türkischkurse belegen, um für ihre Alltagsarbeit besser gerüstet zu sein, sieht ebenfalls einen Zusammenhang zwischen Sozialstruktur und kriminellem Verhalten. Eine gute Sozialpolitik, zu der in Augsburg beispielsweise die Einrichtung von Stadtteilmüttern, Sozial- und Jugendpaten oder neuerdings das "Grandhotel" gehören, wo Asylbewerber und Künstler unter einem Dach wohnen, gilt deshalb als beste Vorbeugung gegen das Abgleiten in die Kriminalität oder in Parallelgesellschaften.

Augsburg braucht Migranten für soziale Berufe

Hansi Ruile vom Kulturhaus Kresslesmühle, der sich schon vor vielen Jahren der konkreten Arbeit mit Migranten angenommen hat, sieht trotz allen Bemühens in der Stadt noch großen Nachholbedarf. "Die Gesellschaft hat die Entwicklung lange Zeit verschlafen, die Menschen haben sich ihren Alltag meist selbst organisiert."

Besonders Erzieher, Sozialarbeiter und Pädagogen würden jetzt gebraucht, und für diese Berufe müsse man vor allem Migranten gewinnen. Augsburg benötige deshalb noch viel mehr Projekte, wo Kultur, Soziales und Bildung miteinander verwoben werde. "Wer den Frieden bewahren will, muss lernen, mit Unterschieden zu leben", hatte bereits der frühere Bundespräsident Horst Köhler gesagt, als er 2005 Augsburg besuchte.

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