Hochschule:Nürnberg träumt von eigener Universität

Universität Erlangen

Die Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg sieht die Pläne der Staatsregierung kritisch, eine eigene Universität in Nürnberg zu etablieren.

(Foto: dpa)
  • Bis Juli will das Kabinett um Horst Seehofer entscheiden, ob Nürnberg eine eigene Technische Universität mit bis zu 6000 Studenten bekommen soll.
  • Als Alternative ist eine eigene universitäre Einrichtung in Nürnberg unter dem Dach der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Gespräch.
  • Bisher werden in der Halbmillionenstadt Wirtschaftswissenschaftler und Grundschullehrer ausgebildet, die an der Hochschule Erlangen eingeschrieben sind.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Vielleicht, sagt Ministerpräsident Horst Seehofer, wird das Kabinettstreffen in Nürnberg einmal als ein "historisches" Datum in die Historie der Stadt und sogar des Landes Bayern eingehen. Der Eintrag im Geschichtsbuch würde dann etwa so lauten: Mai 2017 - der Ministerrat beschließt im Heimatministerium, dass Nürnberg eine eigenständige Uni-Einrichtung bekommt, womöglich sogar eine neu gegründete Technische Universität (TU).

Große Sympathie, sagt Seehofer, hege er für die Idee, "der zweitgrößten Stadt Bayerns eine eigene Universität" mit bis zu 6000 Studenten zukommen zu lassen. Bis Juli will das Kabinett nun entscheiden, ob das mit der Nürnberger Uni tatsächlich Wirklichkeit wird. Oder doch nur die kleine Lösung in Erfüllung geht: eine Einrichtung unter dem Dach der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Mit dem Begriff "historisch" wird viel Unfug getrieben, für eine eigenständige TU Nürnberg dürfte er aber kaum zu hoch gegriffen sein. Immer wieder haben Nürnberger Rathauschefs eine solche ins Spiel zu bringen versucht, die Resonanz aus der Staatskanzlei war stets übersichtlich. Ernsthaft ließ letztmals Ministerpräsident Günther Beckstein eine Uni-Neugründung prüfen. Als herauskam, dass so was voraussichtlich einen Milliardenbetrag kosten dürfte, ließ er die Idee ganz rasch in der Schublade verschwinden. Ausgerechnet ein Regierungschef aus Nürnberg verhilft seiner Stadt quasi als Morgengabe zum Titel "Uni-Stadt"? Das wollte sich Beckstein unter keinen Umständen anhören.

Wobei Nürnberg schon seit den Sechzigerjahren Uni-Stadt ist, angeblich jedenfalls. Damals wurde die Stadt zur Dependance der im 18. Jahrhundert gegründeten Universität Erlangen erklärt. Mehr als ein Appendix der Erlanger Hochschule ist aus Nürnberg aber nie geworden. Wirtschaftswissenschaftler und Grundschullehrer werden dort ausgebildet, viel mehr passiert nicht. Es gibt keine zweite Halbmillionenstadt in Deutschland, in der so wenige Uni-Studenten lernen. Man könnte auch sagen: Die Second City Bayerns ist auf der Forschungslandkarte eine terra incognita. Kein Ruhmesblatt für den verfassungsmäßig verankerten "Kulturstaat" Bayern.

Im anderen Südstaat, in Baden-Württemberg, haben sie sich in den Sechzigerjahren in einem vergleichbaren Fall exakt für das Gegenteil entschieden. Die Voraussetzungen waren dort ähnlich: Hier Heidelberg, die historische und renommierte Universitätsstadt. Dort, nur ein paar Kilometer entfernt: Mannheim, die zerbombte Arbeiterstadt. Was soll dort eine Uni-Neugründung, wer soll da studieren, fragten damals viele. Für dieselbe Frage würde man sich heute lächerlich machen. Die Uni Mannheim ist längst etabliert und tut der Sozialstruktur der Stadt offenkundig gut. Mehr Institute und Studenten haben sie in Nürnberg immer wieder gefordert.

Aber Hochschulrektoren sind keine Strukturpolitiker: Sie haben für gute Studien- und Forschungsbedingungen zu sorgen, nicht für die Nöte einer historischen Arbeiterstadt. Und so darbt Nürnberg seit Jahrzehnten, während sich Erlangen, eine Stadt von kaum mehr als 100 000 Einwohnern, über eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung nach der anderen freut. Als im Dezember die Pläne für einen Uni-Campus auf dem leer stehenden AEG-Gelände platzten, schien Nürnberg am Tiefpunkt angelangt: wieder nichts.

Eine TU in Nürnberg könnte bis zu einer Milliarde Euro kosten

Ein "Garching des Nordens" hatten gleich drei Minister - Finanzminister Markus Söder, Innenminister Joachim Herrmann und Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle - zuvor angekündigt. Nach zwei Jahren blieb von den vollmundigen Ankündigungen nur der bittere Nachgeschmack. Söder hatte sich früh aufs AEG-Areal festgelegt, die Eigentümer der Immobilie nutzen das für kreative Grundstückspreise. Außerdem, ließ die Uni am Ende wissen, sei das Areal zu klein. Statt Garching-Nord drohte plötzlich: gar nichts.

Abermals blühte Nürnberg also dasselbe Schicksal. Warum, hieß es plötzlich aus Erlangen, soll die Technische Fakultät überhaupt zerrissen werden? Auch Siemens zeigte sich reserviert: Der Konzern baut gerade einen neuen Technologiecampus für eine halbe Milliarde Euro in Erlangen-Süd, gleich neben der Technischen Fakultät. Da wäre es schon schön, findet der Konzern, wenn nicht gleichzeitig große Teile der Fakultät abwanderten. Und auf einmal verstummte auch Bauminister Joachim Herrmann. Wundern musste das keinen: Herrmann war mal Syndikus der Siemens-AG und ist Erlanger. Für einen Umzug zu werben, gegen den seine Stadt und sein Ex-Konzern kämpfen, ist viel verlangt. In den vergangenen Wochen fürchtete Nürnberg also ein Déjà-vu: Vielleicht platzt am Ende mal wieder alles.

Nun könnte es zwar, im Gegenteil, die ganz große Lösung geben. Und wo auch immer man sich umhört in Nürnberg, bei der Industrie- und Handelskammer, im Stadtrat, beim Wirtschaftsreferenten, überall herrscht Euphorie. Aber Oberbürgermeister Ulrich Maly tritt auch auf die Bremse: "Das klingt gut", sagt er, man warte aber erst mal aufs "Kleingedruckte". Will heißen: Eine kreative Kabinettssitzung vor einer gemeinsamen Busfahrt der Minister nach Prag heißt noch lange nicht, dass der Traum von der eigenständigen Uni auch Wirklichkeit wird. Immerhin ist jetzt wieder die Zahl im Umlauf, die schon Beckstein reflexartig die Schublade öffnen ließ: Kosten von bis zu einer Milliarde Euro.

Und ein bisschen Gegenwind gibt es schon auch. Wie zu erwarten war, kommt er aus Erlangen, von der Universitätsführung: So sehr man sich darüber freue, dass die Technische Fakultät gestärkt werde - es ergebe keinen Sinn, sagt Unipräsident Joachim Hornegger, "parallele" Strukturen im fränkischen Ballungsraum hochzuziehen, etwa eine zweite Universitätsverwaltung. "Das muss man sich gut überlegen." Was er nicht fürchte: Konkurrenz für die Uni Erlangen. Auch München, eine Stadt mit Voll-Uni und TU, hat bekanntlich gute Erfahrungen damit gemacht.

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