Himmelkron:Achtjährige ertrinkt im Freibad: Mutter erzwingt Klage

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  • Im Juli 2014 ist ein achtjähriges Mädchen im Freibad von Himmelkron ertrunken.
  • Das Verfahren wurde eingestellt, doch die Mutter des Mädchens hat eine Klage erzwungen.
  • Nun hat die Staatsanwaltschaft Bayreuth eine Betreuerin und einen Bademeister angeklagt.

Von Olaf Przybilla, Bayreuth

Ruslana Koska hatte kaum noch Hoffnung. Nachdem ihre Tochter im Juli 2014 im Freibad von Himmelkron ertrunken ist, ermittelte die Staatsanwaltschaft elf Monate lang. Dann kam die Mitteilung, das Verfahren sei eingestellt worden. Koska, 40, spricht von einem "zweiten Schock". Ein achtjähriges Mädchen ist in einem öffentlichen Bad ertrunken. Und verantwortlich dafür zu machen ist: niemand.

Hätte es die Mutter dabei belassen, wäre der Tod ihrer Tochter Vanessa strafrechtlich folgenlos geblieben. Aber Koska wollte nicht locker lassen, auch wenn ihr viele abrieten. Ein Klageerzwingungsverfahren? Selbst Anwälte sagen, das habe eher theoretische Aussichten auf Erfolg. Nun aber liegt eine Anklage eben jener Staatsanwaltschaft vor, die die Ermittlungen vor einem Jahr eingestellt hatte. Angeklagt ist eine Betreuerin und ein Bademeister, beide wegen fahrlässiger Tötung.

Jan Bockemühl ist Vorsitzender der Initiative Bayerischer Strafverteidiger, auch er spricht von einem "ungewöhnlichen Fall". Zwar gebe es inzwischen Handreichungen für Anwälte, was einzuhalten ist, um eine Klage zu erzwingen. Aber selbst wenn alle Formalia erfüllt werden, sind die Erfolgsaussichten erfahrungsgemäß äußerst gering. "Das ist wie mit dem Hund, der zum Jagen getragen werden muss", sagt Bockemühl. Eine Staatsanwaltschaft, die einmal zum Ergebnis gekommen ist, da gäbe es nichts zum Anklagen, lasse sich eben ungern vom Gegenteil überzeugen.

Die Betreuerin soll ihren Posten verlassen haben

Im Fall der achtjährigen Vanessa hatte zunächst die Staatsanwaltschaft Bayreuth keine Basis für eine Anklage gesehen, danach auch die zuständige Generalstaatsanwaltschaft nicht. Blieb, als letzte Möglichkeit, das Oberlandesgericht (OLG). Dieses kam zu einem völlig anderen Ergebnis als die Anklagebehörde. Die OLG-Verfügung liest sich in Teilen wie eine Einführung in die Grundlagen des Strafrechts.

Die Betreuerin eines Turnvereins, der sich der Hitze wegen für einen Ausflug ins Freibad entschieden hatte, hat nach Auffassung der Bamberger OLG-Richter ihre Aufsichtspflichten schon insofern verletzt, als sie sich nicht hinreichend darüber informierte, inwieweit das achtjährige Mädchen überhaupt schwimmen konnte. Überdies habe die Betreuerin, Zeugenaussagen zufolge, ihren Posten verlassen, von dem aus sie Vanessa habe beobachten können. Und zwar um "Geld für Eis" zu holen.

Ähnlich schwer liegt der Verdacht einer Straftat nach Auffassung der OLG-Richter bei dem Mann, den die Richter "Bademeister" nennen. Der ehemalige Bauhofmitarbeiter habe an dem Tag dafür zu sorgen gehabt, dass ein Unfall wie der Tod von Vanessa "gerade verhindert" wird. Zeugenaussagen zufolge sei er stattdessen aber in seinem Büro beim Zeitungslesen angetroffen worden, und zwar nachdem die Achtjährige bereits aus dem Wasser geborgen worden war und er davon aber noch gar nichts mitbekommen hatte.

Beide, die Betreuerin des Turnvereins und der Bademeister, wären nach Auffassung des OLG für die Sicherheit der Achtjährigen verantwortlich gewesen. Das OLG schickte die Akten daraufhin an die Generalstaatsanwaltschaft zurück mit der Bitte um Prüfung, ob in dem Fall neu ermittelt werden muss.

Vanessa starb sechs Tage später

Die Argumente der Richter überzeugten die Staatsanwaltschaft offenbar. Ein Jahr, nachdem sie das Verfahren einstellte, liegt eine Anklage gegen einen 62-Jährigen und eine 51-Jährige vor. Warum das Verfahren überhaupt eingestellt wurde, erschließt sich daraus nicht. Der Tod Vanessas sei objektiv vermeidbar gewesen, ist die Staatsanwaltschaft nun überzeugt. "Wir haben umfangreich nachermittelt", sagt ein Sprecher. Wenn das Amtsgericht Kulmbach die Anklage zulässt, werden sich die beiden Angeklagten demnächst wegen fahrlässiger Tötung verantworten müssen.

Für Roland Koska, den Vater von Vanessa, bleiben da viele Fragen. Er und seine getrennt von ihm lebende Frau hätten anfangs "fast keine Details" erfahren über den Tod ihrer Tochter. Man solle die Sache nicht so hoch hängen, hätten sie zu hören bekommen. Von einer Badeaufsicht, die womöglich Zeitung gelesen hat, war nicht die Rede.

Genauso wenig von einer Betreuerin, die offenbar zum Geldholen gegangen ist, statt die Kinder der Turngruppe zu beobachten. Dass man nicht locker gelassen hat, damit habe man sich in Himmelkron nicht nur Freunde gemacht. "Es gab genug Leute, die sagten: Lasst das doch jetzt mal auf sich beruhen, ein tragisches Unglück eben." Auch wenn er zugeben müsse, sagt Roland Koska, dass es am Ende seine Frau war, die sich um eine Klageerzwingung gekümmert habe. Trotz aller Kosten. Und trotz mäßiger Erfolgsaussichten.

Die achtjährige Vanessa hatte am 22. Juli 2014 abends die Mädchenturngruppe des TSV Himmelkron besucht. Aufgrund des warmes Wetters entschieden die Betreuer der Gruppe, ins Freibad zu gehen. Um 18.20 Uhr wurde Vanessa am Boden des Schwimmerbeckens in 2,20 Meter Tiefe gefunden. Sie wurde reanimiert, in ein Klinikum gebracht und ins künstliches Koma versetzt. Dort starb sie sechs Tage später an den Folgen eines Hirnschadens.

© SZ vom 07.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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