Integration:Ein Flüchtling als Klassenbester

Flüchtlinge als Azubi bei IHK Schwaben

Josefine Steiger ist eine der Kümmerer bei der IHK Schwaben, die jungen Flüchtlingen wie Mueen Nasrullahi aus Afghanistan zur Seite stehen.

(Foto: Stefan Puchner)

Das Beispiel eines 24-jährigen Afghanen zeigt, welch großes Potenzial in Zuwanderern steckt.

Von Anna Günther

Die weißblauen Fußbälle neben seinem Schreibtisch? Mueen Nasrullahi zuckt mit den Schultern. "Die waren eigentlich für andere Flüchtlinge gedacht, sie haben die Bälle nicht mitgenommen", sagt der 24-Jährige. Er selbst hat keine Zeit zum Fußballspielen. Nasrullahi will endlich lernen. Nach Feierabend geht er in die Abendrealschule, ist Klassenbester.

Am 12. Dezember 2013 kam der junge Afghane nach sieben Monaten Flucht über den Iran, die Türkei, Griechenland und die Balkanroute in Bayern an. Am 14. September 2015 begann Nasrullahi bei der Industrie- und Handelskammer in Augsburg seine Ausbildung zum Bürokaufmann und lernt seither jeden Tag bis in die Nacht. Die 22 Monate dazwischen waren für ihn unerträglich. Das Nichtstun nach der Registrierung zermürbte ihn.

Für die Sprachlernklassen war der junge Afghane mit 22 zu alt. Die Schulpflicht in Bayern gilt bis 21. Er brachte sich erste Brocken Deutsch mit Youtube-Clips bei. Aber das reichte ihm nicht, er war kurz davor, zu resignieren. Er wollte richtig Deutsch lernen. "Wenn ich die IHK nicht gefunden hätte, wäre ich verzweifelt", sagt er heute.

Das Warten ohne Chance auf Zukunft, breche irgendwann jeden. Im Sommer 2015 hörte er vom IHK-Projekt "Junge Flüchtlinge in Ausbildung", beim Praktikum überzeugte der junge Mann mit fünf Sprachen und IT-Kenntnissen, die IHK behielt ihn gleich selbst und schuf eine zusätzliche Lehrstelle.

20 000 junge Flüchtlinge sollen heuer Stellen bekommen

Laut Sozialministerium leben etwa 63 500 Flüchtlinge im schulpflichtigen in Alter in Bayern, nach drei Monaten dürfen sie, auch wenn ihr Asylverfahren noch läuft, in die Schule gehen. Mehr als die Hälfte ist älter als 16 und soll über zweijährige Sprachlernklassen an den Berufsschulen, Praktika und Ausbildungsplätze in die bayerischen Betriebe integriert werden.

Optimisten versprechen sich davon einen Beitrag zur Linderung des Fachkräftemangels. Im September schlossen Politik und Wirtschaft einen Pakt, um junge Menschen mit guter Bleibeperspektive zu integrieren. 20 000 sollen noch heuer Praktika, Lehrstellen oder Jobs bekommen.

Aber klappt das auch? Zwar schuf Bayern als erstes Bundesland schon 2013 diese Integrationsklassen, in denen Flüchtlinge auf das duale Ausbildungssystem vorbereitet werden. Kultusminister Ludwig Spaenle ist jedenfalls zuversichtlich: "60 Prozent des ersten Jahrgangs haben im September eine Lehrstelle bekommen, ob sie nun auch die Anforderungen erfüllen, muss man in der nächsten Zeit sehen."

Aber das waren 1100 junge Menschen, im kommenden Schuljahr soll es 1200 dieser Klassen mit 22 000 Berufsschülern geben. Damit die Integration gelingt, werden von Pfingsten an bereits in Erstaufnahmeeinrichtungen Kompetenzen abgefragt und Profile erstellt. Die Bundesagentur für Arbeit plant, künftig auch Flüchtlinge, die älter sind als 21 Jahre, an den Berufsschulen und in Ausbildungen zu unterstützen. Hört man sich bei bayerischen Firmen und Wirtschaftsverbänden um, heißt es auch dort, dass die Ausbildung von Flüchtlingen sogar gut gelingen kann. Sofern die jungen Menschen sehr intensiv betreut werden.

Welche Probleme es häufig gibt

Denn Probleme gibt es trotz des guten Willens noch einige: Die Flüchtlinge wissen nicht, welche Berufe es überhaupt gibt. Sie müssen oft überzeugt werden, dass der lange Weg über die Ausbildung sinnvoller ist, als schnelles Geld durch Hilfsarbeiten. Aber Forderungen der Familie im Herkunftsland oder Schlepper-Schulden setzen die Flüchtlinge unter Druck. Die Sprachkurse reichen aus Sicht der Wirtschaftsverbände nicht aus, meist machen Fachsprache und fehlende Mathe- oder Physikkenntnisse Probleme.

Viele der jungen Männer sind wie Mueen Nasrullahi alleine in Deutschland, ihnen fehlt in Krisensituationen der Halt der Familie. Und wenn sie in einer Gemeinschaftsunterkunft leben, ist an Lernen nicht zu denken. Aber für Azubi-WGs fehlt den Kommunen, wenn sie überhaupt schon darüber nachdenken, Geld und Wohnraum.

Für Jennifer Rosenheimer ist das ein Grund, wieso ihr Azubi aus Myanmar vor einer Woche nach einem halben Jahr Lehre aufgab. So familiär die Stimmung im Mammendorfer Institut für Physik und Medizin sei, den Halt einer Familie könne auch das Familienunternehmen, das im Großraum München Medizintechnik herstellt, nicht geben. "Am Schluss waren die Wissenslücken trotz aller Hilfen wohl zu groß, die Ausbildung zum Industrieelektroniker ist nicht leicht", sagt die Juniorchefin.

Frustriert hat sie diese Erfahrung aber nicht, die nächsten Praktika sind bereits vergeben. Ein neuer Lehrling aus Syrien sei schon im Gespräch - wenn er sich für die Lehre in Mammendorf entscheidet. "Er hat seine Familie hier, das ist ein riesiger Unterschied", sagt Rosenheimer.

Kümmerer sollen Flüchtlinge und Betriebe betreuen

Die IHK setzen auf sogenannte Kümmerer, die Flüchtlinge und Betriebe betreuen, organisatorische Informationen sowie interkulturelle Kompetenz vermitteln und für die jungen Menschen da sind. In Schwaben machen sie das schon seit fast zwei Jahren so, individuelle Nachhilfe sowie Profile für jeden Flüchtling oder Hilfe bei Behördengängen und Wohnungssuche sind Usus. Nun ziehen die anderen Regierungsbezirke nach.

Acht Millionen Euro steckt die IHK in ihr Projekt, auf die Zuschüsse der Bundesagentur für Arbeit könne man nicht warten, sagt Schwabens Ausbildungsleiter Oliver Heckemann. Vier dieser Kümmerer sind mit Josefine Steiger im Einsatz. Denn auch Überflieger wie Mueen Nasrullahi brauchen mehr Betreuung als andere Lehrlinge.

"Ich habe noch nie so viele SMS geschrieben", sagt Steiger. Dass sie auch am Wochenende für Mueen und ihre anderen Schützlinge ansprechbar ist, sei für sie selbstverständlich. Mueen Nasrullahi arbeitet selbst im Kümmerer-Team mit, will Vorbild sein und anderen Flüchtlingen Mut machen, nicht aufzugeben.

Er spricht ehrfürchtig über seine Chefin, die Dankbarkeit für diese Chance ist nicht zu übersehen. Das Vertrauen zu Josefine Steiger ist so groß, dass er sie am Freitag sogar statt eines Anwalts als Fürsprecherin mit zu seiner Anhörung nahm. Mehrere Stunden sei der junge Mann befragt worden, sagt Steiger später. Er sei extrem aufgeregt gewesen, habe kaum schlafen können. Trotzdem hat er sich gut präsentiert, konnte Dokumente vorweisen. Eine Prognose wagt sie aber nicht. Das Bundesamt für Migration wird wie bei Tausenden anderen über seinen Asylantrag entscheiden.

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