Ingolstadts China-Strategie:"Unsere Zukunft liegt ganz stark im Osten"

Ingolstadts China-Strategie: Ein Ritual, das Glück bringen soll: Eine Löwentanzgruppe aus der chinesischen Partnerstadt Foshan präsentierte sich auf dem Ingolstädter Rathausplatz. Anlass war die Eröffnung des Audi-Konfuzius-Instituts.

Ein Ritual, das Glück bringen soll: Eine Löwentanzgruppe aus der chinesischen Partnerstadt Foshan präsentierte sich auf dem Ingolstädter Rathausplatz. Anlass war die Eröffnung des Audi-Konfuzius-Instituts.

(Foto: Stadt Ingolstadt/Betz)
  • Ingolstadt treibt eine "Mission Fernost" voran - und unterstützt Firmen aus China, die sich in der Stadt ansiedeln wollen.
  • 2015 wurde in Ingolstadt das China-Zentrum offiziell gegründet.
  • Auch in Sachen Kultur und Gesellschaft soll die Freundschaft weiter vorangetrieben werden.

Von Johann Osel, Ingolstadt

Die Tastaturen der Computer klappern überall, ansonsten ist nicht viel zu hören hier im Kellergeschoss des Gründerzentrums am Rande von Ingolstadt. Gesprochen wird kaum. Das Entwicklerteam - viele Chinesen, eine klare Männerdomäne - tüftelt vor sich hin, in einer Seelenruhe, wie es scheint. Die Szenerie wirkt fast ein bisschen wie ein Zockertreffen von Nerds; wären da nicht an vielen Rechnern Teile von Armaturenbrettern angeschlossen, Tachometer, Bedienelemente oder die Bildschirme von Infotainment-Systemen.

Die Firma ZD Automotive bietet IT-Dienstleistungen an, Spezialisten entwickeln quasi Software dafür, dass Fahren auch komfortabel ist. An der Wand hängt ein Plan mit aktuellen Projekten. Daimler steht da in einer Spalte und gleich darunter Geely, ein chinesischer Autobauer. Das zeigt gut, wie breit der Markt ist. Die Ingolstädter Firma mit Filialen in China hat Geschäftsführer Qiang Zhou erst vor ein paar Jahren gegründet - und seitdem von zwei auf mehr als 200 Mitarbeiter erweitert.

Beim jüngsten Bayerischen China-Tag referierte vor den Gästen aus Politik und Wirtschaft der "Vorzeigeunternehmer", wie es im Programmheft hieß. Vorzeigbar für das, was die Stadt Ingolstadt stark vorantreibt: ihre China-Strategie, eine Mission Fernost.

"Unsere Zukunft", sagt Oberbürgermeister Christian Lösel (CSU), "liegt nicht allein im Westen, sondern ganz stark im Osten. China ist in Asien die stärkste Wirtschaftsmacht und wird weiter wachsen". Als er 2014 ins Amt kam, forcierte er seinen Plan: Stadt und Region "als Bayerisches China-Kompetenzzentrum zu profilieren". Natürlich ist ein globaler Konzern wie Audi am Ort ein Treiber. Die wachsende Mittelschicht in China verspricht aber auch für Mittelständler und Start-ups Chancen.

2015 wurde in Ingolstadt das China-Zentrum offiziell gegründet, innerhalb des Existenzgründerzentrums (EGZ). Dessen Geschäftsführer Hannes Schleeh hat sich Inspiration erst mal in Düsseldorf geholt, das als asiatischer Wirtschafts-Hotspot in Westdeutschland gilt. Ähnliches will Ingolstadt in Süddeutschland sein - Pionier.

Die chinesischen Gründer werden umsorgt

"Wir geben chinesischen Gründern von Anfang an ein Zuhause, versuchen, sie gut zu umsorgen", erzählt Schleeh. Eine chinesische Mitarbeiterin hat er eingestellt, sie hilft bei Sorgen, beim Behördenkram, vermittelt Ansprechpartner, netzwerkt. Lösel sagt: "Wir wollen Brückenkopf sein für die Ansiedlung chinesischer Unternehmen bei uns, genauso aber auch heimische mittelständische Firmen beim Sprung auf den asiatischen Markt unterstützen." Die Bilanz bisher: 14 chinesische Firmen wurden in Ingolstadt gegründet - keineswegs nur in der Automobilzulieferung. Eines exportiert etwa deutsche Kosmetika nach China.

Ein Vormittag im EGZ, ein Klotz hinter dem "Ingolstadt Village" mit seinen Outlet-Centern für Mode und anderes - da wo Ingolstadt nicht so hübsch ist wie in der Altstadt, dafür produktiv und lukrativ. Büromenschen, Lieferverkehr, auf der Terrasse gönnt sich ein Mann ein frühes Weißbier. Das EGZ ist weiter allgemein Anlaufstelle für Start-ups, mit flexiblen Räumen und Werkstätten. Aber es ist eben auch China-Zentrum.

Die Geschäfte sind global geworden

Herr Zhou war schon hier, bevor die Strategie Gestalt annahm. 2003 war er nach München an die Technische Universität gekommen, zum Studium der Elektro- und Informationstechnik. Der "Ruf deutscher Ingenieurskunst" habe ihn gelockt. Nach dem Abschluss - "noch Diplom", erwähnt er mehrmals - arbeitete er für BMW und Audi; und sah schnell die unternehmerischen Chancen in seinem Gebiet.

2012 gründete er eine GmbH, am Anfang belegte er im EGZ einen Raum, jetzt braucht sein Team das halbe Untergeschoss. Zuerst war Audi Kunde, Zhou merkte, dass er auch in seiner Heimat Geschäfte machen will. "Chinesische Kunden sind viel mehr an Dialog beim Fahren interessiert, sie wollen Vorteile neuer Technologie im Auto sofort genießen. Deutsche achten oft eher aufs Blech."

Drei Filialen in China hat die Firma mittlerweile, Töchter der GmbH. In China sind es 230 Mitarbeiter, in Ingolstadt etwa 30; allerdings die Hochqualifizierten, für Entwicklung vor allem. Im EGZ sieht man auf Armaturen teils Buchstaben, teils Schriftzeichen. Umsätze sind längst global. Wenn die chinesische Filiale für eine dortige Niederlassung eines deutschen Autobauers arbeitet, die Kernentwicklung aber im Ingolstädter Keller stattfand - ist das dann ein deutsches oder chinesisches Geschäft?

Nur auf Umsätze bezieht sich die Ingolstädter Taktik nicht - auch auf Kultur und Gesellschaft. Mancher in der Stadt frotzelt schon mal über das Chinesen-Buhei. Einige Beispiele: Heimische Schulen haben Austauschprogramme vereinbart, "eine hervorragende Möglichkeit des globalen Lernens", so OB Lösel. Der FC Ingolstadt hält Fußball-Camps in China ab. Delegationen reisen in die Partnerstadt Foshan, im Perlfluss-Delta. "Die Brücke zwischen Foshan und Ingolstadt wollen wir gemeinsam zu einer mehrspurigen Autobahn ausbauen", verheißt das China-Zentrum.

Dutzende Delegationen aus China sind schon gekommen, sie erhalten Führungen durch Stadt und Audi-Werk, werden willkommen geheißen. Auch wenn, wie neulich bei einem Starkbieranstich der Fastenprediger berichtete, ein Wirtshund im November einer Delegation die Weißwürste weggefressen habe: "Früher hom de Chinesen d'Hund gfressen, heid fressen die Hund de Chinesen des Essen weg." Für den feinsinnigeren kulturellen Austausch ist das Audi-Konfuzius-Institut zuständig, ein Institut für chinesische Sprache und Kultur, angesiedelt an der Hochschule Ingolstadt.

Das Start-up zieht in ein eigenes Zentrum

Und Risiken? "Keine Angst vor China" hat EGZ-Chef Schleeh mal eine Mitteilung überschrieben. Ängste gibt es im deutsch-chinesischen Wirtschaftsleben ja, Investoren aus Fernost werden oft kritisch beäugt, Patent-Klau wird befürchtet. "Man muss sich Zeit nehmen und Geduld haben für das Geschäft mit China", sagt Schleeh. Niemand solle sich unbedacht und ohne Beratung in den Markt stürzen - manchmal dächten Firmen nicht daran, auch in China Patente anzumelden. Zhou sagt: "Vertrauen ist das Wichtigste". Wer von Haus aus Vorbehalte habe, solle eine deutsch-chinesische Kooperation besser nicht anfangen.

Dass seine Firma in Deutschland bleibt, sei für ihn klar. Ohnehin betont er, dass ZD Automotive eine deutsche GmbH sei - mit deutschem Chef. Er wurde einbürgert. Im EGZ wird er allerdings nicht bleiben, zwei Kilometer weiter entsteht gerade ein eigenes Entwicklungszentrum. "Wir wachsen, wir sollten auf eigenen Beinen stehen". Das Untergeschoss, wo jetzt die Digitaltüftler sitzen, wird wohl nicht lange leer stehen. Einige Firmen warten auf weitere Büros, sagt Schleeh. Und mit einem weiteren chinesischen Gründer werde er voraussichtlich diese Wochen einen Vertrag abschließen.

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