Hochwasser in Passau:Mit Sandsäcken und Hilfsbereitschaft gegen die Fluten

Die Innenstadt versinkt: Die Passauer horten Trinkwasser, versuchen ihre Geschäfte zu retten - und helfen anderen, die kein Dach mehr über dem Kopf haben. Eindrücke aus einer Stadt unter Wasser.

Von Beate Wild, Passau

Die Keller sind nicht mehr sicher. In der Grabengasse in Passaus Innenstadt flüchtet ein Dutzend Ratten aus einem Haus. Sie irren durch die Gassen, auf der Suche nach trockenem Land. Davon gibt es nicht mehr viel.

Für Menschen ist in der Bräugasse, beim "Alten Bräuhaus", Schluss. Weiter kommen sie nicht mehr in Passau. Die gesamte Ortsspitze der Domstadt steht unter Wasser, jener Landzipfel, an dem Donau und Inn zusammenfließen. Jetzt fluten die beiden Flüsse die Altstadt. Am Rande der Wassermassen stehen Mitarbeiter der Wasserwacht und helfen Anwohnern, mit Sandsäcken ihre Türen zu sichern. Ein Ruf: "Da sind noch sieben Studenten in einem Haus!". Hektik kommt auf. Zwei Wasserwachtler springen in eines der bereitstehenden Boote und schippern los. "Jetzt aber schnell", ruft ihnen eine Helferin hinterher. "Hier kann keiner mehr bleiben, alle müssen raus."

Die bisherige Höchstmarke von 12,20 Meter, die bisher nur einmal im Jahr 1954 erreicht wurde, ist in Passau seit Montagmorgen überschritten. Anwohner und Helfer versuchen, ihr Eigentum so schnell wie möglich zu sichern, ihre Wertsachen in Sicherheit zu bringen. Ohne Gummistiefel wird es schwierig. Viele Straßen sind zumindest teilweise überflutet. An den meisten Geschäften und Lokalen in der Altstadt hängen Schilder: "Heute wegen Hochwasser geschlossen!".

So auch in der Fußgängerzone. Das Modegeschäft Gerry Weber und der Haushaltswarenladen Allerlei sind geflutet. In der Confiserie Hussel in der Ludwigstraße bringen Martina Pretzl und Marica Schlaps die letzten Sachen in Sicherheit. "Bis zur zweitobersten Kellerstufe steht schon das Wasser", sagt Pretzl, die Geschäftsführerin. Die beiden Frauen haben alle Regale leergeräumt, sie gehen davon aus, dass es nicht mehr lange dauert, bis das Wasser im Laden steht. Pretzl sagt, sie wolle trotzdem hier übernachten: "Ich hab sonst kein gutes Gefühl, wenn ich das hier alleine lasse."

In den betroffenen Straßenzügen der Innenstadt ist der Strom seit Sonntag weg. Am Montagmittag stellten die Stadtwerke Passau auch die Trinkwasserversorgung ein. Es drohe eine Verunreinigung der Trinkwasserbrunnen, teilte der Krisenstab. Pumpen sind ausgefallen. In Supermärkten decken sich die Passauer mit so vielen Wasservorräten wie möglich ein.

Wer ein Haus in der Altstadt hat, muss Wasser aus seinem Keller pumpen. Die Glücklichen haben eine motorisierte Pumpe, doch das sind die wenigsten. In der Theresienstraße schöpft Jochen Weiß seit Montagmorgen seinen Keller aus - per Hand, mit Eimern und der Hilfe von einigen Studenten. Er sagt: "Das Problem sind die Stromleitungen im Keller."

Im Wirtshaus Kreuzweis in der Pfaffengasse versuchen einige Männer, die Eingangspforte des Hauses zu verbarrikadieren. Das Gebäude liegt ganz nah am Donauufer, die kleine Gasse steht schon komplett unter Wasser. "Wir hatten nicht gedacht, dass es so schlimm wird", sagt einer, und ein anderer aus der Gruppe ruft: "Dabei sind wir einiges gewohnt hier in Passau." In einigen Straßen spült es schon die Pflastersteine weg, so stark ist die Strömung. "Wir können nur hoffen, dass die Regensburger nicht die Schleuse aufmachen", sagt ein Helfer. Dann würde der Pegelstand in Passau noch einmal um bis zu einen halben Meter steigen, vermutet er.

Wasser bis zur Decke

Insgesamt sind in der Passauer Altstadt 600 Helfer und 22 Boote im Einsatz. Seit Montagmorgen sind etwa 120 Bundeswehrsoldaten hinzugekommen. Sie helfen, Sandsäcke zu füllen und aufeinander zu schichten.

Für manche Gebäude kommt jede Hilfe zu spät, etwa für den Kindergarten in der Schustergasse. Der Flachbau steht direkt am Inn-Ufer, er ist bis unter die Decke mit Wasser gefüllt. Daneben braust der braune Fluß und rauscht laut. Zwei Studenten stehen am Ufer und sehen sich das Schauspiel an. "Wir wohnen in der Innstadt und sind jetzt glücklicherweise noch herausgekommen", erzählt einer. Die Flut dürfte dieses Viertel in den nächsten Stunden komplett vom restlichen Passau abschneiden. "Dann kann man nur noch von der österreichischen Seite rein", sagt der Student.

Auch Julia Weidingers Tag lief anders als erwartet. Nicht nur, dass ihr Haus in der Fußgängerzone unter Wasser steht, auch ihre Abiturprüfung wurde abgesagt. "Gestern Abend haben sie uns informiert", erzählt sie. Das Fach "Deutsch" wäre heute an der Reihe gewesen. Doch nun ist der Test bis auf weiteres verschoben. "Dabei war ich so gut vorbereitet, ich hätte lieber heute geschrieben." Auch an der Uni sind alle Prüfungen abgesagt worden. Viele Passauer Studenten brauchen die unfreiwillige Auszeit - sie müssen ihre Studentenbuden in der Innenstadt evakuieren. Die wichtigsten Habseligkeiten tragen sie in Sporttaschen und Plastiktüten aus den Häusern. "Zum Glück haben eigentlich alle von uns Freunde, bei denen man übernachten kann", sagt einer. Wann sie zurückkehren können, weiß niemand. Für Passauer, die keine Bekannten haben, bei denen sie vorübergehend unterkommen können, bereitet die Stadt drei Notunterkünfte vor, unter anderem in der Dreiländerhalle.

Die Bewohner in Passau vernetzen sich über das Internet. Auf den Facebook-Seiten Infoseite - Hochwasser 2013 Landkreis Passau und Infoseite - Passau Hochwasser 2013 tauschen sie Infos aus und posten Fotos ihrer überschwemmten Straßen. Viele Menschen aus Stadt und Umgebung bieten großzügig ihre Hilfe an. Stefan Halft etwa schreibt: "Werden noch Helfer (wenn auch ohne Ausrüstung) gebraucht? Kann man sich irgendwo melden?" und Isabella Raceheart bietet an: "Falls jemand eine Übernachtungsmöglichkeit braucht, darf er sich gerne melden. Habe mehrere Schlafplätze in Bad Füssing zur Verfügung!" Der Kampf gegen die Flut läuft - mit Hilfsbereitschaft und Sandsäcken.

"Schröckliche Wassergüß“

Passau hat schon viele Hochwasser erlebt. Die Chroniken der Stadt bezeugen die Zerstörung. Eine Auswahl:

1060 - Auf einen Winter mit viel Schnee und Frost folgte "eine derartige Ausschüttung von Wasser, wie es kaum je vorher in jenem Reich berichtet wurde".

1173 - Nach einem harten Winter kommt es zu einer "bisher unerhörten Überschwemmung durch die Donau". Viele Menschen, Tiere und Ortschaften "gingen zu Grunde".

1342 - Das "Magdalenen"-Hochwasser reißt alle Brücken von Straubing bis Passau fort.

1501 - "Schröckliche Wassergüß" und den bisher höchsten Pegelstand in Passau ereignen sich am 15. August. Der Stand beträgt laut Rekonstruktionen etwa 13,00 bis 13,20 Meter. Zehn Tage war die Stadt eine Insel.

1784 - Treibeis reißt  in Passau die Donaubrücke und Teile der Innbrücke weg. 

1954 - Heftiger Dauerregen führt zur größten Naturkatastrophe des 20. Jahrhunderts in Bayern. An der Donau wird ein Höchststand von 12,20 Meter gemessen, am Inn 10,10. 

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