Ingolstadt:Gestatten, Platinenputzer

Lesezeit: 4 min

Unscheinbar sind Platinen, aber schon ein Staubkorn kann ein Gerät lahmlegen. (Foto: Florian Peljak)

In elektronischen Bauteilen kann schon ein einziges Staubkorn für großen Ärger sorgen: Harald Wack hat sich auf die Reinigung spezialisiert. Viele Konkurrenten gibt es nicht. Ein Besuch.

Von Maximilian Gerl, Ingolstadt

Harald Wack dreht die Platine hin und her. Die Platte ist bestimmt 30 Zentimeter lang, sie könnte in einer Computeranlage verbaut sein, aber jetzt muss sie als Anschauungsmaterial herhalten. Auf ihrer Oberfläche sind Bauelemente angebracht, kleine Türme, große Türme, alles elektronische Steuerungseinheiten.

Wack deutet auf den kaum sichtbaren Spalt zwischen der Platine und einem Element. Wenn dort Dreck hineingelange, bestehe die Gefahr, dass es zu einem Kurzschluss komme, sagt er. Schon ein Staubkorn könne ausreichen. "Ein Flugzeug, das in der Luft den Geist aufgibt - das wollen Sie nicht." Das Problem: "Um in diesem Spalt sauber zu machen, müssen Sie erst mal hineinkommen."

Wirtschaft
:Ingolstadt will das Silicon Valley Deutschlands werden

Gründer und Start-ups sollen in der boomenden Stadt mit regionalen Partnern die Mobilität von morgen entwickeln.

Von Maximilian Gerl

In die kleinsten Lücken hinein zu kommen - das hat Wack perfektioniert. Er ist Platinenputzer. Ein ungewöhnliches, unscheinbares Geschäftsmodell. Ebenso unscheinbar ist der Sitz seiner Firma Zestron in einem Ingolstädter Gewerbegebiet, zwei Gebäude, zwei Lagerhallen, die Kantine kleiner als in manchem Hotel der Frühstücksraum. 250 Mitarbeiter beschäftigt die Wack-Gruppe weltweit, der Umsatz bewegt sich auf 50 Millionen Euro zu.

Auf den ersten Blick nicht viel für einen Weltmarktführer, aber es reicht, um Erster in einer Nische zu sein. "Für die Großen ist der Umsatz zu klein", sagt Wack. "Für die Kleinen sind die Eintrittsbarrieren in den Markt zu hoch." Also putzt er die Platinen der Kleinen und der Großen. Zu Letzteren zählen Konzerne wie Apple oder Samsung.

Platinen sind das Herzstück jeder Elektronik. Ob in Flugzeugen oder Autos, Handys oder Fernsehern, Maschinenanlagen oder Computern - überall steuern sie wichtige Prozesse. Die Palette der Produkte und Anwendungsgebiete ist breit. Die Palette der Platinenputzer dagegen ist klein. Auf der ganzen Welt gibt es nur eine Handvoll Firmen, die sich auf solche Reinigungsprozesse für die Elektronikindustrie spezialisiert haben.

Ein Raum voller Spülmaschinen

Um zu verstehen, wie Harald Wacks Geschäftsmodell mit der Sauberkeit funktioniert, muss man ihm in ein Gebäude mit gläsernem Eingang folgen. Es ist noch das auffälligste Gebäude auf dem unauffälligen Firmensitz. Wack, Jahrgang 1973, machte erst eine Banklehre, bevor er Chemiker wurde wie sein Vater Oskar Wack, der Firmengründer.

Über die Chemie sagt Harald Wack, er habe sie ursprünglich nur studiert, um sich selbst zu beweisen, dass er das Zeug dazu habe. Er habe nie geplant, ins Familienunternehmen einzusteigen. Als er nach dem Studium doch den Einstieg wagte, fragte er an seinem ersten Arbeitstag den Marketingchef: Du, was machen wir eigentlich? "Ich hatte keine Ahnung", sagt Wack.

Der erste Stock des Gebäudes beherbergt ein sogenanntes Technikum. Ein Test-Center, das es an jedem der weltweit sieben Zestron-Standorte gibt. In Ingolstadt ist es ein großer weißer Raum voller Spülmaschinen. Manche erinnern an die viereckigen Kästen, wie sie zum Spülen in Restaurantküchen stehen, nur mit Körben für Computerchips statt für Teller und Besteck.

Andere sind vollautomatische Waschstraßen, in denen die Platinen per Fließband verschiedene Bäder durchlaufen, mit Ultraschallwellen durchgerüttelt und anschließend getrocknet werden. Die Geräte selbst stellen andere Firmen her. Zestron ist für die Spül-Chemikalien zuständig. Und für die Beratung, welches Gerät am besten geeignet ist.

Beratung ist der wichtigste Punkt im Geschäftsmodell mit der Sauberkeit. Zestron will komplette Reinigungslösungen verkaufen, das geht nur, wenn man weiß, wie das Problem aussieht. Deshalb statten Ingenieure den Kunden Besuche ab, schauen sich an, wie die Platinen dort gefertigt werden, wie hoch die Stückzahl ist, aus welchen Materialien sie bestehen und mit welchen Bauelementen sie bestückt sind - und machen dann Vorschläge, wie sie am besten gereinigt werden könnten. Die dafür verwendeten Chemikalien dürfen später nicht die Leitungsfähigkeit der Platinen beeinflussen. Ein häufiges Problem sind Rückstände, die entstehen, wenn Bauelemente an Platinen gelötet werden. "Wenn dabei etwas schiefgeht", sagt Wack, "hat man ein Produkt, das vielleicht 1000 Euro kostet und nicht funktioniert."

Zestron-Gründer Oskar Wack (li.) und Geschäftsführer Harald Wack. (Foto: Wack Chemie)

Die Elektronikreinigung ist nur ein Teilgeschäft der Wack-Gruppe. Denn im Jahr 1975, dem Gründungsjahr der Dr. O. K. Wack Chemie, war Platinenputzen noch gar kein relevantes Feld. Zu der Zeit entstanden zwar die ersten serienmäßig produzierten Mikroprozessoren, ihr Anwendungsgebiet war aber stark beschränkt. Selbst Elektronik-Spezialisten verkannten das Potenzial der neuen Technologie. 1977 sagte Ken Olson, damals immerhin Chef von Digital Equipment Corporation, einem Pionier der Computerindustrie: "Es gibt keinen Grund, warum jemand einen Computer zu Hause haben wollte."

Auch Oskar Wack konzentrierte sich zunächst auf Anderes, auf etwas, das ihm näher lag: Leichtmetall-Felgenreiniger für Autos. 1940 geboren, hatte Wack zunächst Kfz-Mechaniker gelernt. Später holte er sein Abitur nach, promovierte in Chemie und ging zum US-Konzern Procter & Gamble, wo er fünf Jahre lang das Putzmittel "Meister Proper" betreute. Dann reichte ihm das Dasein als Angestellter. Er machte sich selbständig. Dem Felgenreiniger folgten weitere Pflegeprodukte für Auto, Motorrad und Fahrrad. Die Elektronikreinigung kam erst 1992 dazu - in Form des Unternehmensbereichs Zestron.

Oskar Wack hat sich inzwischen aus dem Geschäft zurückgezogen. Sein Sohn macht derweil mit Zestron mehr Umsatz als mit den Reinigungsmitteln für Fahrzeuge. "Es ist gut, zwei Standbeine zu haben", sagt Harald Wack, auch, weil das Kerngeschäft stark witterungsabhängig sei: Lackpolituren etwa verkaufe er vor allem im Frühjahr, wenn die Leute ihre Fahrzeuge aus den Garagen holten und herrichteten. "Die Firma läuft aber auch im Winter weiter", sagt Wack, er könne dann ja nicht seine Angestellten entlassen, nur weil niemand Motorräder putze.

Zwei Standbeine für vier Jahreszeiten

Das Lager in Ingolstadt, von dem aus die Chemikalien in die Welt gehen, stößt an seine Grenzen. Drinnen stehen Kanister mit unterschiedlichen Volumina herum, die größten fassen 1000 Liter und sind mit Gittern ummantelt, damit sie besser transportiert werden können. Als Nächstes plant Wack ein größeres Lager. Das nötige Kapital wäre da: Einmal stand die Firma so nah am Rande des Ruins, dass die Bank ihr den Hahn zudrehte.

Oskar Wack trieb anderweitig Geld auf - und schwor sich, nie mehr Bittsteller zu sein, so erzählt es sein Sohn. Heute liegt die Eigenkapitalquote bei rund 80 Prozent. "Wir wollen unabhängig bleiben", sagt Harald Wack. Und neue Märkte erschließen, vielleicht was mit Klebstoffen, mal sehen. Der Umsatz? "Unwesentlich." Die Firma soll weiter in Nischen bleiben, die zu groß sind für die Kleinen und zu klein für die Großen. Der Vorteil von Nischen, sagt Wack: "Man wird in Ruhe gelassen."

© SZ vom 10.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Bildband
:Wie Ingolstadt boomt und wächst

Mit dem Autohersteller Audi kamen die Arbeitsplätze. Seitdem geht es in Ingolstadt nur noch in eine Richtung: aufwärts. Auf Luftbildern kann man die Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte besonders gut sehen.

Von Roman Deininger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: