Historische Reisen:Der Konquistador aus Straubing

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Ulrich Schmidl gelangte auf seiner Abenteuererreise nach Südamerika in die entlegensten Winkel des Kontintents. (Foto: SZ-Grafik)

Ulrich Schmidl, Sohn einer Patrizierfamilie, machte sich 1534 auf, als Landsknecht spanischen Kriegsherren zu dienen. Er überstand entsetzliche Strapazen und wurde Zeuge zügelloser Massaker.

Von Hans Holzhaider

Die Konquista, die Eroberung der indianischen Reiche in Mittel- und Südamerika durch die Spanier im 16. Jahrhundert, ist eine Geschichte von Blut und Tränen, von Völkermord und Versklavung, von maßloser Gier nach Gold und Silber, vom Tod in vielfältigster Form - durch Krieg, Folter, Krankheit, Hunger, Durst oder wilde Tiere. Abenteurer und Glücksritter, nachgeborene Söhne aus adeligen Familien, die sich keine Hoffnung auf das väterliche Erbe machen konnten, abgehalfterte Soldaten aus dem Krieg gegen die Mauren, machten sich auf den Weg in die geheimnisvolle Neue Welt, um Reichtum und Ruhm zu erwerben.

Von einer eigens zu diesem Zweck geschaffenen Behörde erhielten sie die Lizenz zur "Erschließung" einer "Provinz"; als Gegenleistung mussten sie ein Fünftel ihres Gewinns an die Krone abführen. Karl V., König von Spanien und Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, brauchte Geld, Geld und nochmals Geld.

Zeuge zügelloser Massaker

Was aber trieb Ulrich Schmidl, den Sohn einer Patrizierfamilie aus der bayerischen Stadt Straubing, in die Armee, oder besser zur Soldateska, des Pedro Mendoza, der anno 1534 mit einer Flotte von 14 Schiffen von der spanischen Hafenstadt Cadiz zum Rio de la Plata aufbrach? Ulrich war Anfang 20 (sein genaues Geburtsjahr ist nicht bekannt), und es war bestimmt nicht die Not, die ihn aus der Heimat trieb. Sein Vater Wolfgang war Bürgermeister in Straubing, die Familie hatte es mit Viehhandel zu einigem Wohlstand gebracht. Schmidl hat nichts über seine Motive mitgeteilt.

20 Jahre lang zog er als einfacher Landsknecht, unter wechselnden Kriegsherren, durch das noch gänzlich unerforschte Gebiet entlang den Flüssen Paraná und Paraguay, durchquerte die Wildnis des Gran Chaco und die unendliche Wasserlandschaft des Pantanal, bis ins heutige Bolivien und an die Grenze Perus. Er überstand entsetzliche Strapazen und Entbehrungen, wurde Zeuge zügelloser Massaker (und nahm zweifellos auch an ihnen teil), er sah Riesenschlangen und Kaimane, Strauße, Tapire und Jaguare, er erlitt Schiffbruch, er überlebte ungezählte Überfälle feindlicher Indianer, und er zeugte Kinder mit indianischen Frauen.

Überlebender einer entsetzlichen Hungersnot

Als er nach 20 Jahren wieder in seine Heimat zurückgekehrt war, schrieb er seine Erlebnisse auf: "Warhafftige Historien einer Wunderbaren Schiffart, Welche Ulrich Schmidel aus Straubing Anno 1534 biß Anno 1554 in Americam oder der Neuwewelt, bey Brasilia und Rio della Plata gethan."

Am Dreikönigstag des Jahres 1535 gingen die 14 Schiffe des Pedro Mendoza mit ungefähr 2500 Mann und 70 Pferden an Bord im Rio de la Plata, dem Mündungstrichter des Paranáflusses, vor Anker. "Da haben wir eine Stadt gebaut, die hat Buenos Aires geheißen, das ist auf Deutsch ,Guter Wind'." Die Indianer, die dort lebten - Schmidl nennt sie "Querandis" -, begegneten den Fremden zunächst freundlich und gaben ihnen zu essen. Aber nach zwei Wochen blieben die Nahrungslieferungen aus, und Mendoza schickte seinen Bruder Diego mit 300 Soldaten - unter ihnen auch Schmidl - los, "dass er die vorgenannten Querandis zu Tod schlagen und ihren Flecken einnehmen sollte".

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Die Indianer wehrten sich wacker, töteten Mendozas Bruder und 25 weitere Spanier, aber die Spanier töteten "bei 1000 Mann ungefähr, eher mehr denn minder"; die anderen, samt Frauen und Kindern, flüchteten. Nun fanden die Spanier nichts mehr zu essen, es brach eine schreckliche Hungersnot aus. "Es war eine solche Not und Jammer, dass weder Ratzen noch Mäuse, Schlangen und anderes Ungeziefer nicht ausreichten, auch die Schuhe und das Leder, es musste alles gegessen sein." Als drei Spanier heimlich ein Pferd schlachteten, wurden sie gefoltert und gehängt, "und so begab sich in derselben Nacht von anderen Spaniern, dass sie die Schenkel und aus dem Leib Stücke Fleisch geschnitten und gegessen hatten".

Mendoza schickte ein Kommando aus, das nach neuen Siedlungsplätzen suchen sollte, aber wohin sie auch kamen - die Indianer waren geflohen und hatten alle Vorräte vernichtet, "so mussten wir wieder umkehren und starb der halbe Teil vor Hunger". Am St. Johannistag - dem 24. Juni 1535 - griffen vier verbündete Indianerstämme die Siedlung der Spanier an, setzten die Hütten und vier Schiffe mit Feuerpfeilen in Brand, und zogen erst ab, als die Spanier sie mit Schiffsgeschützen unter Feuer nahmen. Als Mendoza danach seine Truppe mustern ließ, waren von den 2500 nur noch 560 am Leben.

Von diesen ließ er 160 bei den Schiffen zurück, mit dem Rest macht er sich auf den Weg stromaufwärts - den Paraná hinauf. Drei Jahre blieben sie bei den Timbú-Indianern, die ihnen freundlich gesinnt waren. Dann musste Pedro de Mendoza die Heimreise antreten - "er war voll von französischen Geschwüren und ein Krüppel", schreibt Schmidl; Mendoza starb auf der Überfahrt an der Syphilis.

Meerschweinchen - wie eine Ratte ohne Schwanz

Dafür kam Nachschub aus Spanien, zwei Schiffe mit mehr als 200 Mann. Und mit dieser Verstärkung zogen die Spanier weiter flussaufwärts, in den Paraguay-Fluss, der von Norden in den Paraná mündet. Dort kamen sie zu den Guarani-Indianern, dem Stamm, dessen Sprache noch heute die zweite Amtssprache in Paraguay ist. Die Guarani waren ein wehrhafter Stamm von Ackerbauern, sie pflanzten Mais, Maniok, Süßkartoffeln und Erdnüsse, sie hielten Lamas, Hühner, Gänse und "Kanigl" - eine Tierart, die Schmidl noch nicht kannte: "Sah aus wie ein großer Ratz, nur hat es keinen Schwanz" - ein Meerschweinchen.

Die Guarani bewohnten eine mit Palisaden und Gräben befestigte Stadt und hatten vor dieser Befestigung Fallgruben angelegt: "So tief als drei Mann hoch, darin haben sie einen Spieß eingesteckt, spitzig als eine Nadel." Gefangene Feinde hätten die Guarani gemästet "wie man hie zu Land ein Schwein mästet" und irgendwann "schlägt er's zu Tod und isst es".

"Wir ließen ihnen sagen, wir wollten ihre Freunde sein", schreibt Schmidl, aber die Indianer hielten davon nichts und antworteten mit Pfeil und Bogen. "Da ließen wir unsere Büchsen abgehen, und sie flohen davon und fielen übereinander wie die Hunde." Zwei Tage lang leisteten die Guarani zähen Widerstand, dann ergaben sie sich, um ihre Frauen und Kinder zu retten. "Und sie gaben einem jeglichen Mann zwo Frauen, damit sie unser warten sollten mit Kochen, Waschen und anderen Sachen mehr, was einer vonnöten gehabt hat." Es war der Tag Mariä Himmelfahrt 1537, und deshalb nannten die Spanier die Stadt, die sie gründeten, "Nuestra Señora de Asunción" - die heutige Hauptstadt Paraguays.

Die Unterwerfung der Guaranis brachte den Spaniern entscheidende Vorteile. Sie hatten nun einen festen Stützpunkt, und die Guaranis stellten Hilfstruppen für weitere Expeditionen. Auf der Suche nach dem sagenhaften Volk der Amazonen durchquerten die Spanier das Überschwemmungsgebiet des Pantanal - "wir gingen acht Tage lang durch Wasser bis zum Gürtel, Tag und Nacht, dass wir nicht daraus kommen konnten". Immer wieder kommt es zu Kämpfen mit Indianern, und den Massakern.

Schmidl berichtet davon ganz lakonisch und ohne erkennbare Skrupel, mit ganz wenigen Ausnahmen. Einmal beschreibt er, wie ihnen Indianer vom Stamm der Surucusis zwar mit Pfeil und Bogen, aber doch in freundlicher Absicht begegnet seien, aber weil sie so einen Lärm machten, "ließen wir unsere Büchsen abgehen und schlugen zu Tod, was wir dann fanden, Mannsbilder und Weiber, Buben und Mädchen, und verbrannten ihren Flecken". "Wir haben ihnen Unrecht getan", gesteht der bayerische Konquistador.

So kamen die Spanier schließlich nach monatelangen Strapazen bis an die Grenze des einstigen Inkareiches, das Francisco Pizarro kaum zehn Jahre zuvor unterworfen hatte. Eines Tages trafen sie dort - vermutlich in der Gegend der heutigen Stadt Santa Cruz in Bolivien - auf Indianer, "die empfingen uns sehr wohl und huben an in Spanisch mit uns zu reden". Es dauerte nicht lang, da hatte die Kunde von der Ankunft eines spanischen Truppe die Hauptstadt Lima erreicht, und von dort kam alsbald ein Brief des kaiserlichen Statthalters, der die Spanier anwies, zu bleiben, wo sie waren, und keinesfalls weiter vorzudringen.

Beschwerliche Rückkehr in die Heimat

Mit dem Brief kam ein großzügiges Geschenk für den Hauptmann Domingo Martínez de Irala, womit dieser sich zufriedengab und den Rückzug befahl. Die Landsknechte gehorchten zähneknirschend - sie hatten ja bislang kein Gold gefunden, und nun lag das Goldland vor ihnen, und sie durften nicht hinein. "Aber die großen Herren sind schlecht", resümiert Schmidl verbittert, "und wo sie die armen Knechte um das Ihrige bringen können, da tun sie es."

So machen sie sich auf den langen Rückmarsch in den Stützpunkt Nuestra Señora de Asunción. Als sie dort eintreffen - inzwischen schreibt man das Jahr 1552 -, findet Ulrich Schmidl einen Brief aus der Heimat vor. Sein älterer Halbbruder Thomas, der sein Ende nahen fühlte, bittet ihn inständig, nach Hause zu kommen, "aus brüderlicher Lieb und Treue und zu ehrlicher Erhaltung meines Stammes und des Namens der Schmidl".

Also macht sich Ulrich Schmidl auf die beschwerliche Heimreise: 1500 Kilometer durch unwegsame Wildnis nach São Vicente, nahe der heutigen Metropole São Paulo, von dort mit einem holländischen Schiff nach Lissabon, über Sevilla nach Cadiz und von dort wiederum per Schiff nach Antwerpen, "wo wir sind angekommen den 26. Januar im 1554. Jahr. Gott sei Lob, Ehre und Preis in Ewigkeit, dass er mir eine glückselige Reise verliehen hat."

© SZ vom 18.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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