Historische Reisen:Der Mann, der jede Gräueltat überlebte

Historische Reisen: Mit 16 Jahren verließ Hans Schiltberger seine bayerische Heimat und reiste an Orte, von denen seine Zeitgenossen noch nicht einmal gehört hatten.

Mit 16 Jahren verließ Hans Schiltberger seine bayerische Heimat und reiste an Orte, von denen seine Zeitgenossen noch nicht einmal gehört hatten.

Er sah die schlimmsten Schrecken, zog durch Vorder- und Mittelasien und fand schließlich wieder nach Bayern zurück: Hans Schiltbergers Reisebericht fasziniert auch noch nach sechs Jahrhunderten.

Von Hans Holzhaider

Ich Johannes Schiltberger zoch aus von miner heymat mit namen aus der stat münchen gelegen in payern in der zyt als Künig Sigmund zu Ungern in die haidenschafft zoch. Das war als man zalt von cristi geburt dreizehnhundert und in dem vier und neuntzigsten iar mit einem herren genant lienhart Reichertinger und kam von der haydenschafft wider zu land als man zalt von cristi geburt vierzehnhundert und in dem sieben und zwanzigsten iar."

So beginnt eine der abenteuerlichsten Geschichten, die uns von einem Bewohner Bayerns aus dem späten Mittelalter überliefert ist. Als junger Bursche von kaum 16 Jahren verließ Hans Schiltberger anno 1394 seine Heimat und zog in den Krieg gegen die Türken. Als er 33 Jahre später heimkehrte, hatte er Länder gesehen, von denen die meisten seiner Zeitgenossen noch nicht einmal gehört hatten.

Keine Hoffnungs auf ein Familienerbe

Er war Zeuge entsetzlicher Kriegsgräuel geworden, er hatte Elefanten, Kamele, Giraffen und Rentiere gesehen. Er sprach türkisch und armenisch, griechisch und persisch, und sicher auch den einen oder anderen tatarischen Dialekt. Und er konnte seinen Landsleuten aus erster Hand und mit verblüffender Objektivität von der Religion und den Gebräuchen der Muslime berichten.

Das Jahr 1394: Bayern ist aufgeteilt unter den Enkeln und Urenkeln des deutschen Königs Ludwig des Bayern - die Münchner, die Landshuter, die Ingolstädter und die Straubinger, die sich alle gegenseitig nicht grün sind. Hans Schiltberger entstammt einer adeligen Familie, die im 13. Jahrhundert auf der Burg Schiltberg, in Sichtweite des Stammsitzes der Wittelsbacher im heutigen Landkreis Aichach-Friedberg, saß. Um das Jahr 1380, als Hans geboren wurde, hatte sich ein Zweig der Familie in München niedergelassen. Wahrscheinlich war Hans der zweit- oder drittgeborene Sohn, der sich keine Hoffnung auf das Familienerbe machen konnte und sich deshalb als Knappe verdingte.

Sigmund, der König von Ungarn und spätere Kaiser, hatte Boten in alle christlichen Länder gesandt und um Hilfe gegen die Türken gebeten, die unter ihrem Sultan Bajasid schon den ganzen östlichen Balkan überrannt hatten und nun die ungarische Grenze bedrohten. Aber in der Schlacht von Nicopolis am 30. September 1396 erlitt das christliche Heer eine vernichtende Niederlage, verschuldet vor allem durch das undisziplinierte Vorpreschen der Franzosen unter dem jungen Johann Ohnefurcht, dem Sohn des Herzogs von Burgund. König Sigmund gelang mit knapper Not die Flucht. Schiltbergers Herr Lienhart Reichartinger fiel im Kampf, sein Knappe wurde, mit Hunderten seiner Kameraden, gefangen.

Als der Sultan über das von Leichen übersäte Schlachtfeld ging und auch noch entdeckte, dass die Christen am Vorabend der Schlacht mehrere Hundert wehrlose türkische Gefangene niedergemetzelt hatten, befahl er in rasendem Zorn, allen Gefangenen den Kopf abzuschlagen. "So wurde auch ich selbdritt an einem Seil herbeigeführt", schreibt Hans Schiltberger. "Man nahm meine Gesellen und schlug ihnen den Kopf ab. Als die Reihe an mich kam, bemerkte mich der Sohn des Sultans. Der gebot, dass man mich leben ließ, weil man niemand tötet unter zwanzig Jahren, und ich war kaum sechzehn Jahre alt."

Historische Reisen: Die Rache des Sultans: "Man nahm meine Gesellen und schlug ihnen den Kopf ab". Illustration: Handschrift Hans Schiltberger, Augsburger Druckausgabe von 1477

Die Rache des Sultans: "Man nahm meine Gesellen und schlug ihnen den Kopf ab". Illustration: Handschrift Hans Schiltberger, Augsburger Druckausgabe von 1477

Die Türken brachten ihre Gefangenen nach Gallipoli am Hellespont, ein Marsch von fast 500 Kilometern, barfuß, im Hemd, mit gebundenen Händen, unter sengender Sonne. Es muss die Hölle gewesen sein, aber Hans Schiltberger verliert kein Wort darüber. Von Gallipoli ging es nach Brussa (heute Bursa), der Hauptstadt des Osmanischen Reichs. Bajasid schickte dem Sultan von Ägypten 60 der gefangenen Knaben als Geschenk. "Auch ich sollte mit ihnen gehen", schreibt Schiltberger, "doch ich litt an drei schweren Wunden, und man fürchtete, ich würde unterwegs sterben, darum behielt man mich in Brussa zurück."

Acht Jahre lang blieb der junge Münchner im Dienst des Sultans Bajasid, zuerst als Fußläufer, "später hielt man es für angemessen, mir ein Pferd zu überlassen". Ständig war der Sultan in kriegerische Auseinandersetzungen mit anderen Stammesfürsten verwickelt. Schiltberger lässt offen, welche Rolle er dabei spielte. Einmal unternahm er mit 60 anderen Christen einen Fluchtversuch, wurde wieder gefangen und neun Monate in einen Turm gesperrt. "Während dieser Zeit starben zwölf von uns. Dann reihte man uns wieder unter die Berittenen ein, und erhielten vermehrten Sold."

Er berichtet von einem wundersamen Naturereignis bei der Stadt Samsun an der Schwarzmeerküste: Dort erschienen "so viele Schlangen, dass sie die Ebene im Umkreis von einer Meile bedeckten". Ein Teil der Schlangen kam aus dem Meer, der andere aus den Wäldern, und schließlich kämpften die Landschlangen mit den Wasserschlangen, bis das ganze Land von toten Schlangen bedeckt war.

Historische Reisen: Ein wundersames Naturereignis: Der Kampf der Land- mit den Seeschlangen. Illustration: Handschrift Hans Schiltberger, Augsburger Druckausgabe von 1477

Ein wundersames Naturereignis: Der Kampf der Land- mit den Seeschlangen. Illustration: Handschrift Hans Schiltberger, Augsburger Druckausgabe von 1477

Timur, ein Mann von erlesener Grausamkeit

Um die Jahrhundertwende zog eine neue Bedrohung aus dem Osten heran. Der Tatarenfürst Timur fiel mit einem gewaltigen Heer in Anatolien ein. 1402 besiegte er die Osmanen in der Schlacht bei Angora (Ankara) und nahm den Sultan Bajasid gefangen. "Unter den Gefangenen, die Timur damals nach seinem Land entführte, war auch ich", schreibt Schiltberger. "Von dieser Zeit an blieb ich bei den Mongolen und ritt mit im Heere ihres Beherrschers."

Timur Lenk, "der Lahme" (daher die deutsche Form Tamerlan), war ein Mann von erlesener Grausamkeit. Bei der Eroberung der Stadt Sivas in Zentralanatolien, berichtet Schiltberger, hatte er dem türkischen Kommandanten geschworen, das Blut der Gefangenen nicht zu vergießen - er ließ sie, in Erfüllung seines Schwurs, alle lebendig begraben.

Nur vom Hörensagen berichtet Schiltberger von der Eroberung der persischen Stadt Isfahan durch Timur im Jahr 1387. Dort ließ er alle männlichen Einwohner über 14 Jahre köpfen und die Schädel zu gewaltigen Pyramiden türmen. Die Kinder unter sieben Jahren ließ er auf einem Feld aufstellen, berichtet Schiltberger, und befahl dann seinen Soldaten, über sie hinwegzureiten. "Aber keiner wollte der erste sein", schreibt Schiltberger. "Da erzürnte er und ritt selbst und sprach: ,Nun will ich sehen, wer mir nicht nachreitet.' Also mussten sie alle reiten, und ritten zweimal über die Kinder und zertraten sie alle miteinander."

1405 starb Timur, während er sich auf einen Feldzug nach China vorbereitete. Schiltberger schreibt, der Gram über die Untreue seiner Lieblingsfrau habe den Khan getötet. Aber Schiltbergers Odyssee war mit dem Tod Timurs noch lange nicht beendet. Er kam in den Dienst Miran-Schahs, eines der Söhne Timurs, in die persische Stadt Täbris, und als dieser von dem Turkomanen-Emir Jussuf besiegt und geköpft wurde, zu Miran-Schahs Sohn Abubekr, der für seine gewaltige Körperstärke berühmt war.

Hunde, groß wie Esel

Am Hof Abubekrs lebte Tschekra, ein Königssohn aus der "Großen Tartarei", dem Lande Kiptschak hinter dem Ural. Tschekra wurde in seine Heimat zurückgerufen, und Schiltberger musste ihn begleiten. So gelangte der Münchner schließlich bis ins westliche Sibirien. Dort, berichtet er, gebe es Hunde, so groß wie Esel, die vor Schlitten gespannt würden, und wilde Menschen, "denen am ganzen Körper ein Fell wächst". "Alles, wovon ich hier erzähle, habe ich mit meinen eigenen Augen gesehen", versichert Schiltberger.

Auch Tschekra, Schiltbergers neuer Herr, wurde im Laufe der endlosen Stammesfehden getötet, und einer seiner Minister floh, mit Schiltberger im Gefolge, nach Kaffa, dem heutigen Feodossja auf der Halbinsel Krim, und von dort nach Georgien. Dort beschloss Schiltberger mit vier seiner christlichen Schicksalsgenossen zu fliehen. Sie schlugen sich an der Schwarzmeerküste entlang nach Süden und wurden schließlich von einem Handelsschiff aufgenommen, das sie nach Konstantinopel brachte. Johannes VI., der vorletzte griechische Kaiser, nahm ihn gnädig auf und gab Schiltberger und seinen Gefährten Geleit bis zum Schloss Kilia nahe der Donaumündung. Von dort kämpfte er sich nach Norden durch.

In Lemberg wurde er krank und lag drei Monate darnieder, ehe er seine Heimreise fortsetzen konnte. Über Krakau, Breslau und Eger gelangte er schließlich nach Regensburg, "von regenspurg gen landshut, von landshut gen freisingen, da bei nahe ich geboren bin. Mit der hilff gottes wider heim und zu cristenlichen glauben kumen bin".

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