Hochwasser in Bayern:Wenn jeder jedem hilft

Einer will Fluthelfer mit Semmeln versorgen, ein anderer leitet ein ganzes Einsatzkommando und eine Familie verliert über Nacht fast alles. Das Hochwasser hat Bayern heimgesucht. Doch überall helfen wildfremde Menschen einander: fünf Gesichter der Katastrophe.

Hochwasser in Bayern: Hubert Denk watet durch das hüfthohe Wasser.

Hubert Denk watet durch das hüfthohe Wasser.

(Foto: Hubert Denk)

Als das Wasser in seinen Wagen dringt, sitzt Hubert Denk am Steuer. "Ich war mir todsicher, dass ich da durchfahren kann", sagt er. An der tiefsten Stelle der Straße, mitten in der Senke, ertrinkt sein Landrover. "Da fließt dir das Wasser um die Oberschenkel und du bekommst schon irgendwie Panik." Gemeinsam mit einem Bäcker und seinem Praktikanten war Denk ausgefahren, um die Fluthelfer in Passau mit Semmeln zu versorgen. Jetzt müssen der Journalist und seine Mitfahrer selbst gerettet werden.

Kaum aus dem Auto, hetzt Denk in seinen schweren, vollgelaufenen Watthosen völlig unterkühlt über die bebende Marienbrücke zurück nach Hause. Es ist bereits nach Mitternacht, Montagfrüh. Die Pegel von Inn und Donau steigen. Denks Haus steht seit 1870 in Passau - Altstadt zwar, aber bisher immer noch hoch genug, um den Fluten zu entgehen. Dieses Mal nicht.

Als Denk ankommt, fließt die braune Brühe bereits in Keller und Erdgeschoss, der Garten ist eine Schlammwüste. "Da sitzt du dann im Haus und denkst, du bist auf einem sinkenden Schiff." Die ganze Nacht versucht Denk zu retten, was zu retten ist. "Wir haben sogar noch den wegschwimmenden Pool mit Seilen an zwei Nussbäumen festgebunden." Am nächsten Morgen kommt die Wasserwacht und nimmt ihn mit.

"In Deutschland kennen wir Katastrophen dieses Ausmaßes nicht. Aber die Passauer sind Stehaufmännchen. Die heulen nur, wenn's keiner sieht." Die Situation in der Stadt erinnert den auslandserfahrenen Reporter an andere Krisengebiete. "Ohne Wasser und Strom geht gar nichts. Die Versorgung hier ist wie in den Außenlagern der Bundeswehr in Afghanistan." Die Helfer verteilen Hygienebeutel mit Zahnbürsten und Waschmittel.

Jetzt sitzt Hubert Denk wenige Kilometer von seinem Zuhause entfernt in einem Landhaus. Er trocknet die Speicherchips seiner Fotokameras und lädt das Handy auf. "Die Geräte hat mein Praktikant noch vom Dach des überschwemmten Landrovers aus in das Fenster einer naheliegenden Wohnung geworfen." Der Landrover selbst ist wieder trocken und sauber. Besorgte Nachbarn hatten ihn geputzt, als das Wasser fort war. Nur fahren tut er nicht mehr.

Von Lukas Meyer-Blankenburg

Tödliche Falle Kanalisation

Am gefährlichsten sind die Gullys, weiß Benjamin Lakeit. Drückt das Hochwasser aus der Kanalisation, werden die Deckel weggespült - im Hochwasser können die Schächte dann zu einer tödlichen Falle werden. Selbst ein Erwachsener kann hineingezogen werden. Mit einem Stahlseil ist Strömungsretter Lakeit daher mit dem Rettungsboot verbunden, das er durch die schmutzigen Fluten in Kolbermoor schiebt. "Wir können den Motor nicht einsetzen", sagt er, "denn mal reicht mir das Wasser bis zum Bauchnabel, mal bis zu den Knien - der Motor würde kaputtgehen, wenn er wo dranstößt."

Hochwasser in Bayern: Strömungsretter Benjamin Lakeit weiß, wie schnell die Schächte der Kanalisation zur tödlichen Falle werden können.

Strömungsretter Benjamin Lakeit weiß, wie schnell die Schächte der Kanalisation zur tödlichen Falle werden können.

(Foto: oh)

Mehr als 30 Stunden lang war der 30-Jährige Strömungsretter der Wasserrettungsorganisation DLRG in Kolbermoor im Einsatz, die meiste Zeit schob er Firmenbesitzer in ihre Geschäfte hinein. "Die waren schockiert, die machten Fotos und schauten, ob es noch was zu retten gibt - aber die Einrichtung des Autogeschäfts und die Ausstellungsstücke einer Bioenergiefirma sahen total kaputt aus."

Selbst nachdem der Wasserpegel in Kolbermoor wieder gesunken ist, können nicht alle Bewohner allein in ihre Häuser zurück, daher spielt Benjamin Lakeit Wassertaxi. Für zwei Teenager war er möglicherweise Lebensretter: "Die hatten Gummistiefel an - und standen plötzlich bis zum Bauch im Wasser. Wegen der Strömung konnten sie weder vor noch zurück, also haben wir sie mitgenommen und der Polizei übergeben." Nicht als Strafe, sondern falls sie bereits vermisst wurden.

Von Sarah Ehrmann

Über Nacht alles verloren

Hochwasser in Bayern: Die Familie von Jurij Diez hat über Nacht alles verloren.

Die Familie von Jurij Diez hat über Nacht alles verloren.

(Foto: oh)

"Wir ahnten nichts, niemand hatte uns gewarnt", sagt der Schauspieler Jurij Diez, dessen Familie am frühen Sonntagmorgen in ihrem Haus in Freilassing jäh aus dem Schlaf gerissen wurde. Da stand das Wasser im Erdgeschoss schon einen Meter hoch. Ohne etwas mitnehmen zu können, retteten sich alle in letzter Sekunde ins Freie, die Kinder wurden über das Fenster hinausgehoben.

Vor zehn Jahren war die Großfamilie Diez aus Kasachstan nach Deutschland übersiedelt und baute sich in Freilassing mit viel Fleiß eine bescheidene Existenz auf. Über Nacht hat sie alles verloren. Das Häuschen, das die Eltern vor einem Jahr fertiggestellt hatten, versank bis zum ersten Stock in den Fluten. Sohn Jurij schwamm ins Haus hinein, um wenigstens noch einige Dokumente zu retten, was ihm auch gelang.

Ansonsten ist fast alles, was im Haus war, zerstört. "Nur noch die Mauern stehen", sagt Jurij. Seine Angehörigen besitzen nur noch das, was sie am Leibe tragen. Die 16-köpfige Familie ist jetzt in der Drei-Zimmer-Wohnung von Jurijs Bruders untergeschlüpft. Die Mutter weint seit Sonntag. Im Herbst hätte ein Dokumentarfilm erscheinen sollen. Ein Filmemacher hatte Jurij Diez und seine Familie sechs Jahre lang begleitet. Jetzt bekommt der Film eine traurige Schlusssequenz.

Von Hans Kratzer

Nur drei Stunden Schlaf

Hochwasser in Bayern: Tobias König leitet ein Einsatzkommando - mit gerade einmal 22 Jahren.

Tobias König leitet ein Einsatzkommando - mit gerade einmal 22 Jahren.

Tobias König ist mit einer blauen Warnweste, einer Hochwasserhose, zwei Handys und einem Funkgerät ausgerüstet. Im Minutentakt klingelt eines seiner Telefone, das Funkgerät rauscht ununterbrochen. Der Fahrer eines Rettungswagens will wissen, wie viele Menschen in der Grundschule Theodor Eckert noch Platz haben. "120", sagt König und schart seine Mannschaft um sich.

In einer halben Stunde sollen etwa 20 Flutopfer auf Feldbetten in Klassenzimmern untergebracht werden. Für Tobias König heißt es jetzt: Klare Informationen an alle Helfer verteilen. Wenn er etwas vergisst, gibt es Schwierigkeiten. Der Dingolfinger leitet seit zwei Tagen das Einsatzkommando an der umfunktionierten Grundschule. Mit 22 Jahren trägt er die volle Verantwortung.

Kurz vor dem Mittagessen wartet seine bislang größte Herausforderung: 20 neue Hochwasser-Opfer sind laut Funk auf dem Weg in das Notlager. Die Häuser der Betroffenen stehen bis zur Dachrinne unter Wasser, den Menschen geht es dementsprechend schlecht. Keine leichte Aufgabe für König, dessen Team mit nur sieben Mann unterbesetzt ist. Drei seiner ehrenamtlichen Rettungshelfer bekamen von ihren Arbeitgebern nicht frei.

Mehr als drei Stunden Schlaf pro Nacht waren für König und seine Männer nicht drin. Trotzdem gilt es, Ruhe auszustrahlen. "Es bringt nichts, hektisch oder nervös zu werden. Ich spreche mit allen, meine Leute wissen, was zu tun ist, und so greift ein Rädchen ins andere." In der Mittagshitze hat er dennoch Schweißperlen auf der Stirn. Gerade wird eine alte Frau auf einer Trage hereingefahren. "Super Leute, das läuft ja wie am Schnürchen", ruft König in die Runde. Dann klingelt sein Handy: "Sie sind da!" Endlich: Verstärkung!

Von Korbinian Eisenberger

Zerstörung im Partykeller

Das verdreckte rote Sofa, auf dem Robert Wild nun vor seinem Haus im Rosenheimer Burgweg sitzt, schmückte vor dem großen Regen noch seinen Partykeller. Nun wird es im zweiten Container landen, den er für seine zerstörte Einrichtung benötigt. Der schwimmende Bauernschrank, den Wild im Keller zerlegt hat, ist schon weg. Wie die Bar, die Bibliothek, die Modelleisenbahn aus den 1960er Jahren, persönliche Unterlagen.

Hochwasser in Bayern - Rosenheim

Bauernschrank, Bar, Bibliothek: alles den Fluten zum Opfer gefallen.

(Foto: dpa)

Am Sonntag gegen 22.30 Uhr war noch kein Wasser auf der Straße, Wild wollte beruhigt ins Bett gehen. Kurz darauf stand die Polizei vor dem Haus: "Sofort raus." In den Stunden danach verwandelte sich der Burgweg in einen reißenden Bach, der Wilds Haus umspülte. Das Wasser stand bis wenige Zentimeter unter dem Erdgeschoss.

Spürt er Zorn, Wut oder einfach nur Traurigkeit? Wild überlegt, weiß keine Antwort. "Ich bin noch unter Strom, das kommt erst noch." Wenn er seine Wände im Keller mit dem Dampfstrahler vom Schlamm befreit hat und die zerstörte Einrichtung vor dem Haus weg ist. "Zu einem war es jedenfalls gut: Ich habe Leute von einer ganz neuen Seite kennengelernt. Sofort waren 15 Helfer da, die habe ich teilweise gar nicht gekannt."

Von Heiner Effern

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