Hauptredner gilt als Revisionist:Im Ruch der Geschichtsklitterung

Die umstrittene Zeitgeschichtliche Forschungsstelle will in Ingolstadt in städtischen Räumen tagen. Die Grünen protestieren

Von Johann Osel, Ingolstadt

Es soll um "Lügen" gehen, Anfang November in der Ingolstädter Volkshochschule, um "Die Lebenslügen der Bundesrepublik Deutschland". So heißt der Vortrag, den der Historiker und rheinland-pfälzische AfD-Politiker Stefan Scheil dort halten will. In der Wissenschaft gilt er sehr vielen Kollegen als "Revisionist", der die Schuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg zu relativieren versucht. Der frühere Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin, Wolfgang Benz, warf Scheil mal vor, "Geschichte nur als Rohstoff für weltanschauliche Konstrukte" zu verwenden. So konstruiere er etwa eine aggressive Kriegspolitik Polens oder deute den Überfall auf die Sowjetunion als Präventivkrieg. Scheil wird bei einer Tagung der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt (ZFI) sprechen. "Kein Raum für Revisionisten in Ingolstadt" - mit der Ansage wollen die örtlichen Grünen das Treffen in den städtischen Räumen verhindern.

Die Fraktionschefin im Stadtrat, Petra Kleine, schrieb einen offenen Brief an Oberbürgermeister Christian Lösel (CSU): "Die ZFI untergräbt das historische Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland, indem sie ganz unverhohlen Geschichtsrevisionismus betreibt." Hier müsse die Stadt "klarer auftreten", Ingolstadt müsste etwas tun, "um der Verdrehung historischer Tatsachen nicht weiter eine Bühne zu bieten". Konkret sollen die städtischen Räume nicht mehr an die ZFI vermietet werden. Erst kürzlich hatten umstrittene Ansichten beim Förderverein des Bayerischen Armeemuseums Kritik ausgelöst. Offenbar gibt es zumindest vereinzelt personelle Parallelen. Die 1981 gegründete ZFI steht immer wieder im Ruch der Geschichtsklitterung. Weiteres Thema der anstehenden Tagung: "Keine Sternstunde des Rechts: Die Nürnberger Prozesse".

Die Ingolstädter Verwaltung prüft intern, wie man die ZFI in Zukunft ausbremsen kann

Gründer und Motor der ZFI war der Ingolstädter Geschichtslehrer Alfred Schickel, 2015 gestorben. Der Nachruf in der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit (JF) war überschrieben mit "Unbeirrt von linken Skandalisierungen"; der Autor lobte, dass Schickel eine "spektakuläre Studie" zur angeblich viel zu hoch angesetzten Zahl polnischer Kriegstoter gefertigt habe. Die JF pries auch zum 25. Geburtstag die ZFI deren Arbeit: Die Historiker "klopfen ab, haken nach, ziehen in Zweifel und korrigieren scheinbar ewiggültige Wahrheiten". Einzelpersonen, in der ZFI und ihrem Umfeld, standen in den Neunzigern im Fokus des Verfassungsschutzes. Das Innenministerium merkte auf eine SPD-Anfrage vor mittlerweile elf Jahren an, die ZFI finde in "einschlägig rechtsextremistischen Publikationen" Resonanz; doch wegen extremistischer Bestrebungen in der ZFI selbst sehe man keinen Beobachtungsauftrag. Das gilt bis heute. Wie so oft im rechtsnationalen Lager mischt sich Bürgerliches mit Grenzüberschreitungen, tummeln sich abgestufte Gesinnungen, nutzt man Grauzonen - in der AfD ist es ja ähnlich. Der Umgang der Behörden mit der ZFI wirkte etwas zwiespältig: Einerseits erhielt Schickel 1992 das Bundesverdienstkreuz; andererseits räumte kurz darauf die schwarz-gelbe Koalition auf Anfrage der damaligen PDS im Bundestag ein, dass Schickels Thesen "teilweise denen entsprechen, wie sie von Rechtsextremisten vertreten werden". Auch sprach 2006 zum 25. ZFI-Jubiläum Ingolstadts damaliger CSU-Oberbürgermeister Alfred Lehmann ein Grußwort. Beobachter sagen: nur aus Naivität.

Die Stadt Ingolstadt distanziert sich klar von Positionen der ZFI. Eine Prüfung durch das Rechtsreferat - schon vor dem Brief der Grünen - habe jedoch ergeben, dass die Aufhebung des Mietvertrags nicht möglich sei. Die Kurfürstliche Reitschule, Stätte der Volkshochschule, kann genutzt werden - es fehle die rechtliche Handhabe. Wohl geht der Blick nach Nürnberg. Die Stadt wollte im September eine AfD-Veranstaltung mit Alexander Gauland in der Meistersingerhalle verhindern. Nach einer krassen Äußerung Gaulands über die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz hatte man die AfD aufgefordert, Gauland nicht sprechen zu lassen. Als die Partei das ablehnte, kam die Kündigung - mit Verweis auf einen Passus, wonach eine Schädigung des Ansehens der Stadt nicht hinnehmbar ist. Das Verwaltungsgericht Ansbach gab jedoch einem Eilantrag der AfD statt. Die Stadt legte danach keine Beschwerde ein - mangels Chancen. Intern prüft man in der Ingolstädter Verwaltung nach SZ-Informationen dennoch, wie man etwa mit der Satzung die ZFI künftig ausbremsen könnte.

Neuer ZFI-Chef ist Gernot Facius, der Journalist schreibt vor allem für die JF und als Kirchenexperte für Die Welt. Er sagte auf Anfrage des Donaukurier: "Es spricht nicht gerade für eine lautere demokratische Gesinnung, wenn versucht wird, politisch unliebsame Veranstaltungen unter fadenscheinigen Vorwänden zu verhindern." Womöglich müssen sich die Historiker auf Proteste einstellen. Schon im Juni tagten sie in Ingolstadt, Linke und Antifa demonstrierten damals. Jetzt könnte sich ein breiteres Bündnis bilden.

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