Autobahn A 71:Die große Leere

Bauarbeiten am Thüringer Autobahnnetz

Der Lärmschutz ist hervorragend an der Autobahn A 71. Und auch sonst ist alles spitze: der Fahrbahnbelag, die Brücken und Tunnel.

(Foto: dpa)

220 Kilometer für 2,5 Milliarden Euro: Die A 71 zwischen Schweinfurt und Erfurt ist eine der teuersten Autobahnen Deutschlands. Und eine der überflüssigsten.

Von Katja Auer und Olaf Przybilla

Vor zehn Jahren wurde der bayerische Teil der A 71 freigegeben. Mit der Autobahn zwischen Schweinfurt und Erfurt waren riesige Erwartungen verbunden. So war ursprünglich von 40 000 Fahrzeugen pro Tag die Rede. Im nördlichen Unterfranken sind heute aber nur 13 000 Fahrzeuge unterwegs. Hat sich der Aufwand für eine der teuersten Trassen der Republik gelohnt? Oder empfiehlt sie sich eher für ein beschauliches Picknick an der Autobahn? Die SZ hat sich umgehört.

Der ehemalige Bürgermeister

Johannes Wegner hatte sich das alles viel dramatischer vorgestellt. Eine Autobahn nicht weit entfernt von der Haustüre des Eigenheims, da hatte er die schlimmsten Befürchtungen. Sie haben dann gekämpft in Poppenlauer, dass es wenigstens mit dem Lärm nicht so schlimm wird. Und tatsächlich ist von der Autobahn praktisch nichts zu hören. Was aber, klar, nicht zuletzt damit zu tun hat, dass auf der Trasse viel weniger Autos fahren, als prognostiziert worden ist. "Für uns", sagt Wegner, "ist das insofern gut gelaufen."

Begonnen hat sein Kampf gegen die A 71 gleich nach dem Fall der Mauer. Aber verhindern konnte sie am Ende keiner. Wenigstens gelang es, einen Lärmschutz durchzufechten, wenn auch nur mit dem Erdaushub aus der Trasse. Der aber tut's auch: Die Leute aus Poppenlauer sehen die Autobahn nicht, die Autofahrer sehen Poppenlauer nicht. "Passt", sagt Wegner.

Hat sich der Millionen-Aufwand gelohnt? "Wenn sich eine Trasse lohnt, wenn viele Autos darauf fahren, dann sicher nicht", sagt er. Und eines kann Wegner für Poppenlauer, einen Ortsteil von Maßbach, ganz bestimmt sagen: Die Erwartungen, dass an einer Autobahn entlang überall die Wirtschaft erblühen wird, sind zerstoben. Als die A 71 eröffnet wurde, haben die Maßbacher entschieden, ein Gewerbegebiet auszuweisen. Wegner kann sich gut erinnern, mit welchen Hoffnungen das verknüpft war. Er war ja Bürgermeister zu der Zeit. Nach zehn Jahren Gewerbegebiet ist das Ergebnis doch eher ernüchternd ausgefallen. Anzahl der Ansiedlungen im Gewerbegebiet Maßbach-Poppenlauer: null.

450 Millionen

So viel kostete allein der kürzere, nur 55 Kilometer lange Teil der Trasse auf bayerischer Seite. Wegen der schwierigen Topografie in Thüringen und der weichen Böden in Franken wurde die A 71 immens teuer. Insgesamt kosteten die 220 Kilometer 2,5 Milliarden Euro.

Der ehemalige Staatssekretär

Demonstrationen waren nie die Sache von Eduard Lintner, einmal aber hat er selbst sogar eine mit organisiert. Für die neue Autobahn ging er in Bad Neustadt auf die Straße. Lintner war in der heißen Zeit, von 1991 bis 1998, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, also direkt mit der Sache befasst. Und immer noch ist der CSU-Mann froh, alles für die Trasse getan zu haben. Auch gegen den erbitterten Widerstand aus den betroffenen Dörfern, und sogar von der katholischen Kirche. Er habe sich schon sehr wundern müssen damals, sagt Lintner.

Aber klar, "der Verkehr ist nicht so heftig wie vorausgesagt". Findet er aber nicht schlimm. 40 000 Fahrzeuge pro Tag wurden prognostiziert, es gibt Stellen im Norden Unterfrankens bei Mellrichtstadt, da sind es heute nicht mehr als 13 000. Um Schweinfurt herum kommt man immerhin auf 23 000. Der Grund dafür, dass die Zahlen nicht im Ansatz erreicht wurden? Lintner glaubt, "dass das womöglich auch absichtlich positiv geschätzt worden ist". Dass so was aber bestimmt nicht nur bei der A 71 so geschehen sei, sondern "für viele andere Projekte auch" gelte. Solche Prognosen, glaubt er wahrzunehmen, "sind immer ein Ratespiel". Und im Zweifelsfall falle das Raten eben "optimistisch" aus.

Aber wäre nicht eine kleinere Variante, womöglich nur drei Spuren, sinnvoller gewesen? Immerhin kostete jeder Kilometer der Trasse elf Millionen Euro, sie wurde eine der teuersten in der Geschichte der Republik. Wie auch immer: Lintner ist froh, dass die A 71 so ist, wie sie ist. Nach der Wende habe man "die historische Gelegenheit gehabt". Und genutzt habe man sie.

Die ehemalige Klägerin

"Och", sagt Ruth Hanna Gube und lacht laut auf dabei, "das ist doch eine ganz nette Autobahn". Natürlich, sie hat Jahre lang gekämpft gegen das Ding, als damalige Bürgermeisterin von Geldersheim sogar geklagt vor dem Bundesverwaltungsgericht. Inzwischen aber hat sie ihren Frieden gemacht. Nicht, weil sie es im Nachhinein sinnvoll fände, so eine Schneise durch Unterfranken geschlagen zu haben. Sondern weil sie die Autobahn, wo sie schon mal da ist, natürlich auch selbst nutzt. Und das Fahren dort "erfreulich entspannend" empfindet. Stau? Gube fängt schallend an zu lachen: "So was gibt's hier nicht." Bei Unfällen, klar. "Aber sonst? Unmöglich."

Im Grund sei alles so eingetreten, wie sie es vorausgesehen hat. Die Prognosen, wie viele Autos da auf einmal zwischen Erfurt und Schweinfurt pendeln sollen, waren immer utopisch, sagt sie. Und klar zeige sich heute, dass ein Ausbau der B 19 auf drei Spuren absolut ausreichend gewesen wäre. Den landwirtschaftlichen Verkehr weg von der Bundesstraße, eine Spur zum Überholen, das wär's gewesen. Zumal eine so monumentale Trasse auf dem weichen unterfränkischen Lössboden einen Aufwand bedeutete, der "nie zu rechtfertigen war". Genau so sei es gekommen. Die Trasse wurde immens teuer, 2,5 Milliarden Euro für insgesamt 220 Kilometer. Und der Verkehr kam nicht. Für ihren Ort immerhin hat sich der Widerstand gelohnt. War eben ein offenes Ohr da, wenn die Widerständler was wollten. Satte Hilfen bei der Dorferneuerung und fürs Kanalnetz, das hätte es sonst sicher nicht gegeben.

Was Landrat und Pendler sagen

Der Landrat

Thomas Habermann findet die Einwände gegen die Trasse einfach lächerlich. Erst recht das Geschwätz vom beschaulichen "Picknick an der Autobahn". Die Erwartungen hätten sich im Gegenteil "total erfüllt", sagt der Landrat von Rhön-Grabfeld. Gäbe es die A 71 nicht, wäre seine Region ein "abgehängter, schwer schwächelnder Raum", da ist sich der CSU-Mann sicher. So aber? 2,9 Prozent Arbeitslosigkeit in einem dünn besiedelten früheren Grenzlandkreis. Bad Neustadt hat fast so viele sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze wie Einwohner. 8000 Pendler kommen täglich in den Landkreis, tendenziell aus Norden. Natürlich, der Kreis verliere Einwohner. 88 000 waren es mal in den Neunzigerjahren, jetzt habe man keine 80 000 mehr. Die Verkehrsinfrastruktur aber sei mit das Wichtigste für eine Region, "das wusste schon Ludwig XIV.", sagt Habermann. Er hat damals auch für die Trasse demonstriert. Und würde es wieder tun.

Der Wirtschaftsförderer

Dass es die Touristen über die A 71 nur so nach Schweinfurt spüle, könne man wahrlich nicht behaupten, sagt der städtische Wirtschaftsförderer Hans Schnabel. Zwar seien die Übernachtungen in den vergangenen zehn Jahren auf mehr als 180 000 pro Jahr gestiegen, aber das liege eher am neuen Konferenzzentrum. Dennoch: Für die Industrie der Stadt sei die Trasse "die Vervollständigung unserer genialen Autobahn-Anbindung", sagt Schnabel.

35 000 Menschen pendeln jeden Tag nach Schweinfurt zur Arbeit, bis zu 10 000 davon über die A 71, schätzt er. Gut, eine ausgebaute Bundesstraße hätte es auch getan, "die Autobahn ist nicht zur Magistrale geworden". Schnabel selbst nutzt sie auch gern, jetzt braucht er nur noch eine halbe Stunde in die Rhön. Und das Schöne daran sei ja, dass so wenig los ist: "Kann man auch mal ein bisschen schneller fahren."

Die Raststätten-Mitarbeiterin

Kaffee geht gut, sagt Era Mertes, den wollen schließlich auch die Pendler, auch Bockwurst und Süßigkeiten. Mit Urlaubern dagegen ist nicht viel zu verdienen auf der A 71, die fahren da einfach nicht lang. "Von den Ferien bekommen wir nichts mit", sagt die stellvertretende Betriebsleiterin der Raststätte Mellrichstädter Höhe. Die gibt es seit 2008, seitdem ist sie dabei. Sie macht sich allerdings keine Illusionen, dass die Kundschaft viel mehr werden könnte, "das ist eben eine Pendlerstrecke". Montags ist einiges los, wenn die Pendler aus Thüringen rüber nach Bayern fahren. Und vorm Wochenende, wenn sie wieder heimkommen. Mertes selbst pendelt auch, jeden Tag fährt sie von Oberhof nach Mellrichstadt und zurück. Das ist schon ganz angenehm, sagt sie, früher habe man halt über Land gondeln müssen. Vier Raststätten gibt es an der A 71, zwei in Mellrichstadt, je eine in jeder Richtung, und zwei auf der thüringischen Seite bei Geraberg. Beide hat Joachim Diebel gepachtet. Konkurrenz auf der Strecke wäre schwierig gewesen, sagt Mertes.

Immerhin kommen Gäste aus der Umgebung in die Raststätte. Am Wochenende sind viele Einheimische zum Kaffeetrinken da, sagt Mertes. Sogar einen Stammtisch habe es schon gegeben. Inzwischen halten auch ein paar Reisebusse, dafür war in den ersten drei Jahren eher wenig los. Da hätten viele erst mal merken müssen, dass es da überhaupt eine Autobahn gibt zwischen Schweinfurt und Erfurt.

Der Pendler

30 Jahre arbeitet Manuel Wissel schon beim Kugellager-Hersteller SKF in Schweinfurt, genauso lang fährt er jeden Tag von seinem Heimatort Schwarze Pfütze in die Fabrik. Mindestens eine halbe Stunde hat das früher gedauert, manchmal eine ganze, heute fährt er über die A 71 und ist in 16, 17 Minuten am Arbeitsplatz. "Ohne zu rasen", sagt er. Wissel profitiert von der Autobahn. Einerseits. Trotzdem war er dagegen. Weil der Eingriff in die Umwelt massiv war. In der Schwarzen Pfütze, einem Weiler mit acht Häusern bei Oerlenbach, waren die Bedenken groß. Immerhin ist die Autobahn nur vier Kilometer weit weg, während der Bauarbeiten war der Lärm lästig. Im Örtchen ist es dafür ruhiger geworden. Auf der ehemaligen B 19 fahren heute nur noch wenige Autos durch die Schwarze Pfütze. Nach der Wende ist der Verkehr manchmal so dicht gewesen, dass man die Straße minutenlang nicht überqueren konnte, erzählt er. Das ist nun vorbei. Dafür gibt es jetzt die Autobahn. "Es ist zweischneidig", sagt Wissel.

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