Innere Sicherheit:Warum Bayerns Polizei trotz neuer Stellen überlastet ist

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Bisher sind Grenzkontrollen wie hier in Freilassing Aufgabe der Bundespolizei.

(Foto: imago/Eibner Europa)

Die Beamten arbeiten bereits am Limit - doch offiziell darüber sprechen dürfen sie nicht.

Von Anne Kostrzewa und Wolfgang Wittl

Stünde der Arbeitsalltag, den Polizisten hinter vorgehaltener Hand schildern, in einer Stellenausschreibung, sähe es in den Dienststellen des Freistaates wohl bald richtig düster aus. Von Einsätzen, die mehr als 20 Stunden dauern, ist da die Rede. Von Wochenenden ohne freie Tage, ohne Zeit für die Familie, oft über sechs, acht, zehn Wochen am Stück.

"Ich bin doch nicht mit der Polizei verheiratet", sagt ein Beamter, der seinen Namen nicht genannt haben will. Nach mehr als 30 Jahren bei der Polizei überlege er, seinen Job an den Nagel zu hängen. Schweren Herzens, aber er könne einfach nicht mehr.

Offiziell darüber sprechen dürfen die bayerischen Polizeibeamten nicht. "Da ist von oben der Deckel drauf", sagt Jürgen Ascherl, "aber im Innern brodelt es gewaltig." Ascherl ist Hauptkommissar in München und stellvertretender Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft in Bayern. Die Überlastung seiner Kollegen, die er nur als Gewerkschafter ansprechen dürfe, besorge ihn zutiefst.

Welche Folgen die Überlastung haben könnte

Irgendwann, da ist sich Ascherl sicher, werde sich die Arbeitslast "im Krankenstand rächen". Und spätestens dann wäre die Überlastung seiner Kollegen auch für die Bürger spürbar, sei es mit längeren Wartezeiten in der Notrufzentrale oder mit der Bitte der Beamten, sich nach einem Wildunfall erst mal selbst um das verletzte Tier zu kümmern. Peter Schall, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), verweist auf umfangreiche Ermittlungen, die schon jetzt oft zu kurz kämen, weil schlichtweg die Zeit fehle, so etwa im Bereich der Bandenkriminalität.

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SZ-Grafik: Quelle: Bayrisches Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr

Im Innenministerium ist man sich der hohen Belastung bewusst. Aber: "Es gibt in Bayern keine Sicherheitseinbußen", sagt Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und verweist auf neu geschaffene Stellen der vergangenen Jahre. "Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht." Mehr als 2000 neue Polizisten wurden eingestellt und etwa 1500 Ausbildungsplätze geschaffen.

Abzüglich der in Rente gehenden Beamten werden in diesem Jahr etwa 500 Einsatzkräfte die Kollegen in den Regierungsbezirken verstärken. Herrmann sagt: "Bayern steht so gut da wie nie zuvor." Peter Schall von der GdP ist weniger optimistisch. "Wir haben 380 Dienststellen in Bayern, da relativiert sich die Zahl der Neueinstellungen."

Was die Beamten beschäftig

Tatsächlich ist das aufgestockte Personal für die Bereitschaftspolizei in Bayern Fluch und Segen zugleich. Die meisten Länder haben zuletzt Stellen abgebaut und fordern nun häufiger Verstärkung aus dem vergleichsweise gut besetzten Freistaat an.

So auch im vergangenen Jahr, das für Bayerns Polizei ohnehin eine Belastungsprobe sondergleichen war. Ein fester Termin im Dienstkalender der Beamten ist seit Jahresbeginn die Absicherung der Pegida-Aufmärsche, die künftig fast täglich stattfinden sollen, und ihrer Gegendemos. Im Juni dann der G-7-Gipfel in Elmau, für den mit rund 11 000 Einsatzkräften gut ein Viertel der Polizeibeamten des Freistaats eingespannt war. Und kaum waren die Vertreter der führenden Wirtschaftsnationen abgereist, spitzte sich die Situation an den bayerischen Grenzen zu.

Zwar ist für die Flüchtlinge die Bundespolizei zuständig. Seitdem an den deutschen Grenzen wieder kontrolliert wird, ist aber auch die bayerische Bereitschaftspolizei durchgängig in der Grenzregion im Einsatz. Sie verstärkt dort etwa die Schleierfahndung - zusätzlich zu ihren bisherigen Einsätzen, etwa bei Fußballspielen. Wo dann in Bayern die sonst verfügbaren Hundertschaften fehlen, müssen andere Einsatzkräfte der Polizeidirektionen ran. So schließt sich der Kreis, und das Überstundenkonto wächst.

Was das Innenministerium dazu sagt

Die Zahl der Überstunden für das vergangene Jahr ist noch nicht statistisch erfasst. Nach Großeinsätzen wie in Elmau und in der Grenzregion dürfte die Kurve aber noch mal deutlich nach oben gehen. Der GdP-Landesvorsitzende Peter Schall weiß von einer Hundertschaft der Bereitschaftspolizei zu berichten, die gerade auf der Rückfahrt von einem Fußballspiel in Hamburg war, als der Einsatzbefehl an die bayerische Grenze kam. Nach drei Tagen im Dauereinsatz habe das Team bei einem Outlet-Shop in der Nähe vorbeifahren müssen - neue Unterwäsche kaufen.

Nach Ansicht der Opposition ist die Einsatzbelastung der Polizei inzwischen auf einem "erschreckenden Niveau angelangt", wie Katharina Schulze, die innenpolitische Sprecherin der Grünen, sagt. "Der Arbeits- und Gesundheitsschutz bleibt vielerorts auf der Strecke", kritisiert Schulze, die Staatsregierung müsse dringend eine Lösung für den Abbau der vielen Überstunden finden.

Welche Entlastungsmöglichkeiten die Opposition sieht

Wie Schulze fordert auch der Sicherheitsexperte der SPD, Peter Paul Gantzer, eine Entlastung der Polizei. Zahlreiche Aufgaben könnten an Kommunen oder an Spezialfirmen übertragen werden, etwa in der Verkehrsüberwachung oder bei der Begleitung von Schwertransporten. Auch die Einstellung weiterer Verwaltungskräfte würde die Polizisten entlasten.

Die Kernanliegen der Polizei kämen seit Jahren zu kurz, kritisiert Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger, er spricht von "Substanzverzehr". Die Strukturreform aus der Stoiber-Ära sei immer noch nicht verdaut, zu viele Kapazitäten seien vergeudet worden - etwa mit Diskussionen "über die Farbe von Dienstuniformen". Wichtige Fragen wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Bekämpfung von Internetkriminalität und Präsenz in der Fläche hingegen seien verschlafen worden.

Trotz des Höchststandes von etwa 41 000 Polizisten im Freistaat stimmt die Opposition mit der Staatsregierung überein, dass weiteres Personal eingestellt werden muss. Gleichwohl gilt die bayerische Polizei im Bundesvergleich als besonders leistungsfähig. Es könne aber nicht sein, dass Bayern die Versäumnisse anderer Bundesländer ausgleichen müsse, sagt SPD-Mann Gantzer.

Auch die Staatsregierung stimmt seit Monaten ein Loblied auf die Sicherheitskräfte an. Er danke Bayerns Polizisten ausdrücklich für ihre Arbeit, sagte Ministerpräsident Horst Seehofer erst am Freitag beim Neujahrsempfang. Er erinnerte an Elmau und die Terrorwarnung in der Silvesternacht in München - Großereignisse, die die Polizei mit Bravour gemeistert habe.

Das wird sie, trotz oft knapper Besetzung, auch künftig müssen. Er wisse um die hohe Belastung, sagte der Innenminister unlängst: Für die nächsten Monate könne er aber keine Erleichterung versprechen.

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