Hochschule:Die große Lehre

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Im Wintersemester studieren 376 400 junge Frauen und Männer an den bayerischen Universitäten. (Foto: Florian Peljak)

Die Freien Wähler halten den Wissenschaftsminister in der Hochschulpolitik für ziemlich "dünn aufgestellt". Mit einem Fragenkatalog wollen sie Spaenle auf Probleme aufmerksam machen und im besten Fall eine Diskussion über notwendige Reformen anstoßen

Von Anna Günther, München

Die Freien Wähler (FW) holen zum Rundumschlag in der Hochschulpolitik aus. Zwei Jahre nach Amtsantritt der Staatsregierung stellt die Oppositionsfraktion der CSU 157 Fragen zu Strategien und Perspektiven für die bayerischen Hochschulen. Die großen Projekte der vergangenen Jahre wie etwa die Umstellung auf Bachelor und Master in der Bologna-Reform, der doppelte Abiturjahrgang und die Förderung von Forschung und Eliteunis sind so weit umgesetzt. Aber eine Gesamtstrategie für die Unis sei nach wie vor nicht zu erkennen, sagt Michael Piazolo, das habe ihn schon bei Ludwig Spaenles Vorgänger Wolfgang Heubisch (FDP) gestört. Man müsse jetzt endlich darüber nachdenken. "Aber in der Hochschulpolitik ist der Wissenschaftsminister eher dünn aufgestellt", sagt der hochschulpolitische Sprecher der Freien Wähler der SZ. Ludwig Spaenle sei in den vergangenen zwei Jahren eher mit dem Münchner "Kulturkampf" um den Konzertsaal und den Baustellen an Bayerns Schulen beschäftigt gewesen. Das hätte die Probleme an den Hochschulen verdrängt.

Mit der Interpellation "Studieren 2020", der großen Anfrage an die Staatsregierung, wollen die Freien Wähler nun Daten zu diversen Hochschulthemen sammeln, Spaenles Strategien für die bayerischen Hochschulen abklopfen und auf Probleme aufmerksam machen. Anders als Anträge und Ideen zu Gesetzesänderungen, die in der Regel von der CSU-Mehrheit abgelehnt werden, soll der Fragenkatalog eine Debatte anstoßen. Die Lösungen könnten die Fraktionen auch gemeinsam erarbeiten - ein Prozess, der allein wegen der Fülle der Punkte Monate dauern dürfte.

Die Fragen drehen sich auch um Grundsatzthemen, etwa, wie viel Exzellenz nötig ist, also ob das Buhlen der Unis um Fördergelder für Forschungsprojekte überhaupt ein messbarer Erfolg ist. Ein anderer Fragekomplex befasst sich mit der Finanzierung der Unis. Sogar der Hochschullehrer Piazolo nennt die zuweilen wilde Mischung aus Grundfinanzierung und Drittmitteln "unübersichtlich". Gefragt wird außerdem, wie viele junge Menschen in Zukunft überhaupt studieren sollen. Statt Kinder schon in der Grundschule aufs Abitur zu trimmen und an die Hochschulen zu schicken, müsse dringend die berufliche Bildung aufgewertet und das duale Studium ausgebaut werden, sagt Piazolo. "Viele Jugendliche wissen nicht, was sie wollen, also studieren sie irgendetwas, aber für einige wäre es besser, wenn sie zuerst einen Beruf erlernen." Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels suchen Handwerk und Industrie händeringend Lehrlinge. Ob sich die Zahl der Studienabbrecher verringern würde, wenn alle Unentschlossenen eine berufliche Ausbildung machen würden, bleibt offen.

Die größte Baustelle in der Hochschulpolitik ist für die Freien Wähler der Bologna-Prozess: Allein 93 Fragen stellt die Fraktion zur 1999 beschlossenen, europaweiten Hochschulreform. Zehn Jahre nach der Einführung von Bachelor und Master in Bayern müsse die Reform der Reform her. "Der Bachelor muss hinterfragt werden, es kann nicht sein, dass alle einen Master machen, weil der Bachelor alleine nichts bringt", sagt Piazolo. Das widerspreche dem Bologna-Prozess, der bewusst das alte System der Magister- und Diplomstudiengänge ablöste, damit Studenten schon früher mit dem Bachelor in den Beruf kommen. Sogar viele Professoren seien nicht mit dem Bachelor zufrieden, die sehen das anders als ihre Dekane und Hochschulrektoren. Außerdem geht es um das Niveau von Wissenschaft, individuelle Gestaltung des Studiums, Arbeitsbelastung der Studenten, Kinderbetreuungsplätze oder ob das Studium jungen Menschen noch Raum für ehrenamtliches Engagement und Auslandssemester lässt. Bologna-Kritiker bemängeln, dass gerade die erhoffte Internationalisierung des Studiums nicht eingetreten sei. Vielen Studenten sei es schlicht zu stressig, auch noch ins Ausland zu gehen - zumal nicht immer klar sei, ob alle Prüfungen daheim anerkannt werden. "Das starre Korsett im Bachelor- und Masterstudium ist ein Problem, wir brauchen dringend mehr Flexibilität", sagt Piazolo. Zum Beispiel sollten junge Eltern in Teilzeit studieren können oder Kurse schieben dürfen.

Einen weiteren Brennpunkt sieht Piazolo in der Qualität der Lehre, die bei immer mehr Studenten nur mit mehr Personal und intensiverer Betreuung gewährleistet ist. Im Wintersemester sind es 376 400 junge Menschen. Doch genau da hakt es: Viele Beschäftigte an den Unis hangeln sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag und beklagen mangelnde Perspektiven. Dass der akademische Nachwuchs dann resigniert die Universitäten verlässt, sei ein großes Problem, sagt Piazolo.

Dagegen zeichnete Wissenschaftsminister Spaenle zu Semesterbeginn vor vier Wochen ein rosiges Bild. Bayern ist demnach nicht nur Primus in der Bildung, sondern auch bei den Hochschulen: Eine neue medizinische Fakultät wie in Augsburg sei in diesen Zeiten bundesweit einzigartig, die Verbundspromotion, mit der auch FH-Studenten ihren Doktor machen können, eine "bayerische Besonderheit mit Vorbildcharakter". Denn eigentlich ist die Promotion den Universitäten vorbehalten, die eifersüchtig darüber wachen. 4,9 Milliarden Euro hat der Minister 2015 für die Wissenschaft zu Verfügung. 30 Millionen gehen in den Ausbau der Masterstudiengänge. Um die Situation des akademischen Mittelbaus zu verbessern, hat Spaenle Grundsätze mit den Hochschulen vereinbart, die die Hochschulpräsidenten auch unterzeichneten. Wie die Unis diese Grundsätze dann auslegen, ist aber nicht festgeschrieben. Spaenle war im Oktober offenkundig mit sich und der Universitätswelt zufrieden. "Bayerns Hochschulen befinden sich auf einem sehr guten Weg", sagte er damals. Wo der hinführen soll, ist nicht für alle erkennbar.

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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