Historie:Hier ließ Hitler heimlich Düsenjets bauen

Historie: Das Geheimwerk "Kuno II" im Scheppacher Forst. Die US-Amerikaner waren überrascht ob der Schlagkraft der Staffel.

Das Geheimwerk "Kuno II" im Scheppacher Forst. Die US-Amerikaner waren überrascht ob der Schlagkraft der Staffel.

(Foto: US National Archive and Records Administration)

Bei einer Werkstatt in einem Wald bei Augsburg warteten 70 Flieger, um die Luftangriffe der Alliierten zu bremsen. Jedoch: Das Projekt wurde nicht rechtzeitig fertig.

Von Stefan Mayr, Zusmarshausen

Die Zeilen gehören zu den erschütterndsten, die eine Zeitzeugin des Holocausts niedergeschrieben hat. "Wieder verwandelt die Nacht die Frauen in Tiere", schreibt Eva Langley-Dános. "Eine Frau kriecht auf allen Vieren herum und beißt alle, die sich ihr in den Weg stellen." Langley-Dános war eine von knapp 1000 Jüdinnen, die im März 1945 aus den Konzentrationslagern Ravensbrück und Bergen-Belsen ins KZ Burgau transportiert wurden.

Sie saß mit 75 anderen Frauen in einem Viehwaggon, der nur Platz für 40 Menschen hatte. Die Fahrt dauerte 16 Tage. 16 Tage und Nächte voller Hunger und Angst, in denen viele Frauen wahnsinnig wurden - oder einen entsetzlichen Tod starben. Langley-Dános spricht von Zuständen, die "die Hölle beschämen und den Teufel erröten" lassen.

Der Transport war Teil eines Geheimprojekts, mit dem Adolf Hitler kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs die bevorstehende Niederlage noch abwenden wollte. In versteckten Werkstätten in Wäldern, Tunnels und Bunkern ließ er von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen die Me 262 zusammenbauen. Es war das erste in Serie hergestellte Düsenflugzeug der Welt, mit dieser "Wunderwaffe" wollte Hitler die Luftangriffe der Alliierten bremsen. Hunderte solcher Flugzeuge wurden gebaut. In Bayern gab es derartige Werke bei Mühldorf, bei Regensburg, bei Garmisch, bei Landsberg und im Scheppacher Forst zwischen Augsburg und Burgau.

Letztere Werkstatt trug den Decknamen Kuno II. Obwohl täglich Tausende Autofahrer auf der A 8 nur wenige Meter daran vorbeirasten, rottete die Anlage 70 Jahre lang weitgehend unbemerkt vor sich hin. Es wuchs reichlich Gras und Wald über diesen gottverlassenen Ort.

Bis ein Lehrer der Hauptschule Zusmarshausen begann, dieses Stückchen Weltgeschichte dem Vergessen zu entreißen. "Wenn Hitlers Projekt rechtzeitig fertig geworden wäre, dann hätte es schlecht für die Alliierten ausgeschaut", sagt Hans-Peter Englbrecht.

Der 68-Jährige radelte mit seinen Schülern zu den abgelegenen Überresten der Nazibauten. Er lud Zeitzeugen in den Unterricht ein, sammelte Relikte und studierte Akten. Nach einigen Jahren der Spurensuche bekam er Unterstützung von Maximilian Czysz, einem Redakteur der Augsburger Allgemeinen. Die zwei Hobby-Historiker haben ihre Erkenntnisse in einem bemerkenswerten Buch zusammengefasst. Herausgekommen sind 154 fesselnde Seiten über das "Geheimwerk Kuno", das bislang kaum bekannt war - geschweige denn erforscht.

NS-Flugzeugwerk im Wald

Montagegrube mitten im Wald: Hans-Peter Englbrecht steht an der Stelle, an der 1945 Zwangsarbeiter den Düsenjet Me 262 montieren mussten.

(Foto: Stefan Puchner)

Alles begann mit einem Schwarz-Weiß-Bild. Es zeigt abgemagerte, nackte Leichen, die vor einem Schuppen im Wald liegen. Der Anblick ließ Lehrer Englbrecht nicht mehr los. Er sprach mit den letzten lebenden Zeitzeugen. Sie berichteten, wie die Züge mit den Frauen im nahen Burgau ankamen. "Als die Türen der Waggons aufgingen, fielen die Toten raus", sagt Englbrecht. Eine Augenzeugin habe ihm erzählt: "Man hat die Häftlinge nicht anschauen können, so abgemagert und verhungert haben sie ausgesehen."

Messerschmitt ist ein genialer Konstrukteur - und profitiert vom System

120 Männer und 120 Frauen mussten in dem Kuno-Werk schuften. Sie wurden täglich auf Lastern und in Bussen vom KZ Burgau zur Arbeit gekarrt. Tief im Wald, aber gleich neben der Reichsautobahn - der heutigen A 8 - mussten sie unter riesigen Tarnnetzen zuerst die Fabrikgebäude errichten und dann die Flieger zusammenschrauben. Damit die Jets auf der Autobahn starten konnten, wurde der Grünstreifen zubetoniert und grün übermalt.

Der Trick funktionierte, Kuno II blieb bis kurz vor Kriegsende unentdeckt. Als die Amerikaner schließlich anrollten, standen links und rechts von der Fahrbahn etwa 70 Me 262-Maschinen startbereit.

Die Überreste von Kuno II sind noch sichtbar. Die Mauern der Montagegrube sind etwa 50 Meter lang. Verrostete Utensilien liegen herum. Viele Relikte sind in einer Ausstellung zu sehen, die Hans-Peter Englbrecht im Museum Zusmarshausen organisiert hat. Die Schau geht bis Ende November, zum Begleitprogramm gehört eine Führung über das Waldgelände. "Das Echo ist grandios", sagt Autor Czysz, "das hatte ich nicht erwartet." Auch das ist eine bemerkenswerte Erkenntnis dieser verdienstvollen Recherche: Die Autoren stießen fast überall auf offene Ohren. "Es gab keine Widerstände, sondern viel Neugier und Unterstützung", sagt Englbrecht. "Die Zeit ist jetzt reif", sagt Czysz, "viele haben das Kriegsende als Kind miterlebt und wollen ihre Erinnerungen weitergeben."

Am Montag blickt die Stadt Augsburg mit Stolz auf 100 Jahre als Standort für Flugzeugbau zurück. Die Gründung der Bayerischen Rumpler-Werke jährt sich zum 100. Mal, heute produziert die Firma Premium Aerotec Teile für diverse Airbus-Maschinen. Früher hieß das Unternehmen MBB - ein Kürzel für "Messerschmitt-Bölkow-Blohm". Die Mitarbeiter sagten viele Jahre voller Stolz, "ich schaff' beim Messerschmitt".

Dabei steht dieser Name auch für das dunkelste Kapitel des deutschen Flugzeugbaus: Willy Messerschmitt war der Konstrukteur jener Me 262-Jets, die die Häftlinge in Wäldern und Bunkern unter unmenschlichen Bedingungen zusammenbauen mussten. Messerschmitt wurde nach dem Krieg als Kriegsverbrecher interniert. 1948 wurde er als Mitläufer eingestuft und freigelassen. "Er war ein genialer Konstrukteur", sagt Autor Czysz, "aber er hat das System ausgenutzt."

Was dieses System in Schwaben angerichtet hat, zeigen Czysz und Englbrecht mit Dokumenten und Fotos aus Archiven und Privatbesitz. Die bewegendste Geschichte ist jene über die unbekannte Menschenretterin Franka Mandel. Von ihr berichtet Eva Langley-Dános in ihrem Buch "Zug ins Verderben". Auf der Horror-Zugfahrt nach Burgau begannen die Frauen aus Todesangst zu schreien und wild um sich zu schlagen. "Vielleicht hätten wir einander in dieser Samstagnacht mit zügellos gewordenen Instinkten gegenseitig zerstört", schreibt Langley-Dános.

Doch dann habe Franka Mandel begonnen zu singen - und damit vielen das Leben gerettet. "Franka hat die Menschlichkeit in all den gekrümmten Elenden angesprochen und wachgerufen."

Wunderwaffe aus dem Wald. Das Geheimwerk Kuno im Scheppacher Forst und andere Rüstungsstätten der Nazis im Augsburger Land. Maximilian Czysz u.a., Presse-Druck-Verlag. Zug ins Verderben. Von Ravensbrück nach Burgau. Eva Langley-Dános, Verlag Daimon.

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