Historische Baukunst:Obszöner Niedergang

Alt, unpraktisch, nutzlos: Waldlerhäuser scheinen nicht mehr in die Zeit zu passen. Doch die Bauten im Bayerischen und Oberpfälzer Wald sind viel mehr als Zeugen für harte Arbeit und Entbehrung. Sie sind eine Sensation

Von Hans Kratzer

Dass das Land Bayern vor wirtschaftlicher Kraft nur so strotzt, ist für die hier lebenden Menschen erfreulich. Allerdings geht dieser Fortschritt mit einer rasenden Zersiedelung der Landschaft und mit einem geradezu obszönen Niedergang der Baukultur einher. Zumindest auf ästhetisch veranlagte Menschen wirkt diese Entwicklung tief deprimierend. Unverkennbar: Die regionale Baukultur, die dem Land Bayern sein typisches und touristisch attraktives Gesicht verliehen hat, wird hinweggefegt wie verwelkte Blätter im Sturm. Einen extremen Schwund erleben die alten Bauernhäuser, ausgerechnet jene Bauten, die sowohl Landschaften als auch die kulturelle Identität prägen. Viele Menschen kümmert das aber nicht: "Wenn es um den Erhalt solcher Häuser geht, ist das Verständnis hierfür mitunter noch gering", sagt der Generalkonservator Mathias Pfeil vom Landesamt für Denkmalpflege.

Historische Baukunst: Das Schanzer-Häusl von 1828 (Freilichtmuseum Finsterau) repräsentiert ein typisches Waldlerhaus.

Das Schanzer-Häusl von 1828 (Freilichtmuseum Finsterau) repräsentiert ein typisches Waldlerhaus.

(Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege)

Vor allem das sogenannte Waldlerhaus zählt zu den Opfern des Raubbaus. Dieser Typus prägte einst die Landschaften des Bayerischen und des Oberpfälzer Waldes. Während des Aufschwungs nach dem Krieg wurde vielen Waldlerhäusern der Garaus gemacht. Andere wurden durch die fortlaufende intensive Nutzung verschlissen. Die uralte Konstruktionsweise dieser Holzblockbauten ist denkbar ungeeignet, um den Erfordernissen der modernen Landwirtschaft zu genügen. Da hilft es auch nichts, dass die Waldlerhäuser vergessene, aber großartige handwerkliche Fertigkeiten dokumentieren. Die meisten erhaltenen Objekte stammen aus dem 18. und 19. Jahrhundert, in einzelnen steckt sogar noch ein baulicher Kern aus dem 15. Jahrhundert. Das Alter gilt manchem Besitzer aber nicht mehr als Wert an sich, vielmehr werden historische Häuser oft als nutzlos und unzumutbar bewertet.

Historische Baukunst: Hof mit Kapelle um 1910.

Hof mit Kapelle um 1910.

(Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege)

Der Bruch mit der regionalen Baukultur nahm landesweit in den Sechzigerjahren Fahrt auf. Gerade im Bayerischen Wald, wo die alten Häuser in erster Linie als Sinnbild der früheren Armut und daher als wenig schützenswert galten. Grundsätzlich hatte einst jede bayerische Region ihre eigene Hauslandschaft entwickelt, ausgehend vom Klima und von den wenigen vorhandenen Materialien in Zeiten ohne Baumarktherrlichkeit. Im Bayerischen Wald, wo Holz im Überfluss vorhanden war, stellten die Menschen vorwiegend Holzbauten hin. Tatsächlich zeugen die Waldlerhäuser vom harten Leben in einer rauen und schroffen Landschaft. Sie sind konstruiert als einfache Einfirsthöfe. Wohnteil, Stall und Stadel befinden sich in der Regel unter einem Dach, sind also nur durch Wände getrennt. Die Obergeschosse sind als hölzerne Blockbauten ausgeführt, lediglich der Stall und Teile des Erdgeschosses wurden steinern aufgemauert. Das Dach steht weit über das Haus hinaus, wodurch eine große Fläche entlang der Wände vor Nässe geschützt ist. Damit war ein trockener Lagerplatz, beispielsweise für Brennholz, gewährleistet. Ursprünglich waren die Dächer mit Legschindeln gedeckt. Von 1900 an wurden wegen der großen Brandgefahr die feuerpolizeilichen Anordnungen verschärft. Nun erst setzten sich Schiefer und Dachziegel durch. Damit sie diese Last tragen konnten, wurden die Dächer häufig in steilerer Form neu errichtet.

Historische Baukunst: Die alte Stube eines Waldler-Hofs um 1960.

Die alte Stube eines Waldler-Hofs um 1960.

(Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege)

Hunderte Waldlerhäuser sind in den vergangenen Jahrzehnten abgerissen worden. Bei der Revision der Denkmalliste erfolgten Streichungen in dreistelliger Höhe. "Es hilft wenig, diesem Problem nur trauernd oder mit erhobenem Zeigefinger zu begegnen", sagt der frühere Generalkonservator Egon Johannes Greipl. "Der Mensch kümmert sich eben nur um Sachen, die ihm nützlich sind - oder die er liebt." Dabei liegt es so nahe, diese Häuser in ihrer Einmaligkeit, in ihrer Ästhetik und in ihrer Aura als Sensationen zu bestaunen. Das aus dem Jahre 1542 stammende Waldlerhaus der Familie Geiß in Abtschlag (Kreis Regen) zählt beispielsweise zu den ältesten landwirtschaftlichen Gebäuden überhaupt. Die Eigentümer haben das Wohnstallhaus mit Scheune beispielhaft instandgesetzt. Die Haustür und die Innentüren stammen ebenso wie die Holzbalkendecke aus dem 16. Jahrhundert. Die Familie Geiß erhält für die Sanierung die Denkmalschutzmedaille 2017.

Der Schutz der noch bestehenden Waldlerhäuser habe für die Denkmalpflege einen besonderen Stellenwert, sagt Generalkonservator Pfeil. Umso mehr, als immer mehr Dörfer ihre gesamten historischen Bauernhäuser verlieren und damit gesichtslos werden. In Dreiwies (Kreis Straubing-Bogen) ist es noch nicht so weit: Norbert Bergmann hat sein dortiges, aus dem Jahr 1834 stammendes Waldlerhaus ebenfalls so eindrucksvoll instandgesetzt, dass auch er die Denkmalschutzmedaille erhielt. Der eineinhalbgeschossige Blockbau ist noch mit Legschindeln gedeckt, die Räume sind in Flez, Stube und Austrag aufgeteilt. Auch das Backhaus ist erhalten.

Diese Relikte sind schon deshalb ganz besondere Denkmäler, weil sie vom Alltag, vom Zusammenleben und von der harten Arbeit zeugen, die der bäuerliche Stand einst geleistet hat. Darauf wies auch Staatssekretär Bernd Sibler hin, als er vor wenigen Tagen das Themenheft "Das Waldlerhaus" präsentierte. Es vermittelt einen authentischen Eindruck dieses historischen Häuserschatzes (zu beziehen über das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege, Hofgraben 4, 80539 München und per E-Mail: publikationen@blfd.bayern.de).

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