Holocaust:Amerikaner und Deutsche erforschen zusammen Judenverfolgung

Farbiger US-Soldat mit einem Kind auf den Knien

Kurz nach dem Nazi-Terror: Ein Soldat der US-Armee hält im besetzten München ein deutsches Kind im Arm.

(Foto: SZ Photo)
  • Die Staatlichen Archive Bayerns wollen in Zukunft mit dem United States Holocaust Memorial Museum in Washington zusammenarbeiten.
  • Das Washingtoner Museum möchte alle Quellen zur Geschichte der Judenverfolgung zentral sammeln und dokumentieren.
  • Die bayerischen Archive zählen zu den bedeutendsten in Europa, da sie zahlreiche einzigartige Unterlagen über Opfer der Nationalsozialisten verwahren.

Von Hans Kratzer

Die Staatlichen Archive Bayerns und das United States Holocaust Memorial Museum in Washington haben am Montag in München einen wegweisenden Vertrag unterzeichnet. Die beiden Partner wollen künftig bei der Dokumentation und der Erforschung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen und des Holocaust intensiv zusammenarbeiten. Die bayerischen Archive werden dem Museum in Washington zu diesem Zweck Reproduktionen von relevantem Archivmaterial zur Verfügung stellen.

Die Erinnerung an die Opfer der Gewaltherrschaft ist keineswegs ausgelöscht. Auch wenn sich die Nationalsozialisten nach Kräften bemüht hatten, alle Spuren ihrer Verbrechen zu beseitigen, bevor die amerikanischen Streitkräfte am 29. April 1945 München und am 8. Mai ganz Bayern besetzten und der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten endgültig ein Ende bereiteten. Deutschland stand vor den baulichen und moralischen Trümmern der zwölfjährigen Nazi-Herrschaft. In Europa wurden fast sechs Millionen Juden im Holocaust ermordet. Nur wenige konnten sich vor den Nazis verstecken oder sich rechtzeitig ins Ausland retten. In Bayern hatten 1933 etwa 35 000 Juden gelebt, von denen nur wenige der Vernichtung entgingen.

Das Interesse an der Erforschung des Holocaust ist weltweit ungebrochen. Die künftige Kooperation der Staatlichen Archive Bayerns und des United States Holocaust Memorial Museum und die damit verbundene Vernetzung eröffnet neue Perspektiven. Die bayerischen Staatsarchive, die zu den bedeutendsten Staatsarchiven in Europa zählen, verwahren zahlreiche Unterlagen, die einzigartige Einblicke in das Schicksal der Opfer des nationalsozialistischen Gewaltregimes ermöglichen.

Die Bestände aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv und aus den insgesamt acht Staatsarchiven in den Regierungsbezirken gehören zu den wichtigsten Quellen für die Erforschung der nationalsozialistischen Judenverfolgung, der Schoah und der NS-Gewaltverbrechen bis hin zum Zweiten Weltkrieg. Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle (CSU) sprach bei der Unterzeichnung von "zentralen Mosaiksteinen für die Erforschung der nationalsozialistischen Judenverfolgung und NS-Gewaltverbrechen, die Licht in das Dunkel der totalitären Herrschaft unter dem Zeichen des Hakenkreuzes bringen können".

Das United States Holocaust Memorial Museum verfolgt das Ziel, alle Quellen zur Geschichte der Judenverfolgung und des Holocaust zentral zu sammeln und zu dokumentieren, das Gedenken an die Opfer lebendig zu halten und deren Schicksale lehrreich zu vermitteln. Von größter Wichtigkeit für die Amerikaner sind beispielsweise die Gestapo-Akten, die im Staatsarchiv Würzburg aufbewahrt werden. Dies gilt umso mehr, als die Akten der Gestapo (Geheime Staatspolizei) zum Kriegsende hin von den Nazis gezielt vernichtet wurden. Die unterfränkischen Bestände im Staatsarchiv Würzburg blieben jedoch unangetastet. "Auch wenn es nur ein regionaler Ausschnitt ist, so zeigen sie uns trotzdem deutlich und klar, wie die Gestapo gearbeitet hat", sagt Bernhard Grau von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns. Ähnlich brisant sind auch die Steuerakten von rassisch verfolgten Menschen.

Der Kooperationsvertrag, den die Generaldirektorin der Staatlichen Archive Bayerns, Margit Ksoll-Marcon, und Radu Ioanid vom Washingtoner Museum am Montag unterzeichneten, macht es künftig möglich, dass einschlägige Archivalien aus Bayern auf Microfilm künftig in Amerika eingesehen werden können. Das Museum dient auch als nationale Gedenkstätte für die Opfer des Holocaust. Die Ausstellungsräume beinhalten Zehntausende authentische Artefakte. Das Museum lockt mit Ausstellungen jährlich etwa 1,7 Millionen Besucher an. Seit der Gründung im Jahr 1993 wurden fast 30 Millionen Gäste gezählt.

Der Grundstein ist gelegt - "jetzt wird gearbeitet"

Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle sprach nach der Vertragsunterzeichnung von einem "wichtigen Schritt für die Erinnerungs- und die Versöhnungsarbeit". Die Zusammenarbeit sei "ein Gewinn für unsere Gesellschaft". Mit der Dokumentation des Holocaust und der Vermittlungsarbeit des Washingtoner Museums würden die Besucher zum Nachdenken über das unmenschliche Vorgehen der Nazis und über die moralischen Folgen angeregt. "Die vertiefte Auseinandersetzung mit dem NS-Unrechtsregime ermöglicht es, Lehren für demokratisches Handeln in Gegenwart und Zukunft zu ziehen", sagte Spaenle.

Ungeachtet dessen waren langjährige Verhandlungen und Vorbereitungen nötig, bis der Vertrag jetzt unterzeichnet werden konnte. Nachdem eine gemeinsame Lösung auf Bund-Länder-Ebene nicht zustande kam, drängte Bayern jetzt auf eine davon unabhängige Einigung mit den Amerikanern, deren Delegation sich über die positive Entwicklung hocherfreut zeigte ("real pleasure and honour!"). Das Fundament für ein fruchtbares Miteinander ist nun gelegt, "jetzt wird gearbeitet!", sagten Minister Spaenle und Direktorin Ksoll-Marcon.

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