Hochwasser in Bayern:"Bis hier geht die Katastrophe"

Hochwasser in Bayern - Deggendorf

"Bis hier geht die Katastrophe": Ein schwer beschädigtes Klavier in Deggendorf

(Foto: dpa)

Oft müssen sie ihre komplette Einrichtung wegwerfen: In Deggendorf dürfen die Menschen nach dem Hochwasser endlich wieder in ihre Häuser zurück - dort offenbart sich ihnen das wahre Ausmaß der Katastrophe. Doch mitten im Chaos findet sich auch so mancher heil gebliebene Schatz.

Von Sarah Ehrmann und Korbinian Eisenberger, Deggendorf

Wenn man durch die 700 Meter langen Stände des Deggendorfer Parkhauses geht, kommt es einem vor, als wäre man auf einem Basar. Ein Schild mit der Aufschrift "Kein Flohmarkt" macht aber klar, dass der Schein trügt. Dort, wo sonst Autos parken, reihen sich jetzt Stände mit Handtüchern, Pullovern, Hosen und Unterwäsche aneinander. In dem Parkhaus im Westen von Deggendorf werden seit mehreren Tagen tonnenweise Spenden gesammelt.

Auf mehreren Tausend Quadratmetern stapeln sich Fernseher, Waschmaschinen, Möbel, Kleidung, Töpfe, Pfannen, Reiniger und Spülmittel. Vor einer Kiste mit Elektrogeräten steht ein Mann in verdrecktem Trainingsanzug und Gummistiefeln. Karl Wimbauer hat sich einen Stoß Unterhosen und ein Päckchen Strümpfe unter den Arm geklemmt. Jetzt ist er mit seinem Sohn Michel auf der Suche nach einer Taschenlampe - mit Batterien. "Wir brauchen Licht, um unseren Keller auszuleuchten", sagt Wimbauer.

Als das Wasser in sein Haus im Ortsteil Fischerdorf drang, flüchtete die Familie in die Stadt. Zähneknirschend habe er einen großen Teil seines Landbesitzes verkaufen müssen, damit der Damm am Mettenufer der Donau gebaut werden konnte. "Die hätten den Hochwasserschutz an der Isar ausbauen müssen. Dann hätte ich jetzt noch mein Land - und ein trockenes Haus", sagt der 49-Jährige. Immerhin: Mit Taschenlampe und trockenen Socken soll jetzt der Rest des Hauses entrümpelt werden.

Familie Weinberger ist schon etwas weiter mit dem Aufräumen. Im ihrem Wohnzimmer in Fischerdorf steht kein Sofa mehr, kein Regal, kein Tisch. Kahl glänzt der Betonboden, auch die Parkettböden haben die vier erwachsenen Kinder des mehr als 70 Jahre alten Ehepaars Weinberger herausreißen müssen. "Da haben wir die Tür kaum noch aufgekriegt, so hatte sich das Parkett nach oben gewölbt", erzählt Tochter Martina Jankus. Sie trägt Gummistiefel, und ihre Wangen sind leicht gerötet, von der Anstrengung, aber auch von der Sonne, die Deggendorf an diesem Dienstag eine unwirkliche Atmosphäre von Sommer gibt.

Jankus ist aus München angereist, um den Hof ihrer Eltern wieder flott zu machen. Die Schafe konnten sie noch rechtzeitig zu einem anderen Hof treiben, als am Dienstag vor einer Woche das Wasser stieg und stieg. "Aber das Futter, das ganze Heu in der Scheune, alles kaputt", sagt Jankus. "Und jetzt stehen wir doof davor." Der Hof ist immer noch etwa einen Meter hoch mit Wasser bedeckt, ausgelaufenes Heizöl überzieht das Wasser mit einer fettigen Schicht. "Bis hier geht die Katastrophe", sagt Jankus und zeigt auf die Eingangsstufen zum Haus.

"Das ist alles so super organisiert hier"

Ihr Vater lässt es sich nicht anmerken, wie nahe es ihm geht, die ganze Einrichtung auf den Sperrmüll zu werfen. Energisch schwingt er den Hochdruckreiniger. "Das ist alles so super organisiert hier", sagt Jankus. "Wir haben unser Sofa, die Regale und alles, was kaputt ist, auf die Straße gestellt. Keine zwei Stunden später hat es jemand abgeholt." Immerhin, ein kleiner Schatz hat die Katastrophe überstanden: 185 Mark in Scheinen, zusammengehalten durch Büroklammern, trocknen im gusseisernen Herd im Wohnzimmer. Die Sammlerstücke sind zwar ein bisschen gewellt, aber alle Ecken sind noch dran.

Dass das Aufräumen in Fischerdorf so reibungslos funktioniert, liegt an Menschen wie Lorena Mundigel. Die 21-jährige Studentin koordiniert den Einsatz der zivilen Helfer im Katastrophengebiet. Zusammen mit ihrem Team von "Deggendorf räumt auf" teilt sie die freiwilligen Helfer auf die überschwemmten Häuser in Fischerdorf auf. Ihr Telefon klingelt im Minutentakt. Wild gestikulierend wirbelt sie um den Stand herum, an dem die Helfer mit Schrubbern, Lageplänen und Handschuhen ausgestattet werden. Die meisten sind Studenten, die aus ganz Bayern gekommen sind, um den Flutopfern zu helfen.

In der Deggendorfer Stadthalle haben die professionellen Helfer von BRK, Johannitern, Maltesern und THW Quartier bezogen. Am frühen Mittag liegen einige noch auf den Campingbetten und holen den Schlaf nach, der ihnen in der Nacht geraubt wurde: Zusammen mit 720 Soldaten haben sie insgesamt 50.000 Sandsäcke an den Deich geschafft. Die Sandsäcke befestigen nun den Untergrund so, dass Bagger wieder rauffahren können.

"Jedes Wort ist eigentlich zu viel"

Eigentlich bestehe bei einer Höhe der Donau von 6,50 Metern keine Gefahr, sagt der Deggendorfer Landrat Christian Bernreiter (CSU) am Dienstag. Aber die Dämme sind so weich und fragil, dass jetzt Verstärkung gebraucht wurde. "Die Dämme werden halten", sagt Bernreiter. Die Scheitelwelle der Donau nach den neuerlichen Regenfällen wird in der Nacht auf Donnerstag erwartet. Momentan steigt der Pegel leicht, weil Wassermassen aus Schwaben nach Niederbayern drücken.

Hochwasser in Bayern - Deggendorf

Luitpold Weinberger und Alexandra Laschinger beim Aufräumen

(Foto: dpa)

Das Industriegebiet zwischen Fischerdorf und Natternberg ist noch vom Wasser umschlossen. Vor einem Autogeschäft schaukeln die überfluteten Kleinwagen in der braunen Brühe wie müde Wasservögel. Die Arbeiter der Müllabfuhr in ihren hohen Führerhäuschen drehen Runde um Runde durch das hüfthohe Wasser und karren Sperrmüll aus dem Katastrophengebiet. Unimog-Fahrzeuge der Wasserwacht bringen Besitzer in ihre Betriebe zurück.

Am Nachmittag besucht der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer Deggendorf und Fischerdorf, es ist sein erster Besuch seit seinem Antritt im Januar. "Ausgerechnet unter diesen Umständen", sagt er, als er die Kapelle St. Konrad begutachtet, in der vor einigen Tagen noch 80 Zentimeter hoch das Wasser stand. Er kündigt an, dass das Bistum eine Kollekte für die Flutopfer spenden und den Betrag noch einmal verdoppeln werde. "Jedes Wort ist eigentlich zu viel", sagt Voderholzer.

Auf den matschigen Straßen von Fischerdorf liegen dicke Schläuche. Aus den Gullys wird Wasser gepumpt, um den Grundwasserpegel zu senken. Das Erdgeschoss im Haus von Rentnerin Anna Penzkofer ist bereits trocken. Erst jetzt werden die Ausmaße der Katastrophe sichtbar. Kaputte Möbel türmen sich vor ihrem Haus. Über allem liegt eine graubraune Schicht. Selbst die Pflanzen sind grau, als ob sie seit Jahren verstaubt wären.

50 Bereitschaftspolizisten aus Eichstätt helfen dabei, einen großen Schrank zu zertrümmern. Er passt nicht in die Schaufel des Frontladers, der den Schrott auf eine Müllhalde transportiert. Unter dem Gerümpel hat Anna Penzkofer eine Holzschatulle mit alten Urkunden gefunden, von denen das Wasser bereits einige zersetzt hat. Die Schrift des Vertrags der Hofübergabe ihrer Vorfahren von 1734 kann die 71-Jährige aber noch lesen.

Einige Kilometer stadtauswärts fährt derweil ein Lkw mit Anhänger vor die Parkhalle. Ein großer Kleidungshersteller spendiert zwei Wagenladungen neue Pullover, Hosen und Jacken. "Der kommt gerade recht", sagt Karl Wimbauer, streift seine dreckige Trainingsjacke ab und wirft sie in den Mülleimer.

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