Heimat:Was ist bloß aus der CSU geworden?

Fortsetzung der Sondierungsgespräche

Hat schon lange nicht mehr die Macht eines Franz Josef Strauß: CSU-Chef Horst Seehofer.

(Foto: dpa)

Man muss kein CSU-Wähler sein, um sich Sorgen zu machen.

Von Rudolf Neumaier

Als Oberbayer muss man nicht unbedingt CSU-Wähler sein, um mit der CSU zu leiden. Es reicht schon, wenn man das Land und die Leute mag, in dem und mit denen man aufgewachsen ist. Dann ist es mehr als Mitleid: Es ist Weltschmerz! Wohl jeder sehnt sich nach der Heimat, die die ihn geprägt, umarmt und vielleicht sogar manchmal abgestoßen hat. Und wenn es diese Heimat nicht mehr gibt, ist das traurig.

Wer mit der CSU aufgewachsen ist, wer in seiner Kindheit und Jugend nur Menschen kannte, die sich blind auf die CSU verließen und sie natürlich auch blind wählten, wer diese Partei deshalb als die einzige Verkörperung von Politik kennenlernte, den lassen die Wahlergebnisse verzweifeln: Was ist aus der vertrauten Heimat geworden? Was ist in die Menschen gefahren, die einst Franz Josef Strauß anbeteten - oder zumindest für ihn beteten? Als entflohenes Kind einer tiefschwarzen Gegend kann man nur noch bestürzt sein über Wahlergebnisse, die dort in den Siebzigern und Achtzigern unvorstellbar waren.

Viele Menschen in der Heimat sind tätsächlich hysterisch geworden

Unser Autor ist in einem kleinen Bauerndorf im nördlichen Berchtesgadener Land aufgewachsen. In diesem Dorf lebten vorwiegend brave Leut', die schon aus religiöser Überzeugung niemals SPD oder FDP gewählt hätten. Es gab aber auch bizarre Typen mit abwegigen Meinungen. Doch die CSU hatte selbst solche Freaks immer im Griff. Das war das Gute an ihr. Und auch das Gespenstische. Die CSU war das Volk und sie war genauso gottgegeben wie die gedeihlichen Wiesen, der Sonntagsbraten und die Trachtenjoppe.

Dieses Dorf und seine umliegenden Einöden haben nun das blinde Vertrauen in die CSU verloren: Bei der Bundestagswahl bekam die CSU nur noch magere 42 Prozent der Stimmen. Am zweitstärksten schnitt die AfD ab, deren Stimmkreis-Kandidat im Wahlkampf Donald-Trump-Statements von sich gegeben hatte wie: "Anstelle der hysterischen Klimareligion brauchen wir eine faktenbasierte Umweltdiskussion." Viele Menschen in der Heimat sind tatsächlich hysterisch geworden, sie haben ihr traditionelles Vertrauen aufgegeben.

Es lässt sich leicht ausdenken, wie Franz Josef Strauß reagiert hätte. Er hätte auf den Tisch gehauen. In bitterstem Sarkasmus hätte er die Diktion der AfD aufgegriffen und statt von Volksverdummung von "völkischer Verdummung" gesprochen. Dann hätte er weiterregiert. Mit aller Macht.

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