Hersbruck:Kleine Krankenhäuser sind vom Aussterben bedroht

Hersbruck: Die in zahlreichen Kliniken spürbare Hektik und Anonymität ist im Hersbrucker Krankenhaus nicht auszumachen.

Die in zahlreichen Kliniken spürbare Hektik und Anonymität ist im Hersbrucker Krankenhaus nicht auszumachen.

(Foto: Dietrich Mittler/oh)

460 kleine Kliniken wurden bundesweit in den vergangenen 25 Jahren geschlossen. In einem Flächenstaat wie Bayern trifft das die Patienten hart. Der jüngste Fall: Hersbruck.

Von Dietrich Mittler

Horst Vogels Hände können kräftig zupacken. Das müssen sie auch: Auf seiner Visitenkarte steht "Holzhandel/Holzverarbeitung". Die Narben an den Händen und am linken Arm zeugen von Vogels nicht ganz ungefährlicher Arbeit. Der 60-Jährige aus der mittelfränkischen Gemeinde Kirchensittenbach war schon deshalb stets froh über das nahegelegene Hersbrucker Krankenhaus. Doch die Zeit, in der er sich dort "die Finger flicken lassen" kann, läuft ab. Dem 60-Betten-Haus im Kreis Nürnberger Land droht spätestens in vier bis fünf Jahren das Aus. Dann soll das Krankenhaus in Lauf die Patienten aus Hersbruck und Umgebung mitversorgen. Vogel und seine Mitstreiter wollen das auf keinen Fall hinnehmen. Im Krankenhaus Hersbruck sind zwar seit Jahren nur noch zwei Belegarztpraxen tätig, doch zu den Ärzten dort haben viele Hersbrucker einfach Vertrauen.

"Dies ist kein lokales Problem. Deutschlandweit wurden in den letzten 25 Jahren 460 kleine Krankenhäuser geschlossen", sagt Angelika Pflaum, die mit Vogel den Widerstand gegen die Schließungspläne organisiert. Siegfried Hasenbein, dem Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, ist die Problematik nur zu bekannt. "Diese kleinen Häuser befinden sich in einer äußerst schwierigen Situation. Sie haben wahrscheinlich nur wenig Überlebenschancen", sagt er - auch mit Blick darauf, dass selbst viele große Häuser in Bayern ein Defizit erwirtschaften.

Die Probleme der kleinen Häuser haben ihre Wurzeln zum Großteil in der Bundespolitik: "Das hängt damit zusammen, dass die Anforderungen der Verantwortlichen in Berlin an die Krankenhäuser immer größer werden", sagt Hasenbein. Nicht allein, dass nur jene Häuser lukrative OP-Eingriffe tätigen dürfen, die vorgeschriebene Mindestmengen erfüllen. Zugleich würden den Häusern "immer höhere Standards bezüglich Personal und Gebäudesubstanz auferlegt". Das wiederum setzt Klinikmanager, wie auch jene der Krankenhäuser Nürnberger Land GmbH/Klinikum Nürnberg, unter Zugzwang. Vor die Entscheidung gestellt, wie sie die Versorgung im Landkreis künftig sichern können, haben sie sich dazu entschlossen, den Standort Hersbruck zu opfern und dafür das gut zwölf Kilometer entfernte Haus in Lauf fit für die Zukunft zu machen. Unter Managern ist dies eine gängige Vorgehensweise.

Horst Vogel sagt zwar von sich selbst, "mit der Politik gar nichts am Hut zu haben", aber dass letztlich die Vorgaben aus Berlin am schleichenden Tod des Hersbrucker Krankenhauses mit ihren Anteil haben, ist ihm bewusst. Allerdings ist das für ihn nur die eine Seite. Er sieht Bayerns Landespolitiker in der Pflicht, die kleineren Häuser zu retten. So denkt auch Angelika Pflaum. "Ministerpräsident Markus Söder verspricht, den ländlichen Raum zu stärken. Mit der Schließung des Krankenhauses erreicht er das nicht", sagt sie entschlossen. Die stationäre Grundversorgung im ländlichen Raum müsse erhalten bleiben.

Solche Forderungen kommen auch aus anderen Teilen Bayerns: Im Main-Spessart-Kreis etwa droht dem Krankenhaus in Marktheidenfeld das Aus. Im Kreis Freyung-Grafenau soll Ende 2018 das Haus in Waldkirchen geschlossen werden. Die Argumente gegen drohende Schließungen gleichen sich aufs Wort: Angehörige der Patienten müssten künftig weite Wege in Kauf nehmen. Ohne Auto und ohne funktionierenden öffentlichen Nahverkehr würden kurze Krankenbesuche zur beschwerlichen Tagestour. Und es gingen reihenweise Arbeitsplätze in der Region verloren.

Natürlich sind es auch die ganz privaten Erlebnisse, die die Bürger mit ihrem Krankenhaus verbinden. Etliche in Hersbruck wurden noch dort geboren, so wie Christa und Heidi Rauenbusch, die in der Innenstadt ein seit 1855 bestehendes Spielwarengeschäft führen. Beide Frauen erinnern sich auch an die dramatischen Ereignisse, in denen ihnen das Krankenhaus eine Stütze war. "Mein Lebenspartner ist dort droben mit 52 Jahren an Krebs gestorben", sagt Christa Rauenbusch. Anders als zuvor in zwei großen Kliniken, sei ihr Partner dort gefragt worden, was er sich wünsche. "Ich möchte durchschlafen, eine Nacht lang", habe er geantwortet. "Und dann haben sie ihn in Hersbruck an die Morphium-Pumpe hingehängt, und er hat noch fünf glückliche, schmerzfreie Tage gehabt", sagt Christa Rauenbusch.

Das sind die persönlichen Geschichten. Unterdessen sorgt das drohende Ende kleiner Landkrankenhäuser für Kabale in der Landespolitik. Ende April demonstrierten Bürger aus Hersbruck und dem Umland vor dem Gesundheitsministerium in Nürnberg. "Für uns da draußen auf dem Land interessiert sich niemand. Die nehmen uns nur dann kurz zur Kenntnis, wenn sie uns als Wähler brauchen", sagt Vogel. Zweimal habe er Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) nach Hersbruck eingeladen. Beide Male sei sie nicht gekommen. "Auch mehrere Briefe an den damaligen Heimatminister und jetzigen Ministerpräsidenten Markus Söder blieben erfolglos - so wie die 10 000 Unterschriften gegen die Krankenhausschließung, die wir vorlegen konnten", sagt Vogel. Umso mehr bringen sich nun aber die Freien Wähler als Kümmerer ins Spiel.

Jeder Widerstand lebt von Symbolen, so auch der in Hersbruck: Dort ist es ein überdimensioniertes knallrotes Herz, versehen mit Unterschriften - darunter die unverschämt raumeinnehmende Signatur von Hubert Aiwanger, dem Chef der Freien Wähler. "Wir stehen an Ihrer Seite", ist seine Botschaft - nicht nur in Richtung Hersbruck. Angesichts der starken Bevölkerungsentwicklung in Bayern müssten Krankenhauskapazitäten eher auf- statt abgebaut werden, fordert er.

"Da spielt der Brandstifter den Feuerwehrmann"

Bernhard Seidenath, dem gesundheitspolitischen Sprecher der CSU-Landtagsfraktion, geht bei solchen Worten die Galle hoch: "Da spielt der Brandstifter den Feuerwehrmann", sagt er. Es sei ein Landrat der Freien Wähler gewesen, "der 2006 die Krankenhäuser Nürnberger Land und damit auch das Hersbrucker Haus an das Klinikum Nürnberg verscherbelt hat, ohne sich - wie etwa im Kreis Dachau geschehen - ein Mitspracherecht über die Zukunft der Einrichtungen zu sichern".

Auch dank der Vermittlung von Gesundheitsministerin Huml wird den Hersbruckern nun zwar in Aussicht gestellt, dass aus ihrem Krankenhaus ein ambulantes Gesundheitszentrum werden könnte, mit den dort bereits angesiedelten Ärzten. Zudem solle die seit Jahren bestehende Bereitschaftsdienstpraxis möglichst erhalten bleiben. Doch viele kritische Bürger fragen sich, ob dies tatsächlich klappt und ob diese Lösung auch nur ansatzweise ihr "kleines, aber feines Krankenhaus" ersetzen kann, wie es Angelika Pflaum ausdrückt. Gespräche mit Hersbrucker Bürgern vor dem Krankenhaus zeigen, dass sie die Zweifel teilen. "Insbesondere jetzt, wo ich alt werde", sagt etwa Inge Knörndel aus der Hersbrucker Südstadt. "Wenn ich dann doch mal dringend einen Arzt brauche, dann ist es wahrscheinlich zu spät", befürchtet sie.

Hersbruck: Der Chirurg Johannes Seitz kennt einen Großteil seiner Patienten schon seit Jahren.

Der Chirurg Johannes Seitz kennt einen Großteil seiner Patienten schon seit Jahren.

(Foto: Dietrich Mittler/oh)

"Hersbruck ist da nur ein Beispiel von vielen in Bayern", sagt Leonhard Stärk, Landesgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK). Schließe ein Krankenhaus, so bedeute das für die Rettungsteams automatisch längere Fahrtzeiten, da sie die Patienten nun in weiter entfernte Kliniken bringen müssten. "Wir sehen die Entwicklung mit Sorge", sagt auch Markus Deyhle, Geschäftsführer des BRK-Kreisverbands Nürnberger Land. "Wenn das Hersbrucker Krankenhaus schließt und wir die Patienten nach Lauf bringen müssen, gehen wir davon aus, dass es pro Transport eine Stunde länger dauern wird." Entgegen anderslautenden Nachrichten gelte jedoch: "Das Krankenhaus Hersbruck wird von uns nach wie vor im gewohnten Umfang angefahren und ist ein wichtiger Pfeiler in der Versorgungslandschaft."

"Wichtig ist, dass unsere Krankenhäuser zukunftsfähig bleiben", sagt indes Gesundheitsministerin Huml. Sie habe zwar Verständnis für die Verunsicherung der Hersbrucker, doch Bayerns Krankenhauslandschaft befinde sich "seit geraumer Zeit in einem Prozess der Umstrukturierung". An dem führt aus Sicht des für den Standort Hersbruck verantwortlichen Managements auch gar kein Weg vorbei. Im Hersbrucker Haus seien die Leistungszahlen rückläufig, die Kosten in der Folge zu hoch. "Entscheidend ist aber der hohe Sanierungsbedarf der Gebäudeinfrastruktur. Es wären 26 Millionen Euro vonnöten, um einen weiteren Krankenhausbetrieb gewährleisten zu können", rechnet ein Sprecher des Klinikums Nürnberg vor.

Für Horst Vogel und seine Mitstreiter sind rückläufige Leistungsbilanzen indes hausgemacht. Aus Sicht von Heidi Rauenbusch ist der Fall klar: "Unser Krankenhaus wird - durch weiteren Personalabbau im Pflegebereich etwa - von innen heraus ausgehöhlt, bis nichts mehr geht." Das sieht Hans Kolb, Sprecher der Belegärzte im Haus, ähnlich: "Wir praktizieren hier eine Medizin der kurzen Wege, bei der die einzelnen Fachärzte eng zusammenarbeiten." Insofern werde "ein System zerstört, das jahrzehntelang funktioniert hat". Sein Kollege, der Chirurg Johannes Seitz, macht aus seinem Frust keinen Hehl: "Im Prinzip habe ich das Gefühl, dass den Politikern der Fall Hersbruck einfach nur lästig ist. Die wollen das Thema mit den kleinen Krankenhäusern vom Tisch haben."

Vogel und die Seinen überlegen unterdessen, wie sie die Bürger in Lauf und Nürnberg auf ihre Seite ziehen können. Von der parteilosen Hersbrucker Stadträtin Dorothea Müller Philipps Sohn kam da so ein Vorschlag: "Wir sagen denen einfach: Wenn ihr krank werdet, dann liegen wir bereits in euren Klinikbetten. Und das, weil unser Krankenhaus geschlossen wurde."

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