Historie:Freibeuter auf dem Bananenfrachter

Historie: Ein schlichter Stein mit Familienwappen: So unscheinbar ist das Grab.

Ein schlichter Stein mit Familienwappen: So unscheinbar ist das Grab.

(Foto: angu)

In Baierbach am Simssee liegt eine Berühmtheit begraben

Hummeln taumeln brummend durch die Frühlingssonne, ein Rotkehlchen hüpft auf der Friedhofsmauer herum. Am Horizont ist der Wald zu sehen, auf der anderen Seite die Berge. Wo Nikolaus Graf zu Dohna-Schlodien seine letzte Ruhe fand, machen andere Urlaub. Das Dorf Baierbach scheint zu schlafen - Mittagszeit. Auf dem Friedhof um die kleine Kirche St. Magdalena sind gut zwei Dutzend Gräber, an der westlichen Mauer liegt der Graf. Was verschlägt einen schlesischen Adeligen und Korvettenkapitän in den Chiemgau? Der schlichte Stein mit dem Familienwappen verrät nichts.

"Der Mann war eine Berühmtheit", sagt Bernd Lehmann, Regionalleiter für Bayern in der Deutschen Gesellschaft für Schifffahrts- und Marinegeschichte. Und Nikolaus zu Dohna-Schlodien war Freibeuter. Der Korvettenkapitän gehörte zu den sogenannten Piraten des Kaisers, die im Ersten Weltkrieg mit bewaffneten einst zivilen Frachtern feindliche Schiffe kaperten, um so den Kriegsgegner zu schwächen. Auch der Bananenfrachter SMS Möve beteiligte sich von 1915 bis 1917 am Kreuzerkrieg, Dohna war Erster Kommandant. Auf seinen Fahrten versenkte er Dutzende Schiffe und raubte tonnenweise Fracht, die Besatzung der gekaperten Schiffe verschonte er meist. Als 800 Gefangene an Bord waren, brach Dohna im März 1917 die zweite große Fahrt der Möve ab. Sogar von der britischen Royal Navy wurde der Korvettenkapitän für sein Handeln geehrt - er hätte die Feinde auch erschießen oder versenken können. Kaiser Wilhelm II. machte Dohna nach seiner Rückkehr 1917 zum Flügeladjutanten, alle großen Länder im Deutschen Reich verliehen ihm höchste Orden. Dohna stellte sein Heldentum in den Dienst des Kaisers und der Kriegspropaganda: Seine Bücher über die Fahrten der SMS Möve waren Bestseller, eines wurde sogar verfilmt.

"Ich nannte ihn Häschen", sagt Maria Oberländer. Wenn die 92-Jährige über ihren Vater spricht, gerät sie noch heute ins Schwärmen. "Er nannte mich Hilili, wir liebten uns wie Pech und Schwefel." Mit zwei Schwestern wuchs Oberländer in Baierbach auf, "im schönsten Haus weit und breit". Schon auf der Hochzeitsreise nach Aschau 1918 hatte Graf Dohna mit seiner jungen Frau Hilda beschlossen, in den Chiemgau zu ziehen, sobald sie sich das leisten konnten. 1936 baute die Familie in Baierbach am Simssee ein Haus. Und das Meer? "Das hat er nie vermisst, er hatte eine Chiemsee-Jolle", sagt die Tochter. Er segelte oft, bei Gewitter war das etwas heikel. Dohna konnte nicht schwimmen.

Eine berühmten Vater zu haben, hat Maria Oberländer genossen: "Er war der Boris Becker von damals." Aber Dohna wollte den Rummel nicht, betrat Wirtschaften stets durch die Hintertür. Noch am Sterbebett habe er die Schwärmerei einer Nichte mit "Quatsch, ich habe eben Glück gehabt", abgetan. 1956 starb der Korvettenkapitän mit 77 Jahren an einem Herzanfall. Heute ist der Spazierweg von Baierbach zum Simssee nach ihm benannt - und liegt auf der Blickachse zum Grab des Kapitäns neben der Dorfkirche.

Wir bedanken uns bei Christine Englmann aus Haag für den Tipp.

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