Historie:Mit Geplärr und Getöse

Historie: So hat der Zeichner Oskar Gräf im Jahr 1895 für die frühe Illustrierte namens "Die Gartenlaube" ein Haberfeldtreiben dargestellt.

So hat der Zeichner Oskar Gräf im Jahr 1895 für die frühe Illustrierte namens "Die Gartenlaube" ein Haberfeldtreiben dargestellt.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Bittere Schmähungen und massive Bedrohungen kennzeichneten den bösen Brauch des Haberfeldtreibens. Opfer waren meist die Schwächsten

Von Rudolf Neumaier

Das neueste Jahrbuch der Johann-Andreas-Schmeller-Gesellschaft trägt den weltumspannenden Titel "Von Puhoi bis Hinterkleebach". Weltumspannend, weil es seine Leser über Forschungen, Meinungen und Erkenntnisse zur bairischen Mundart zwischen Neuseeland und Oberfranken unterrichtet. Die Beiträge in dem bei der Edition Vulpes erschienenen Band widmen sich unter anderem dem Dialekt als Liturgiesprache, der Sprache von Nachfahren westböhmischer Siedler im Südseedorf Puhoi sowie bairischen Mundartnamen von Vögeln, wo man lernt, dass der Hausrotschwanz eigentlich Brandreiterl oder Schwappelarsch und die Dorngrasmücke auch Staudenschmatzer heißen. Aber das nur nebenbei. Zu den gewichtigsten unter diesen lesenswerten Beiträgen gehört zweifellos der Aufsatz des Kulturhistorikers Wilhelm Kaltenstadler über das Haberfeldtreiben. Gott sei Dank ist diese hässliche Form von Pöbeljustiz ausgestorben.

Es sind viele Legenden ums Haberfeldtreiben entstanden. Geschichtsromantiker erhoben es in den Rang eines nützlichen Brauchtums. Diese Schimäre wurzelt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sich die Haberfeldtrupps mit der Aura einer Geheimvolksfront umgaben, zuständig für den Schutz von Recht und Ordnung. "Der Zweck des Habererbundes war, den Schwachen zu schützen und die Liebe und Treue zu Heimat und Königshaus zu pflegen", schrieb ein Volkskundler noch vor etwa hundert Jahren. Bei solchen Verklärungen sträuben sich Wilhelm Kaltenstadler die Haare. Opfer waren zumeist sozial benachteiligte Menschen, gerne auch schwangere Mädchen. Sie mussten für vergleichsweise belanglose Vergehen bitterste Schmähungen und Bedrohungen über sich ergehen lassen.

Bis weit ins 19. Jahrhundert war das Haberfeldtreiben gerade beim Landklerus wohlgeduldet. Der große bayerische Sprachwissenschaftler Johann Andreas Schmeller (1765 bis 1852) bezeichnete es als einen "sehr wirksamen Pastoralbehelf", den die Pfarrer in der oberbayerischen Provinz wohl begünstigt hätten. Ein peinliches Femegericht wirkte auf unverheiratete Liebespärchen zweifellos abschreckender als jede noch so scharfe Predigt. Die Kirche änderte ihre Haltung, als die Haberer so präpotent wurden, Geistliche zu attackieren. Im November 1864 sah sich Erzbischof Gregor von Scherr genötigt, den Haberfeldauswüchsen einen ganzen Hirtenbrief zu widmen. Er appellierte an die Bevölkerung, die von Gott "eingesetzte Obrigkeit" zu achten, und zitierte aus dem Römer-Brief: "Lasset uns ablegen die Werke der Finsternis und anziehen die Waffen des Lichtes."

Wie genervt viele Menschen in Bayern von dieser Para-Rechtspflege waren, zeigt sich beispielhaft in einem Artikel aus dem Januar 1853, erschienen in der Zeitung Bayerische Landbötin. Zwar gebe zunächst "die Nichtbefolgung des sechsten Gebotes" Anlass zu solchen Veranstaltungen, jedoch weiten die Haberer dann ihre Angriffe auf alle möglichen Personen im Umkreis der Delinquenten aus. "In der Regel werden in der Rund herum Alle durchgelassen, von denen die Haberfeldtreiber nur Etwas zu wissen glauben." Dann beklagt sich die Zeitung über die Fake News, die gestreut werden, weil Mutmaßungen und Verdachtsfälle wie Fakten verkündet werden. Und das in einer "so schmutzigen und unflätigen Sprache, daß dadurch alles sittliche Gefühl bei der Jugend von Grund auf erstickt werden muß, zumal diese beim Haberfeld gehörten Zoten lange Zeit unter ihnen das Tagesgespräch bilden".

Was die Leser von diesem Aufsatz lernen? In allen Zeiten war es problematisch, wenn sich Unbefugte zu Bürgerwehren oder Rechtshütern erhoben - oder wie sie sich auch nennen. So ist es heute noch.

So omnipräsent Sauereien aller Art heute durch das Internet sind, so verbreitet waren Erscheinungen wie das Haberfeldtreiben in der Frühen Neuzeit. Kulturhistoriker Wilhelm Kaltenstadler verweist auf klare Parallelen zum französischen Charivari, bei dem schon im Mittelalter maskierte junge Leute mit Geplärr und Getöse Witwen heimsuchten, die wieder heiraten wollten. Nach Kaltenstadlers Erkenntnissen handelt es sich bei den ersten Haberfeldtreiben in Bayern um eine Spezialform des Charivari.

Aus Bayern wanderte der üble Brauch dann über den Atlantik: Kaltenstadler berichtet am Ende von Haberern im brasilianischen Porto Alegre - es handelte sich um Auswanderer aus Bayern, die das Haberfeldtreiben nach Südamerika transportierten. Ein in Miesbach reaktivierter Habererbund erhielt in den Achtzigern Post von einem brasilianischen Haberfeldklub. Die Miesbacher konnten nichts damit anfangen, weil sie kein Portugiesisch verstehen, doch sie schrieben freundlich zurück.

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